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# taz.de -- Rentenpaket II: Von und für Anzugträger
> Die Ampel-Regierung möchte Renten mithilfe des Kapitalmarkts sichern.
> Über das eigentliche Problem schweigt sie lieber: die Ungleichheit.
Bild: Anzugträger für Aktienrente: die Minister Lindner und Heil am 5. März
„Rente stabilisieren – mit neuen Mitteln“, lautet eine vielversprechende
Überschrift über dem [1][neuen Rentenpaket] der Regierung. Mit den neuen
Mitteln ist der Kapitalmarkt gemeint. Weil auf dem bekanntlich schon viele
Menschheitsprobleme gelöst wurden, kann gar nichts schiefgehen. Das
versuchen die betont staatsmännisch hinter Rednerpulten stehenden
Anzugträger Christian Lindner (FDP-Finanzminister) und Hubertus Heil
(SPD-Arbeitsminister) auf der dazugehörigen Pressekonferenz auszustrahlen.
Die blaue Wand hinter ihnen, auf der ganz oft „Rentenpaket II“ steht,
erinnert an Werbewände, vor die sich Fußballtrainer stellen. Wie der
Bayern-Trainer Thomas Tuchel vor einer Werbewand voller Allianz, Paulaner
und Audi. Seine dünnhäutigen Reaktionen auf kritische Nachfragen waren
zuletzt auch für neutrale Zuschauer schwer zu ertragen.
Der Zugang zum Thema Rente wird einem hier also bereits atmosphärisch
erschwert. Dabei fällt mir die Auseinandersetzung damit sowieso schon
schwer. Denn das Wort Rente löst bei mir ähnliche Impulse aus wie das Wort
Zahnarzt – um beides sollte man sich frühzeitig kümmern, damit es später
nicht sehr unangenehm wird. Zahnarzttermine nehme ich mittlerweile
regelmäßig wahr. Aber mit wie viel Rente ich rechnen darf, wenn ich so
weitermache wie bisher, das weiß ich nicht. Ehrlich gesagt will ich es auch
nicht wissen – und am liebsten so weit hinauszögern, bis es nicht mehr geht
und der Zahn gezogen werden muss.
Das liegt einerseits an der andauernden allgemeinen Klage über den
demografischen Wandel, der für Menschen meines Alters nur Übles bedeuten
kann. Andererseits vernachlässige ich das Thema Altersvorsorge vermutlich
auch, weil ich in einem Umfeld groß geworden bin, in dem man von der Hand
in den Mund lebt, in dem es immer erst mal darum geht, den Tag zu
überstehen – und dann mal schauen. Deshalb schrecke ich auf, als hätte ich
ein Alien gesehen, wenn Gleichaltrige anfangen, über Maßnahmen der
Altersvorsorge zu sprechen, die sie, meist unter Beratung ihrer Eltern,
getroffen haben. Wow!
## Ungerechtigkeit, die über die Rente hinausgeht
Was ich von zu Hause mitbekommen habe, ist der Rat, dass man von der Rente
nicht zu viel erwarten sollte. Die Hälfte aller Rentner:innen in
Deutschland bekommt [2][weniger als 1.050 Euro netto] gesetzliche Rente im
Monat. Damit gelten sie [3][als armutsgefährdet], wenn sie nicht weitere
Einkünfte haben.
Der Witz schließlich ist, dass diejenigen, die eine bessere Rente bekommen,
in der Regel gar nicht erst auf diese angewiesen sind, weil sie besser
verdient haben und auch auf anderes Vermögen zurückgreifen können. Außerdem
leben sie [4][länger als diejenigen], die sich kaputtgeschuftet haben, um
dann die noch verbleibende kurze Lebenszeit in Armut abzusitzen.
Deshalb kann ich staatsmännische Anzugträger vor blauen Werbewänden nicht
ernst nehmen, solange sie über die [5][„Chancen des Kapitalmarkts“]
(Lindner) sprechen statt über jene unerträgliche Ungerechtigkeit, die weit
über das Thema Rente hinausgeht.
Dem Fußballtrainer Thomas Tuchel dagegen höre ich wieder sehr gerne zu,
seitdem er mithilfe anderer Konsequenzen daraus gezogen hat, dass das mit
ihm und dem FC Bayern nicht so recht zusammenpasst, weshalb die
Zusammenarbeit zu Saisonende beendet wird. Am Samstag haben die Bayern die
Mainzer übrigens mit 8 zu 1 Toren besiegt.
13 Mar 2024
## LINKS
[1] /Ampel-stellt-neues-Rentenpaket-vor/!5993621
[2] https://www.zeit.de/geld/2024-03/rente-verteilung-einkommensklassen-rentenp…
[3] https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Demografischer-Wandel/Aeltere…
[4] /Soziologin-ueber-soziale-Ungerechtigkeit/!5789872
[5] https://www.tagesschau.de/inland/heil-lindner-rente-100.html
## AUTOREN
Volkan Ağar
## TAGS
Rente
Aktienrente
soziale Ungleichheit
Altersarmut
Christian Lindner
Hubertus Heil
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IG
Haushaltsstreit
FDP
Schwerpunkt Armut
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Schwerpunkt AfD
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