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# taz.de -- Wachstumskrise und Ideenlosigkeit: Peking sucht nach Auswegen
> China steht kurz vor dem Nationalen Volkskongress vor großen
> Herausforderungen – auch ökonomisch. Der Druck auf Staatspräsident Xi
> Jinping wächst.
Bild: Xi Jinping während der Eröffnungszeremonie des Nationalen Volkskongress…
Peking taz | Wenn Chinas Abgeordnete am Dienstag die Große Halle des Volkes
betreten, dann demonstriert der Einparteienstaat beim Nationalen
Volkskongress eine beeindruckende politische Geschlossenheit: Gesetze
werden mit [1][„nordkoreanischen“] Zustimmungswerten abgenickt, Zeichen des
Dissens sind nicht im Protokoll vorgesehen. Doch außerhalb des Pekinger
Regierungsviertels zeigt sich sehr wohl, wie die Geduld innerhalb der
Bevölkerung langsam schwindet: Denn nach mehreren wirtschaftlich
schwierigen Jahren wächst der Druck auf Xi Jinping, dass er die passenden
Antworten auf die Krise liefert.
Wer dieser Tage durch die Provinzen fährt, der sieht ein Land, dessen
Boom-Jahre längst vorüber sind. Für die meisten Chinesinnen und Chinesen
ist die Pandemie mit empfindlichen Wohlstandsverlusten einhergegangen. Und
der erhoffte Post-Corona-Aufschwung ist ebenfalls ausgeblieben: Ein
Großteil der Bevölkerung musste Lohnkürzungen hinnehmen, viele
Universitätsabsolventen haben zudem Schwierigkeiten, einen adäquaten Job zu
finden.
Dennoch mehren sich die Zeichen, dass der Nationale Volkskongress nicht den
erwarteten Reformwurf bringen wird, auf den die Ökonomen hoffen. Denn
eigentlich hätten dieser bereits beim sogenannten dritten Plenum des 20.
Zentralkomitees angekündigt werden sollen. Doch das im November erwartete
Treffen fand bis heute nicht statt. Die meisten Experten deuten dies als
ernüchterndes Zeichen.
Ebenso passt ins Bild, dass die Regierung am Montag überraschend eine
wichtige Pressekonferenz von der Agenda des Volkskongresses gestrichen hat.
Der Ministerpräsident muss sich – erstmals seit mehreren Jahrzehnten –
nicht mehr den Fragen der JournalistInnen stellen. Dabei bot ausgerechnet
jenes Format eine seltene Möglichkeit, einen schmalen Blick auf die
Debatten im Machtapparat zu bekommen.
## Die Ziele der Regierung in Peking passen nicht zusammen
Vor genau zwölf Jahren etwa gab der damalige Premier Wen Jiabao bei jener
Presskonferenz ein denkwürdiges Zitat: „Ohne erfolgreiche politische
Reformen ist es uns unmöglich, die Wirtschaftsreformen vollständig
umzusetzen, und die Errungenschaften, die wir in diesen Bereichen erzielt
haben, könnten verloren gehen.“
Unvorstellbar, dass einer von Xi Jinpings Ja-Sagern mittlerweile eine
solche Mahnung öffentlich äußert. Dabei wäre sie derzeit passender denn je.
Denn über ein Jahr nach Ende der Null-Covid-Politik oszilliert die
Regierung weiterhin zwischen zwei Zielen, die ganz offensichtlich im
Widerspruch zueinander stehen: Wirtschaftswachstum und nationale
Sicherheit.
Immer wieder hat die Regierung [2][ambivalente Signale] ausgesandt: Wenn
etwa Premierminister Li Qiang beim Wirtschaftsforum in Davos die
internationalen Investoren umgarnt und das Geschäftsklima in China lobt,
während gleichzeitig die Aufsichtsbehörden Razzien bei westlichen
Beratungsunternehmen durchführen. Schlussendlich, so lautet die Erkenntnis
der meisten Beobachter, behält die nationale Sicherheit stets die Oberhand.
