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# taz.de -- Berlinale-Dokufilm „Republic“: Bed Peace, World Peace
> Ein spannender Einblick ins subkulturelle China: Zwischen Bierdosen und
> Joints philosophieren die Film-Protagonisten über Musik und Maoismus.
Bild: Peking: Anarchie auf sechs Quadratmetern
Spielt sich ein Film auf knapp bemessenem Raum, auf sechs Quadratmetern ab,
befindet man sich allzu oft in einem Raumschiff. Und selbst da wird auf
beinahe zwei Stunden Filmlänge in der Regel mitunter ins Mission Control
Center geschaltet, damit einen im Kinosessel nicht die Klaustrophobie
befällt.
In „Republic“ wird die gleichnamige Mikro-Wohnung, die Kammer irgendwo in
Peking, gleich zu beidem, Kontrollzentrale und Raumkapsel, die sich selbst
auf Kurs hält. Bewohnt wird das Zimmer mit Hochbett von Li Eryang, einem
jungen Chinesen, der in sein bescheidenes Zuhause täglich zum großen
Come-together einlädt und von dem Dokumentarfilmer Jin Jiang mit großer
Geduld und der Kamera begleitet wird.
Die Zuschauerin erhält so einen seltenen Einblick in chinesische Subkultur,
lernt Punks, schüchterne junge Frauen und Straßenkids kennen. Zu Anfang
behandelt Eryang seine Höhle noch reinlich, die Reste der letzten Nacht
verschwinden morgens im Beutel seines Handstaubsaugers.
Mit der Zeit wird das Zimmer immer voller; mit Müll, aber auch mit
Menschen, von denen manche irgendwann selbst dann noch bleiben, wenn Eryang
zu seltenen Ausflügen in die Außenwelt aufbricht. Die Drogenexperimente,
vorzugsweise mit aus dem Internet bestellten Substanzen, potenzieren sich
ebenso ins Manische.
## Grenzen der Anarchie
Doch auch die Anarchie stößt in „Republic“ an ihre Grenzen. So versteht
einmal ein junger Mann das Konzept von offener Beziehung grundfalsch und
nimmt an, den männlichen Part um Erlaubnis zu fragen, um mit der weiblichen
Hälfte Sex zu haben, genüge. Doch wenn es um sexuelle Belästigung geht,
versteht Eryang keinen Spaß und klärt den Schuldigen über seinen Fehler
auf. Der versichert, verstanden zu haben, und bringt zerrbildartig die in
China beliebte kommunistische Praxis von Kritik und Selbstkritik im
privaten Rahmen zur Aufführung.
Überhaupt ist Kommunismus bei den jungen Chines:innen der „Republic“
erstaunlich trendy. Über Mao wird ausgiebig debattiert. Einen „Ball aus
Energie“ nennt Eryang den einstigen großen Steuermann, das Wort „dope“
fällt immer wieder. Die Dauerbeschallung durch Beatles-Musik aus der
[1][Ravi Shankar]-Phase, ein endlos kreiselnder Mandala-Desktop-Hintergrund
und die Gespräche über Frieden und Liebe – Eryang ist ein recht passiver
Hippie, der sich dem „Kampf für eine größere Sache“ verschrieben hat und
davon träumt, kollektiv „dem Volk zu dienen“.
Wie er das Hippie-Tum mit Maoismus verbindet, ist nicht inkonsequent,
gedenkt man der Bewunderung, die ein Teil der Linken in den 1960er und
-70er Jahren für den Führer in Peking hegte. Allerdings gehörte die
Mao-Begeisterung historisch eher zum Besteck des Widerstands, mit dem linke
Bewegungen bestehende Ordnungen und Regierungen angriffen. [2][In China
wurde der Maoismus zur Ersatz- und Staatsreligion] und schuf einen bis
heute allmächtig erscheinenden Einparteienapparat.
Ebenfalls nicht uninteressant ist Eryangs Begeisterung für halluzinogene
Drogen in dem Kontext. Experimente mit LSD führte die CIA in den 1960er
Jahren unter dem Vorwand durch, nach einem Heilmittel für die angeblich von
Chines:innen angewandte Gehirnwäsche zu suchen, [3][wie die Sinologin
Julia Lovell in ihrer großen Historie des Maoismus ausführt.] Doch die
Drogen fanden ihren Weg aus den Laboren zu den Studenten- und
Protestbewegungen – unter deren Anhängern wiederum nicht wenige zu
Mao-Jüngern wurden.
## Weder unpolitisch, noch indifferent
Jin Jiang werden diese Zusammenhänge natürlich bekannt sein. Der Regisseur
lebt und arbeitet bis heute in China. Von dem modernen China bekommt man in
„Republic“ nichts mit, was nicht in das kleine Zimmer passt. Womöglich
macht dieser Umstand den Film sogar so sympathisch: Er hebt sich deutlich
ab von den dystopischen Bildern, die man hierzulande sonst von der
chinesischen Jugend zu sehen bekommt, die zumeist als unpolitisch und
indifferent gegenüber Überwachungsarchitektur und immer weiter wachsender
Staatsmacht erscheint.
Wie Jiangs Protagonisten – man vergisst mitunter, dass „Republic“ ein
Dokumentarfilm ist – über die aktuelle Politik sprechen ist schräg, aber
wiederum konsequent. Eryang sieht den chinesischen Staatspräsidenten Xi
Jinping als Nachfolger Maos an, der weiter an einem gerechten China
schraubt. Begeistert liest er seinen Freunden, die darauf selten reagieren,
Postkartenweisheiten aus Xi Jinpings „The Governance of China“ vor. Einmal
kommt ein älterer Nachbar vorbei, der das vierbändige Buch im Regal
entdeckt. „Hast du das wirklich gelesen?“, fragt er lachend.
Irgendwann scheint jedoch auch Eryang einzusehen, dass sein kommunistisches
China ganz schön kapitalistisch geworden ist. Früher der einzige unter
seinen Freunden ohne Schulden, ist nun auch sein Kontostand tief ins Minus
gerutscht. Einen Job zu finden, der ertragreich genug ist, um seine Kosten
zu decken, scheint utopisch zu sein. Dass dieser Umstand nicht näher
ausgeführt werden muss, sagt vielleicht mehr aus über das moderne China da
draußen, als den jungen Republikanern bewusst ist.
22 Feb 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Julia Hubernagel
## TAGS
Schwerpunkt Berlinale
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Musik
KP China
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Kinder- und Jugendbücher
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