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# taz.de -- Psychologe über Klimaschutz-Weitsicht: „Ernüchternde Befunde“
> Hildesheimer Psycholog*innen haben nachgewiesen, dass die Interessen
> künftiger Generationen bei aktuellen Verhandlungen kaum berücksichtigt
> werden.
Bild: Finden im intergenerationellen Gespräch kein Gehör: Aktivist*innen wie …
taz: Herr Majer, Ihre Forschung bestätigt, dass die Interessen
nachfolgender Generationen in Verhandlungen kaum berücksichtigt werden. Wie
schlimm ist die Lage?
Johann Majer: Es ist tatsächlich ein sehr ernüchternder Befund. Er zeigt,
dass wir nicht davon ausgehen können, dass die Interessen nachfolgender
Generationen in Verhandlungen berücksichtigt werden.
Wie haben Sie das untersucht?
Wir haben Proband*innen in verschiedene simulierte Konfliktsituationen
hineinversetzt und ihnen jeweils Informationen über ihre eigenen Interessen
und über die der nachfolgenden Generationen gegeben. Einmal ging es zum
Beispiel um konkurrierende Forstbetriebe, die untereinander Ressourcen,
also Holz, verteilen sollten. Es besteht immer ein Konflikt, der zwischen
den Parteien gelöst werden soll. Die Konfliktlösung bestimmt aber auch, wie
die Situation für künftige Generationen gestaltet wird.
Diese Lösungen haben die Interessen nachfolgender Generationen nicht
berücksichtigt?
Genau.
Welche Faktoren haben Einfluss auf die Berücksichtigung?
Wenn Parteien der Gegenwart Abwägungen zwischen ihren eigenen Interessen
und denen nachfolgender Generationen treffen mussten, waren ihre
Verhandlungslösungen sehr selbstdienlich. Da haben wir uns gefragt: Was
ist, wenn wir die Verhandlungsparteien kompensieren? Also in dem Beispiel
gesprochen: Für jeden Baum, den ihr stehen lasst, also für die nachhaltige
Lösung, bekommt ihr eine Kompensation. Trotzdem haben wir praktisch das
gleiche Ergebnis herausgefunden: Der Effekt war nicht ganz so stark wie in
den ersten zwei Studien, aber er war immer noch da. Dabei hätten die
Konfliktparteien in diesem Setting nur daran denken müssen, die Interessen
nachfolgender Generationen zu berücksichtigen! Das ist sehr ernüchternd.
In der Realität werden die Interessen nachfolgender Generationen oft nicht
berücksichtigt, obwohl sie am meisten unter der [1][Klimakrise] leiden
werden.
In unserem dritten Setting waren die Auswirkungen auf nachfolgende
Generationen stärker, davor hatten wir die Labor-Settings symmetrisch
aufgebaut. Das dritte Setting ist die Variante, die der Realität am ehesten
entspricht. Selbst da war der Effekt ähnlich, in der Tendenz sogar noch
stärker.
Wieso werden die Interessen folgender Generationen nicht berücksichtigt?
Empirisch können wir darüber noch keine Aussagen treffen. Ein erster Fokus
zukünftiger Forschung sollte sein, den psychologischen Prozess genauer zu
verstehen: Ist das ein bewusstes Ausblenden der Interessen nachfolgender
Generationen, also eine „intergenerationale Ignoranz“?
Haben Sie eine These, womit diese Ignoranz zusammenhängen könnte?
Da kommen viele psychologische Barrieren zusammen: Zum Beispiel die
Unsicherheit, was überhaupt für künftige Generationen bleibt. Außerdem
haben wir eine Machtasymmetrie: Diejenigen am Verhandlungstisch können
entscheiden, zukünftige Generationen haben keine Stimme und sind auf
Rücksicht der Verhandlungsführer*innen angewiesen. Sie können auch
nicht reziprok handeln: Wenn ihnen also jemand etwas Gutes tut, können sie
das nicht zurückgeben. Das ist über die Zeit gar nicht möglich. Eine andere
spannende Frage ist: Wir haben zwar diese ernüchternden Befunde, aber was
können wir tun, um die Interessen nachfolgender Generationen an den
Verhandlungstisch zu bekommen? Ein Aspekt könnte sein, eine gemeinsame
soziale Identität herzustellen und zu stärken.
In die andere Richtung funktioniert Solidarität – Stichwort Rente. Wie
können folgende Generationen ihre Interessen vertreten, so wie es ältere
tun?
Es gibt schon viele gute Ansatzpunkte. Da draußen gibt es ja nicht nur
Forschung, sondern viele Organisationen und Institutionen, die versuchen,
darauf einzuwirken, dass wir die Interessen künftiger Generationen
berücksichtigen und die Asymmetrie am Verhandlungstisch aufheben. Es ist
wichtig, diese Arbeit zu unterstützen und diesen Organisationen eine
stärkere Stimme zu geben.
Also [2][FFF] an den Verhandlungstisch?
Ja genau! Oder wir bestimmen jemanden, der diese Interessen stärker
vertritt, als unsere Institutionen es derzeit tun.
Wir diskutieren hier über hochpolitische Fragen. Welche Rolle kann die
[3][Psychologie] dabei spielen?
Unser Fach ist maßgeblich an den psychologischen Prozessen interessiert,
also: Wie fühlen Leute, wie nehmen sie wahr, wie verhalten sie sich? Wir in
unserer Forschung betrachten aber interaktive, also letztlich kollektive
Entscheidungsprozesse. Außerdem sitzen in allen wichtigen Positionen in
Politik, Unternehmen, Organisationen trotz allem Menschen, und bei denen
können wir ähnliche Prozesse, Fehleinschätzungen und Biases beobachten. Die
können wir mithilfe der Psychologie besser verstehen und ansprechen.
Wo kann politische psychologische Forschung ansetzen?
Eine große Debatte ist: Was kann die Psychologie zur
[4][sozial-ökologischen Transformation] beitragen? Bisher hat sie sich
darauf fokussiert, Individualverhalten wie Konsum zu verändern. Das ist
auch wichtig, aber ich denke, wir sollten uns zusätzlich auf höhere
Entscheidungsebenen konzentrieren: Was sind die Probleme auf den Ebenen, in
denen die strukturell wichtigen, systemrelevanten Entscheidungen getroffen
werden, also in Unternehmen und Politik? Wichtig ist auch die Akzeptanz
politischer Maßnahmen: Die ausgehandelten Entscheidungen müssen von der
[5][Gesellschaft] angenommen werden. Das ist eine sehr aktuelle Debatte und
ich würde sagen: Wir brauchen beides!
11 Mar 2024
## LINKS
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[4] /Sozial-oekologische-Transformation/!5932526
[5] /Gesellschaft/!p4611/
## AUTOREN
Selma Hornbacher-Schönleber
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