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# taz.de -- Vorwärts! Oder zurück?: In einem aufgewühlten Land
> Wirtschaftsminister Habeck und Sachsens Ministerpräsident Kretschmer
> sprechen über Transformation. Doch hat die Gegenwart überhaupt Raum für
> Zukunft?
Bild: Wirtschaftsminister Habeck und Ministerpräsident Kretschmer beim 5. Gesp…
Zufälligerweise, und das ist jetzt echt nicht erfunden, habe ich mir vor
ein paar Tagen die dunkelblaue Suhrkamp-Ausgabe von Hans Jonas’ „Das
Prinzip Verantwortung“ noch mal aus dem Schrank geholt, auf der Suche nach
Rat. Darum steckte sie am Montagabend in meiner Tasche – aber leider kein
Block: Die Mitschrift des „5. Gesprächs zur Transformation“, zu dem
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sich den sächsischen
Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) in sein Berliner Ministerium
eingeladen hatte, steht deswegen nun auf den Seiten des Taschenbuchs,
kleiner und ordentlicher als sonst, weil so wenig Platz war.
So zufällig wie passend. Denn wo besser ließen sich [1][Gedanken zur
Transformation, also zur Zukunft,] festhalten als in einem Buch, das sich
mit der Frage nach dem richtigen politischen Handeln von Menschen befasst,
die über die Technologie zur Selbstzerstörung verfügen und die, erstmals in
der Geschichte, weit über sich selbst hinaus denken müssen und können.
Über „Wertschöpfung und Wertschätzung“ wollten Habeck und Kretschmer red…
auch das eine gute Wahl. Denn wie wir mit der Aussicht, dass uns die
Grundlagen unseres Wohlstands (stabiles Klima, Bodenfruchtbarkeit) abhanden
kommen, neue Modelle für Wertschöpfung entwickeln können, ist grundlegend.
Und wie wir bei dem brutalen Neuanfang, den wir dazu wagen müssen,
wertschätzend mit unseren Zeitgenossen, aber auch mit unserer eigenen
Vergangenheit als Industrienation umgehen, ebenso.
Wohl deshalb war die Hütte voll. Unter dem zahlreich erschienenen, nicht
nur graumelierten, sondern sogar auffallend jungen Publikum, das vor dem
Gespräch bei Baguette mit Olivenpaste und Tomatenspießchen zusammenstand,
flirrte es. Man war gespannt, was diese beiden so unterschiedlichen
Politiker sich wohl zu sagen hätten. „Eigentlich mögen die sich ja“, war
sich ein junger Lobbyist sicher, der kurz vor sieben in Richtung
„Ludwig-Erhard-Saal“ schlenderte.
So sah es auch aus, als die beiden erschienen, in etwa gleich groß, Habeck
ohne Schlips, Kretschmer mit, nahmen sie scherzend Platz auf der Bühne. Das
Blau im Hintergrund traf in etwa das des Jonas’schen Suhrkamp-Bandes – aber
das war’s schon mit der Gemeinsamkeit. Denn Habeck und Kretschmer sprachen
nicht über Verantwortung für die Zukunft. Vielmehr konnte man ihnen dabei
zuhören, wie sie mühsam versuchten, das zu erhalten, was politische
Gestaltung überhaupt möglich macht: den demokratischen Diskurs.
## Sich in der Sorge treffen
Er finde es stark, sagte Habeck, wie gesprächsbereit Kretschmer immer
wieder sei in seinem Bundesland, [2][„das seine demokratischen
Herausforderungen hat“]. Parteien könnten verschiedener Meinung sein, sagte
Kretschmer, „aber sie seien deshalb keine Feinde, keine Gegner“. Man müsse
andere Meinungen „anständig besprechen“, in der Lage sein, „auch einmal …
Position des anderen einzunehmen“. Immer wieder bedankten sie sich artig
für die Einladung des einen und das Erscheinen des anderen. Die drohenden
Wahlerfolge der AFD in Sachsen, in Brandenburg und Thüringen bildeten den
Hintergrund des Gesprächs. In der Sorge davor treffen sich die beiden. Sie
lässt keinen Raum für eine radikal streitbare Diskussion.
Habeck erklärte, wie er sich ein effektives Subventionsmodell für die
Transformation der deutschen Industrie vorstellt, auf Basis von
Steuergutschriften. Er sei „sehr motiviert, diese Debatte zu führen“.
Kretschmer sagte dazu nichts. Ihn beschäftigt, dass vor allem die
Arbeitnehmerinnen so viel Teilzeit arbeiten, eine Ursache für den
Fachkräftemangel. Dazu sagte Habeck nichts. Er spricht über das
Strommarktdesign, über die Schuldenbremse, über Digitalisierung. Kretschmer
spricht über das Lieferkettengesetz, Handelsabkommen und Agrardiesel.
Habecks Leitfrage könnte lauten: 'Schaffen wir es i[3][n dieser doofen
Ampel] (er mag offenbar das Wort „doof“), die Wirtschaft wenigstens so zu
drehen, dass sie in die richtige Richtung schaut?' Kretschmers roter Faden
führt zurück in eine Zeit, in der Globalisierung vor allem eine Chance war
und nicht ständig Problem und Verantwortung. Der eine steckt tief in der
Gegenwart, der andere im Gestern. Vielleicht lässt sich über Zukunft gerade
einfach nicht sprechen [4][in diesem verunsicherten und aufgewühlten Land.]
Dementsprechend waren Wein und Häppchen nach der Debatte wieder
nachgefragt, die Gäste aber ratlos. Die beiden hätten gar nicht übers Klima
gesprochen, nicht über die inhaltlichen Differenzen zwischen Grünen und
CDU, wunderte man sich an einem Stehtisch.
Der Politik-Leistungskurs des Beethoven-Gymnasiums aus Berlin-Lankwitz aber
war angetan. Habeck und Kretschmer hätten sachlich und freundlich
miteinander gesprochen, nicht so wie im Fernsehen. Ob grünes Wachstum
möglich ist oder die Zukunft in „Degrowth“ liegt, darüber hätten die
Schüler zwar gerne mehr erfahren; zufrieden waren sie aber doch – „wir
machen das ja jetzt im Unterricht.“
Vielleicht lese ich als nächstes Mal wieder „Das Prinzip Hoffnung“.
12 Mar 2024
## LINKS
[1] /Wirtschaftsexperte-ueber-Konjunkturflaute/!5992601
[2] /AfD-im-Erzgebirge/!5978070
[3] /Konsens-in-der-Ampel-gesucht/!5979152
[4] https://www.cnbc.com/2024/02/12/germanys-economy-is-on-shaky-ground-and-the…
## AUTOREN
Heike Holdinghausen
## TAGS
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