# taz.de -- Sportgericht lässt Rechtsextremisten zu: Im Zweifel für den Nazik… | |
> Der von Rechtsextremisten unterwanderte Klub Eintracht Gladau darf | |
> weiterkicken. Das Verbot des Fußballverbands Sachsen-Anhalt wird | |
> aufgehoben. | |
Bild: Dennis Wesemann (r.) hat sich als rechtsextremer Netzwerker auf den Fußb… | |
NEUGATTERSLEBEN taz | I Für diese heikle Gerichtsverhandlung hat sich der | |
Fußballverband von Sachsen-Anhalt (FSA) fast schon klandestin von Magdeburg | |
ins 40 Kilometer südlicher gelegene Neugattersleben in ein Wellness- und | |
Tagungshotel zurückgezogen. Dampfbäder und wohltuende Massagen gibt es hier | |
im Angebot, aber eben auch Tagungsräume und 150 Autoparkplätze. Der Ort | |
selbst ist klein, die Einwohnerzahl liegt gerade noch so im dreistelligen | |
Bereich, groß und bedeutsam dagegen ist die Frage, über die hier an diesem | |
Dienstagabend am 7. März entschieden werden soll. | |
Zum zweiten Mal in der Geschichte des deutschen Fußballs könnte mit dem | |
Kreisoberligisten DSG Eintracht Gladau ein Verein wegen rechtsextremer | |
Unterwanderung ausgeschlossen werden. Erstmals geschehen ist das 2015, | |
ebenfalls in Sachsen-Anhalt im Fall von Ostelbien Dornburg. Den hatte der | |
Rechtsextremist Dennis Wesemann vier Jahre zuvor mit Gleichgesinnten, die | |
fast alle dem Verfassungsschutz vor Ort bekannt waren, gegründet und | |
d[1][anach auf den Fußballplätzen im Jerichower Land Angst und Schrecken | |
verbreitet.] | |
Und dieser Wesemann sitzt nun hier in Neugattersleben erneut auf der | |
Anklagebank, auch wenn er offiziell vom Verbandssportgericht des FSA als | |
Zeuge befragt wird. Es geht um den Ausschluss von Eintracht Gladau, [2][für | |
dessen erstes Team er seit 2016 kickt.] Zeitweise machten sieben weitere | |
ehemalige Spieler von Ostelbien Dornburg bei Gladau mit und zuletzt wurden | |
Wesemann Führungsaufgaben im Verein übertragen. | |
Vor sich sieht der 37-Jährige die fünf Verbandsrichter vor ihren Laptops | |
und Tablets, hinter sich auf den Zuschauersitzen weiß er seine | |
Teamkameraden, die in Mannschaftsstärke angereist sind. Die meisten von | |
ihnen sind schätzungsweise um die 20 Jahre alt. Eine Jüngerschaft der | |
anderen Art. Ansonsten im Publikum: Verbandsangehörige, zwei Polizeibeamte | |
in Zivil und drei, vier Journalisten. | |
## Aggressiver Auftritt | |
Wesemann, der blaue Jeans und eine rote Trainingsjacke mit der Aufschrift | |
von Eintracht Gladau trägt, tritt nicht auf wie einer, der etwas zu | |
verlieren hätte. Sein Grundton ist aggressiv und gereizt, emotional gerät | |
er rasend schnell außer Kontrolle. Er schimpft über „Märchen“ und „Uns… | |
Einmal ereifert er sich lautstark: „Um was geht’s hier eigentlich, ’ne | |
politische Sache brauchen wir hier gar nicht aufmachen.“ | |
Drei Stunden dauert die Verhandlung, und am Ende gegen 20 Uhr verkündet | |
Frank Knuth, der Vorsitzende des FSA-Verbandssportgerichts das Urteil. Die | |
Voraussetzungen für einen Vereinsausschluss von Gladau, sagt er, seien | |
nicht gegeben. „Was zu beweisen wäre, war nicht bewiesen worden.“ Es ist | |
eine Ohrfeige für die FSA-Führung [3][um Präsident Holger Stahlknecht], der | |
vor Ort ist. Überrascht kann er kaum sein. Innerhalb der Verbandsflure | |
bleibt vor so einer wegweisenden Entscheidung selten geheim, in welche | |
Richtung die Waagschale kippt. Jetzt hat nur noch der Landessportbund von | |
Sachsen-Anhalt, der ebenfalls ein Ausschlussverfahren gegen Gladau | |
eingeleitet hat, die Möglichkeit, den Verein aus dem Sportbetrieb zu | |
verbannen. | |
Stahlknecht, der ehemalige CDU-Innenminister Sachsen-Anhalts, [4][hatte den | |
Ausschluss Gladaus vorangetrieben.] Am 7. November entschloss sich der | |
FSA-Gesamtvorstand dazu und machte einen Verstoß gegen Paragraf 2 seiner | |
Satzung geltend, in dem steht, dass der Verband allen Menschen offen stehe, | |
