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# taz.de -- Album und Tour von Jards Macalé: Nervöses Lächeln in der Dunkelh…
> Jards Macalé blieb am Rand der brasilianischen Musikszene, obwohl er mit
> Stars arbeitete und Soloalben veröffentlichte. Nun kommt er erstmals
> hierher.
Bild: Exil in London, um 1970: Jards Macalé spielt auf dem Sofa, davor ist Cae…
Als Jards Macalé 2013 Ehrengast beim Filmfestival „Première Brasil“ in
Berlin war, wo das ihm gewidmete experimentelle Biopic „Jards“ gezeigt
wurde, erklärte er auf der Premierenparty jede*r Besucher*in, der er
vorgestellt wurde, als Erstes ungefragt: „Ich bin kein Tropicalist!“
Kein was? [1][Tropicalismo ist ja eine jener künstlerischen Bewegungen, die
sich immer mehr in einen Nebel auflösen, je intensiver man ihnen nachspürt]
– fast so, als hätte sich [2][der von solchartigen Bewegungen besonders
nachhaltig faszinierte chilenische Schriftsteller Roberto Bolaño] den
ganzen Spuk ausgedacht.
In ihrem Zentrum steht [3][das Album „Tropicália: ou panis et circensis“],
eine 1968 erschienene Gemeinschaftsarbeit der brasilianischen
Singer-Songwriter [4][Caetano Veloso, Gilberto Gil] und Tom Zé, der
Sängerinnen Gal Costa und Nara Leão, der Band Os Mutantes, des Arrangeurs
Rogério Duprat und des Dichters Torquato Neto.
## Proteste gegen E-Gitarren
Ihr Werk war der Versuch, den verschiedenen Bestrebungen, Brasilien an die
globalen Protestbewegungen und Avantgarden in verschiedenen Genres
heranzuführen, ein gemeinsames Gefäß zu schenken. Gil und Veloso hatten
bereits zuvor auf Soloalben den Ausbruch aus dem seit dem großen
Bossa-Nova-Erfolg erstarrten brasilianischen Songformat gewagt – etwa indem
sie E-Gitarren verwendeten, was ihnen wütende Proteste von rechts
(„Zerstörung unserer musikalischen Tradition“) wie links („Ausverkauf an
die US-dominierte kapitalistische Kulturindustrie“) einbrachte.
Nach Veröffentlichung des Albums zerstob die Tropicalismo-Bewegung in alle
Richtungen, was nicht zuletzt daran lag, dass die Militärdiktatur in
Brasilien die Daumenschrauben anzog und Gil und Veloso ins Exil nach London
zwang. Welche und wie viele andere Alben und Songs von welchen
Künstler*innen nun noch dem Tropicalismo zuzurechnen sind, darüber gibt
es ungefähr so viele Auslegungen wie es Tropicalismo-Expert*innen gibt.
## Immer präsent
Ähnlich verhält es sich mit der Zugehörigkeit von Jards Macalé zur
Bewegung. Er war präsent. Schon Mitte der 1960er arrangierte und leitete
der gebürtige Carioca die Band von Caetanos Schwester Maria Bethania,
später komponierte er Songs und arrangierte für Gal Costa. Macalé ging nach
London, als Gil und Caetano dort im Exil lebten, wurde Caetanos Bandleader
und musikalischer Direktor von dessen 1972 veröffentlichtem Album „Transa“.
Ebenfalls 1972 erschien Jards Macalés Soloalbumdebüt, schlicht „Jards
Macalé“ betitelt, das jetzt zu seinem 50. Geburtstag etwas verspätet vom
Kölner Gourmet-Label Week-End Records wiederveröffentlicht wird. Es zeigt
nicht zuletzt, was Macalé von den Tropicalisten unterscheidet: Der Mann war
in erster Linie Musiker, er erörterte nicht nächtelang Kunst, Politik und
die Weltlage mit Filmemachern, Malern und Dichtern wie es Caetano Veloso
tat und was auch maßgeblich in seine Kunst einfloss.
Macalé hatte Piano, Gitarre, Cello, Orchestrierung und Musiktheorie
studiert und wurde schließlich ein brillanter Gitarrist, der eine ganz
eigene Art kreierte, die Konzertgitarre funky zu machen. Das Format des
Albums ist ein Jamsession-Format – auch in der Song-zentrierten
brasilianischen Musikwelt eher eine Seltenheit.
Zwar ist jeder Titel ein Song mit Text (von Tropicalismo-Dichtern wie
Torquato Neto, Capinam und Waly Salomão), aber die Arrangements entwickelte
Macalé in Sessions mit dem Schlagzeuger Tutty Moreno, heute vor allem
bekannt als Gatte und Begleiter der Sängerin Joyce, und dem Gitarristen und
Bassisten Lanny Gordin, seines Zeichens auch eine sagenumwobene
Tropicalismo-Legende, der aufgrund einer chronischen Krankheit an einer
kontinuierlichen Karriere gehindert wurde.
## Verflossene Liebe
Zu dritt entwickeln sie trickreiche, Jazz-angehauchte funky Arrangements,
wie sie auch für das zu jener Zeit musikalisch so ausgesprochen fruchtbare
Brasilien eine Rarität blieben. Für Jards Macalé „erzählt jedes Album eine
Geschichte“, verrät er in den für die Wiederveröffentlichung verfassten
Linernotes. „Und diese war eine von verflossener Liebe und Abschieden, von
Dunkelheit und nervösem Lächeln inmitten der klanglichen Wärme, die jene
Gruppe von brillanten Musikern erzeugte, die sich mir für dieses Projekt
anschlossen.“
Die Erstveröffentlichung erfolgte zu einem Zeitpunkt, 1971, „als
Musikmachen in Brasilien extrem gefährlich war, weil die Militärdiktatur
gegen jede Art von Kunst im Land arbeitete.“
Zum Starruhm der Tropicalisten reichte es bei Jards Macalé nicht, er blieb
auch in Brasilien lange Zeit eher Underground. Für sein zweites Album,
„Aprender a nadar“ (Schwimmen lernen), entwickelte er 1974 mit dem Dichter
Waly Salomão seine eigene Bolaño-artige Bewegung namens „Morbeauty“
(zusammengesetzt aus „morbidity“ und „beauty“), die die Veröffentlichu…
nicht überlebte.
## In jüngster Zeit sehr produktiv
Später arbeitete Macalé mit dem Percussionisten Nana Vasconcelos und
widmete sich öfters den großen Samba-Poeten. Eine besonders aktive Zeit
erlebt er seit 2015, regelmäßig veröffentlicht er neues Material. 2019
wurde sein Album „Besta fera“ für den Latin Grammy nominiert, 2021 erschien
ein gemeinsames Doppelalbum mit der vergangenes Jahr verstorbenen
Bossa-Legende João Donato („Sintese do lance“).
Vor wenigen Wochen kam dann das Album „Mascarada“, auf dem er sich
unterstützt vom Sergio Krakowski Trio dem Samba-Urgestein Zé Keti widmet.
Mit 81 Jahren ist Jards Macalé nun zum ersten Mal in Deutschland live zu
erleben. Sein Weggefährte Caetano Veloso gibt dazu die Empfehlung: „Jeder,
der Brasilien wirklich kennenlernen möchte, muss Jards Macalé hören und
sehen.“
29 Feb 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Detlef Diederichsen
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