| # taz.de -- Emmy-Gewinner „Shōgun“: Japan, ganz unromantisiert | |
| > Bei den Emmy's gewann „Shōgun“ 18-mal, darunter Beste Drama-Serie und | |
| > beide Drama-Hauptdarstellerpreise. Lesen Sie hier die Rezension. | |
| Bild: Hiroyuki Sanada als Fürst Yoshii Toranaga | |
| Wenn sich westliche Medien dem asiatischen Raum nähern, insbesondere Japan, | |
| wird es schnell kritisch. Dann ist die Rede von den tödlichen Ninjas und | |
| edlen Samurais und einem Land voll exotischer Schönheit, das im Einklang | |
| mit sich selbst lebt. Das historische und selbst das moderne Japan wird in | |
| der Popkultur oft verklärt und romantisiert. | |
| Das Ergebnis ist ein Zerrbild des Inselstaats, das mit der Realität kaum | |
| etwas gemein hat. Die neue zehnteilige Serie „Shōgun“ umschifft diese | |
| Klippen, indem sie die japanische Kultur bewusst durch westliche Augen | |
| betrachtet. Selbst [1][vor der Serien-Größe „Game of Thrones“] muss sich | |
| die Serie nicht verstecken, im Gegenteil. In vielerlei Hinsicht ist | |
| „Shōgun“ schon jetzt die Serie des Jahres. | |
| Die Serie basiert auf dem gleichnamigen Roman des Briten James Clavell, der | |
| im Zweiten Weltkrieg in japanische Kriegsgefangenschaft geriet. Serie wie | |
| Roman basieren lose auf dem Leben des Reisenden William Adams, der im 16. | |
| Jahrhundert nach Japan segelte. In Clavells Fiktion ist es der englische | |
| Seefahrer John Blackthorne (Cosmo Jarvis), der vor der japanischen Küste | |
| Schiffbruch erleidet. Er gerät in Gefangenschaft und wird dem Fürsten | |
| Toranaga (Hiroyuki Sanada) in der Stadt Osaka vorgeführt. Durch die | |
| Sprachbarriere werden beide nicht wirklich schlau übereinander. Ein | |
| portugiesischer Priester übersetzt zwar die Gespräche, doch als Protestant | |
| ist Blackthorne kein Freund des Katholizismus. Aber Toranaga nimmt den | |
| Schiffbrüchigen in Schutz, denn er braucht Unterstützung im Machtkampf mit | |
| anderen Fürsten. Denn sie alle kämpfen um die Position des Shōguns, des | |
| Staatsoberhaupts. | |
| Die Sprachbarriere trennt nicht nur die Charaktere, sie erhebt sich auch | |
| vor uns, dem Publikum. Sprechen die Figuren japanisch miteinander, sind | |
| Untertitel zwingend notwendig. Während Purist:innen sich über den | |
| eingebauten Originalton freuen, wird das manche abschrecken. Doch „Shōgun“ | |
| macht deutlich, dass die Sprache Teil der Erfahrung ist. Nicht nur | |
| Blackthorne wird mit einer anderen Kultur konfrontiert, auch die | |
| Zuschauer:innen werden das. | |
| Und während das Verständnis der meisten westlichen Zuschauer:innen für | |
| die japanische Sprache begrenzt ist, fehlt den Japaner:innen die | |
| Kenntnis über das Christentum. So versteht Fürst Toranaga nicht, wieso man | |
| im Protestantismus und Katholizismus an denselben Gott glaubt und sich | |
| trotzdem streitet. | |
| ## Eine naive Identifikationsfigur | |
| Visuell macht die Serie nicht den Eindruck einer TV-Produktion, [2][sondern | |
| vielmehr den eines groß produzierten Kinofilms.] Und obwohl viele moderne | |
| Serien hohe Budgets haben, können doch nur wenige die Größe und Bandbreite | |
| ganzer Welten und Epochen fassen. Durch hervorragende Kostüme und | |
| Setdesigns greift „Shōgun“ das feudale Japan glaubhaft auf und erzählt wie | |
| schon die Romanvorlage eine multiperspektivische Geschichte. | |
| Blackthorne ist dabei [3][keineswegs eine White-Savior-Figur], wie sie in | |
| Filmen wie „Hidden Figures“, „Avatar“ oder im Oscar-Gewinner „Green B… | |
| vorkommen. Den weißen, westlichen, heldenhaften Mann, der einer fremden | |
| Kultur die kultivierte Zivilisation näherbringt, suchen wir hier vergebens. | |
| Mit Blackthorne bekommen wir eine eher pragmatische, in Teilen auch naive | |
| Identifikationsfigur, die von den Fürsten als Instrument für ihre | |
| politischen Intrigen genutzt wird. Wir sehen Japan zwar durch seine Augen, | |
| doch ist es nicht der „Western Gaze“, der nicht selten rassistische | |
| Stereotype transportiert. | |
| Der Kritiker und Pionier des Postkolonialismus Edward Said formulierte 1978 | |
| in seinem berühmten Buch „Orientalism“, wie der westliche Blick den | |
| arabischen Kulturraum exotisiert und verfälscht. Nichts anderes passiert in | |
| der Popkultur mit Japan. Solche Fehltritte leistet sich „Shōgun“ nicht. Ein | |
| großes Serien-Highlight. | |
| 3 Mar 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Martin Seng | |
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