## Die Vereinigung mit Taiwan ist Teil der Vision Xi Jinpings
Wie sehr Xi Jinping den Kurs seines Landes prägt, hat nun der Historiker
Steve Tsang von der Londoner School of Oriental and African Studies (Soas)
gemeinsam mit seiner Kollegin Olivia Cheung analysiert. In ihrem neuen Buch
über die politische Gedankenlehre Xi Jinpings argumentieren sie, dass sich
die Hardware der Volksrepublik – ein Parteistaat nach leninistischem
Vorbild – zwar niemals geändert hat, jedoch Xi dem Land ein grundlegendes
Software-Update verpasst hat.
Als der heute 70-Jährige die Parteispitze übernommen hatte, befand sich das
Reich der Mitte in einer ideologischen Sinnkrise. Korruption und
Werte-Nihilismus hatten die kommunistische Partei ausgehöhlt. Xi reagierte
mit einer flächendeckenden Antikorruptionskampagne, die stets auch
politische Feinde ausgeschaltet hat. Und er weitete den Einfluss der
Parteizellen wieder in sämtliche Bereiche aus – von Privatunternehmen bis
hin zu Universitätsinstituten.
Dass Xi damit auch das rasante Wirtschaftswachstum ausbremste, übertüncht
er nun zunehmend mit nationalistischen Tönen. Das Versprechen an seine
Bevölkerung heißt die „große Verjüngung der chinesischen Nation“; eine
Vision, die auch eine Vereinigung mit dem demokratisch regierten Taiwan mit
einschließt.
## Wirtschaft im Vordergrund
Beim am Dienstag beginnenden Nationalen Volkskongress, dem nicht frei
gewählten Parlament der Volksrepublik, wird jedoch vor allem die Wirtschaft
im Vordergrund stehen. Allen voran gibt der Premierminister Li Qiang bei
seiner Rede am Eröffnungstag das [3][Wachstumsziel] für das laufende
Kalenderjahr bekannt. Zuletzt hatte die Parteiführung für 2023 „rund 5
Prozent“ ausgegeben. Doch an die offiziellen Zahlen glauben ohnehin nur
mehr die wenigsten: Zu sehr haben die Behörden in letzter Zeit
Informationszugänge versperrt und statistische Methoden verändert.
Wang Tao, China-Analystin der UBS-Bank, hat kürzlich in einem [4][Kommentar
in der Financial Times] dargelegt, dass die Maßnahmen zur Wiederbelebung
der Wirtschaft sehr wohl kein Geheimnis sind: Mit Kredithilfen für
Bauentwickler könnten Zahlungsausfälle im Immobiliensektor abgewendet und
das Vertrauen der Käufer wiederhergestellt werden, mit einem Stimuluspaket
könnte der historisch niedrige Binnenkonsum angekurbelt werden. „Chinas
Regierung verfügt über die Instrumente, um den derzeitigen Abschwung zu
überwinden“, schlussfolgert Analystin Wang: „Aber der Erfolg wird von
rechtzeitigem Handeln, politischer Koordinierung und politischem Willen
abhängen.“
Und dieser wiederum hängt zunehmend vom Willen einer einzigen Person ab.
Denn Xi Jinping hat sich im letzten Jahrzehnt radikal vom konsensbasierten
Führungsmodell des Zentralkomitees verabschiedet und sich stattdessen zum
„Kern“ der Partei erhoben. Als Alleinherrscher stehen ihm zwar
außergewöhnliche Steuerungsmöglichkeiten zur Verfügung, doch gleichzeitig
erhöht sich auch die Gefahr politischer Krisen: Dass etwa China derart
lange an seiner dogmatischen Lockdown-Politik festgehalten hat oder seit
Beginn des Ukrainekriegs eng an der Seite Putins steht, dafür trägt einzig
und allein Xi die Verantwortung.
Nun wird er sich an der wirtschaftlichen Leistung seines Landes messen
müssen. Bislang fällt die Bilanz durchwachsen aus.
5 Mar 2024
## LINKS
[1] /Westliche-Diplomaten-bei-Kim-Jong-Un/!5993176
[2] /China-der-Westen-und-die-Gefahr/!5990200
[3] /Deutschland-schwaechelt/!5992559
[4] https://www.ft.com/content/a210f7ee-ee2d-4fe3-9756-f05b70dad2ed
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
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