# taz.de -- Kino-Doku über Repression in China: Drakonische Strafen | |
> Der Dokumentarfilm „Total Trust“ von Jialing Zhang zeigt das | |
> Überwachungsregime in China. Die Regisseurin musste selbst ins Exil. | |
Bild: Zijuan Chen und ihr Sohn setzen sich aktiv für die Freilassung ihres Man… | |
Wenn Weiping Chang in seiner Videobotschaft aus dem Hausarrest grüne | |
Blättchen und sprießende Blütenknospen in die Kamera hält, erinnert das an | |
die legendären Gefängnisbriefe von Rosa Luxemburg mit ihrer Leidenschaft | |
für Kohlmeisen und die lebendige Natur. Wie die im Kaiserreich internierte | |
deutsche Kommunistin ist auch der chinesische Rechtsanwalt ein politischer | |
Gefangener – unter einem sich kommunistisch nennenden Regime. | |
Später kommt er ins Gefängnis, verhaftet wegen angeblicher „Anleitung zum | |
Umsturz“. In weiteren Botschaften spricht er von den dortigen Folterungen. | |
In der Außenwelt kämpft Ehefrau Zijuan Chen mit Petitionen gegen die | |
Behörden und sucht Öffentlichkeit für den Fall. Unterstützt wird sie dabei | |
von Changs einstiger Mandantin, der Journalistin Sophia Xueqin Huang, die | |
der Verleumdung angeklagt wurde, weil sie sexuelle Übergriffe von | |
systemtragenden Männern öffentlich machte. | |
Die junge Wenzu Li wurde jahrelang über das Schicksal ihres Ehemanns | |
Quanzhang Wang im Unklaren gelassen, der als Anwalt mit über 300 anderen | |
DissidentInnen während einer Repressionswelle im Juli 2015 verhaftet wurde. | |
Später wurde sie mit Gewalt daran gehindert, am Prozess teilzunehmen. | |
Nachdem Wang 2020 aus jahrelanger Haft entlassen wurde, steht die Familie | |
auf Schritt und Tritt unter behördlicher Überwachung. Oft gibt es auch | |
Streit mit dem kleinen Sohn, der den so lange vermissten Vater mit „Geh | |
doch wieder ins Gefängnis!“ beschimpft. | |
## Kampf gegen Abweichler | |
Die drei Frauen sind der rote Faden diese Dokumentarfilms, der mit vielen | |
heimlich gedrehten und zum Teil drastischen Szenen das Gewalt- und | |
Manipulationssystem der regierenden Kommunistischen Partei gegenüber | |
kritischen Abweichlern darstellt. Dabei wird die alltägliche schwierige | |
Situation der Familien selbst erweitert durch allgemeine Informationen zu | |
dem umfassende Überwachungssystem, dass 2012 mit eine Pilotprojekt im | |
nordostchinesischen Rongcheng begann. | |
Die Einrichtung einer flächendeckenden Kamerabeobachtung und kollektiver | |
Nachbarschaftswachen und die Erprobung des berüchtigten Sozialkreditsystems | |
aus Belohnungen und Strafen – 50 Pluspunkte etwa für 300 Stunden | |
Freiwilligenarbeit in Miliz oder Altenküche, 5 Minuspunkte für eine rote | |
Ampel. Für eine extravagante Hochzeit gibt es 20 Minuspunkte. Und auch | |
Petitionen werden mit 50 Punkten negativ angerechnet. | |
Mittlerweile gibt es im Land einen Strauß ähnlicher Programme, deren | |
Plakate und Propaganda-Clips mit ihren wohlklingenden und euphemistischen | |
Parolen („Konflikte auf Ebene der Bürger klären“) in den Film einmontiert | |
sind. Ein „China Center of Urban Development“ wirbt für die sogenannte | |
„Smart City“. Plakate kündigen eine Tagung zum Thema „Intelligent | |
Connectivity, Inspirational Cities“ im Herbst 2021 in Shanghai an. | |
## 170 Millionen Überwachungskameras | |
Das „Sky-Net“ mit seinen bisher mehr als 170 Millionen Überwachungskameras | |
im Land sollen in den nächsten drei Jahren um weitere 400 Millionen ergänzt | |
werden. Und die KI „Emotibot“ kann aus den so erfassten menschlichen | |
Gesichtern neun unterschiedliche Gefühle von Angst bis Trauer herauslesen, | |
kombinieren und dokumentieren. | |
Doch Repression geht auch ganz altmodisch, wenn nicht ausgewiesene | |
Vertreter ungenannter Behörden sich bei Gelegenheit (etwa am | |
Internationalen Tag der Menschenrechte) mit Absperrgittern und Kameras – | |
unangemeldet und manchmal tagelang – im Treppenhaus vor der Wohnungstür | |
einrichten. Oder fremde Personen anbieten, die Kinder zur Schule zu | |
bringen. Währenddessen bestimmen im Kinderzimmer der Hochhauswohnung in | |
Shanghai die wechselnden Lichtfarben flächendeckender Projektionen auf | |
benachbarte Gebäude den Nachthimmel vor den großen Fenstern. | |
Visuell und atmosphärisch beeindruckendes Material aus dem Inneren eines | |
Systems, das als bedrohliche Dystopie kommende Möglichkeiten von | |
Überwachung, Kontrolle und Steuerung durch künstliche Intelligenz aufzeigt. | |
Das ist technisch auch eine Vorschau auf das, was auf uns zukommt. | |
## Verschärfter Totalitarismus | |
Dennoch ist der von der Produktionsfirma Filmtank initiierte und der in den | |
USA lebenden chinesischen Filmemacherin Jialing Zhang („One Film Nation“) | |
realisierte Film vor allem das ganz spezifische Porträt eines Riesenreichs, | |
das in den letzten Jahren eine verschärfte Entwicklung zum Totalitären | |
durchgemacht hat. Behördenentscheidungen fallen hier unerklärt, | |
unerklärlich und unklärbar aus dem dunklen Nichts. | |
Am Ende des Films kommt dann auch noch Corona mit neuen Kontrollmechanismen | |
und der App als weiterem Straf-Instrument, um Dissidenten den Zugang zu | |
zentralen Bereichen des Lebens zu verweigern. „Total Trust“ reüssierte auf | |
ungezählten Dokumentarfilm-Festivals weltweit. Während Zijuan Chen und ihre | |
Familie im Oktober 2022 wie vorher schon die Regisseurin in die USA | |
ausreisten, konnte Sophia Xueqin Huang ein Stipendium in Großbritannien | |
nicht antreten. Sie wurde auf dem Weg zum Flughafen verhaftet. | |
5 Oct 2023 | |
## AUTOREN | |
Silvia Hallensleben | |
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