„sofern sie nicht rassistische, verfassungs- und fremdenfeindliche Ziele | |
vertreten“. | |
Nach einem Einspruch Gladaus ließ das Verbandsgericht diese unter strengen | |
Auflagen weiter am Spielbetrieb bis zum Urteil vom Dienstag teilnehmen. Nun | |
werden sogar die Auflagen komplett aufgehoben. Es ist ein Freispruch erster | |
Klasse. | |
## „Verfahren ist eine Katastrophe“ | |
Stahlknecht spricht direkt danach von einer „Niederlage im Kampf gegen den | |
Extremismus“. Eine rechtsextremistische Gesinnung Einzelner, das habe er | |
vom Gericht heute gelernt, reiche für einen Ausschluss nicht aus. Eintracht | |
Gladau fühle sich jetzt bestätigt, das habe man am Abklatschen der Spieler | |
nach dem Urteilsspruch sehen können. | |
Glücklich ist außer Dennis Wesemann und seiner Anhängerschaft niemand an | |
diesem Abend. Selbst der Verbandsrichter Knuth sagt danach: „Das Verfahren | |
ist für mich eine Katastrophe.“ Als Jurist habe er so entscheiden müssen, | |
„als Privatmensch“ habe er das nicht wollen. Auf Grundlage der jetzigen | |
Satzung habe er nicht anders urteilen können. Der Verband habe auch nicht | |
„vernünftig ausermittelt“. Ob sein Entscheidungskorridor wirklich so eng | |
war, darüber lässt sich gewiss auch unter Juristen streiten. | |
Die Gesinnung Einzelner, sagt Knuth in seinem Urteil, reiche für einen | |
Ausschluss „leider“ nicht aus. Später erläuterte er, die Gesinnung hätte | |
sich im Rahmen des Fußballverbands nach außen tragen müssen. Doch | |
Stahlknecht wendet ein, man könne Privates und Öffentliches nicht so | |
einfach trennen, schon gar nicht bei denen, die verantwortungsvolle | |
Positionen im Verein bekleiden. Wesemann übernahm bei Gladau die | |
sportliche Leitung im Juni 2023 nach der Wahl seines Cousins Max Kuckuck | |
zum Vereinsvorsitzenden. | |
Bei der Verhandlung ist die extremistische Gesinnung von Dennis Wesemann | |
mit Händen zu greifen. Auf mehrfache Bitte des Gerichts, doch die Frage zu | |
beantworten, was das auch in der FSA-Satzung verankerte Bekenntnis zur | |
freiheitlich-demokratischen Grundordnung für ihn persönlich bedeuten würde, | |
erklärt er: „Nein, mache ich nicht.“ | |
## Verfassungsschutz kennt Gladauer Spieler | |
Fragen zu seinem Versandhandel, über den er Kleidung mit | |
gewaltverherrlichenden Motiven und nicht für den Sport zugelassene | |
Baseballschläger mit der Aufschrift „Zahnfee“ vertreibt, beantwortet er | |
einsilbig. Warum diese Baseballschläger? „Weil ich damit Geld verdiene.“ | |
In der Magdeburger Regionalzeitung Volksstimme konnte er sich unlängst als | |
geläuterter Mann präsentieren. Zu seiner Vergangenheit sagte das einstige | |
Mitglied der Magdeburger Hooliganvereinigung „Blue White Street Elite“: | |
„Inzwischen bin ich seit sieben Jahren verheiratet. Ich habe ein Haus | |
gebaut. Ich denke, ich bin ein normaler Mensch, der morgens aufsteht und | |
zur Arbeit geht.“ | |
Der Verfassungsschutz des Landes Sachsen-Anhalt antwortete auf eine Anfrage | |
der taz, seinen Erkenntnissen nach befänden sich „unter den Spielern der | |
DSG Eintracht Gladau unter anderem Personen, die als Rechtsextremisten | |
bekannt sind“. Wie viele genau unter Beobachtung stünden, wollte die | |
Behörde grundsätzlich nicht mitteilen, um „Gegner unserer Demokratie“ nic… | |
mit Informationen zu versorgen, die ihnen nützlich sein könnten. Der FSA | |
hatte für den Prozess 27 Rechtsextreme bei Gladau identifiziert. Auch | |
anhand von Likes auf Social Media für Reichsbürger, Pegida, die | |
NPD-Nachfolgepartei „Neue Heimat“ oder ähnlich gesinnte Gruppierungen. | |
Für das gescheiterte Verbot von Eintracht Gladau sind tragischerweise auch | |
die verantwortlich, die zuvor eine Atmosphäre der Angst beklagt hatten. Es | |
sind Vereine, die zu den 22 Klubs zählen, die derzeit gegen eine der beiden | |
Männermannschaften von Eintracht Gladau antreten müssen. | |
## Sorge vor Hausbesuchen | |
Ein Klub bat vergangenen September vor dem Spiel gegen Gladau um | |
Polizeischutz und stellte in einem Schreiben fest, der Kreisfußballverband | |
Jerichower Land, die Schiedsrichter und die Vereinsangehörigen würden aus | |
Angst nichts unternehmen. Von den „Geschädigten“ wolle namentlich keiner in | |
Erscheinung treten aus Sorge vor nächtlichen Hausbesuchen. | |
[5][Der MDR berichtete von ähnlichen Stimmungslagen] bei anderen Vereinen. | |
Wobei die Betroffenen sich nur anonym äußern wollten. Nach Neugattersleben | |
ist keiner gekommen, obwohl alle Klubvertreter, wie Frank Knuth versichert, | |
von ihm geladen worden seien. | |
Ein Vereinsvertreter erklärt gegenüber der taz recht desillusioniert, er | |
sei dieses Theater leid. Er hätte geahnt, dass Gladau wieder zugelassen | |
wird. Vor 16 Jahren schon hätte es Gründe für ein Ausschlussverfahren | |
gegeben, als Dennis Wesemann noch beim SV Theeßen gegen den Ball trat. Er | |
berichtet von einem Spiel als Wesemann „mit seinen Truppen“ zu Gast gewesen | |
sei. Der Ausländeranteil im eigenen Team sei damals recht hoch gewesen. | |
Polenböller seien geworfen worden, der Rasen an vielen Stellen verbrannt | |
gewesen. Beleidigungen und Naziparolen hätte es gegeben, aber irgendwelche | |
Folgen hätte das damals nicht gehabt. | |
Die Funktionäre vom Kreisfußballverband (KFV) Jerichower Land müssen in | |
Neugattersleben schon von Amts wegen Rede und Antwort stehen. Und sie | |
weisen alle Vorwürfe, die gegen Eintracht Gladau im Raum stehen, zurück. | |
Den Vorwurf, die Gladauer hätten bei einem vereinsinternen | |
Freundschaftsspiel, bei dem auch Hitlergrüße gezeigt worden sein sollen, | |
mit Nazicodes gespielt (Endstand 8:8), versucht etwa der Vizevorsitzende | |
Jürgen Schulze, zu entkräften. Der Pensionär versichert, das wäre allein | |
seine Idee gewesen. Niemand hätte mehr den genauen Spielstand gewusst, da | |
habe sich das Schiedsrichterteam, zu dem er gehörte, ohne Einflussnahme | |
Gladaus auf diesen Spielstand verständigt. | |
## Umgang mit der Angst | |
Den Nazicode kenne er, daran habe er aber in dem Moment nicht gedacht. Er | |
sei aus allen Wolken gefallen, dass dies nun Gladau vorgeworfen werde. Im | |
Prinzip sei Eintracht Gladau ein ganz normaler Verein. Und die Ordnung im | |
Spielbetrieb sei nun besser als unter dem alten Vorstand. | |
Dass die Gladauer weiterspielen dürfen, haben sie auch den Beteuerungen der | |
Kreisverbandsfunktionäre zu verdanken. Diesen, stellt Frank Knuth vom | |
Verbandssportgericht klar, unterstelle er nicht, „in irgendeiner Weise | |
rechts gerichtet zu sein“. Andererseits empfiehlt er dem FSA wegen des | |
allzu milden Urteils des KFV gegenüber Gladau, diesem die | |
Sportgerichtsbarkeit zu entziehen und auf höherer Ebene zu entscheiden. | |
Eine Misstrauensbekundung, die darauf hindeutet: Knuth weiß sehr wohl, im | |
Fall von Eintracht Gladau wirken noch andere Kräfte. | |
Er selbst berichtet, bei seinem Umzug nach Burg vor über zehn Jahren habe | |
ihn ein Anwalt vor Dennis Wesemann gewarnt („Sieh dich vor“). Damals sei er | |
neben seiner Tätigkeit als Sportrichter Wesemann auch als Schiedsrichter | |
auf dem Feld begegnet. Er habe sich dort wie jetzt vor Gericht verhalten. | |
Wesemann glaube, er sei der King, der sich alles erlauben dürfe, weil | |
keiner es wagt, gegen ihn etwas zu sagen. | |
In der Verhandlung wirkt Knuth sehr bestimmt und angstfrei. Darauf | |
angesprochen sagt er: „Man darf die Angst nicht zeigen, das ist mein Credo, | |
auch wenn sie innerlich vielleicht da ist. Ich bin kein Kampfsportler, und | |
ich weiß, dass er einer ist. Aber ich vertraue da auf unsere Justiz.“ | |
15 Mar 2024 | |
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Johannes Kopp | |
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