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# taz.de -- Neue Anime-Serie auf Netflix: Rache, Blut, Schnee
> Die Netflix-Serie „Blue Eye Samurai“ ist ein ästhetisch beeindruckender,
> antikolonialer Splatter-Anime. Sie erinnert an Tarantinos „Kill Bill“.
Bild: Das Markenzeichen der Protagonistin Mizu in der Serie ist ihre Holzbrille…
In der Anime-Serie „Blue Eye Samurai“ ist jedes Bild ein bisschen
indigofarben, düster und mystisch. Ständig hängt Nebel über den Tälern und
Wäldern Japans, oft liegt Schnee. In den Abendstunden fällt dichter
japanischer Regen. Lediglich irgendwo in einer Holzhütte brennt dann ein
kleines Feuer.
In diese düstere, warme Stimmung hinein hält in der Eröffnungssequenz ein
Herr in einer Taverne eine Pistole auf Mizu. Man ist im Japan des 17.
Jahrhunderts. Langsam kommt das Gesicht der weiblichen Samurai unter einem
Reishut zum Vorschein. Man sieht ihre elegante Holzbrille mit orangen
Gläsern, ihr Markenzeichen. Mizu bringt einen coolen Spruch und hackt dem
Mann zwei Finger ab.
„Blue Eye Samurai“ ist vielleicht einer der ästhetisch aufregendsten
[1][Animes] der letzten Jahre. Seine Handlung spielt zu Beginn der
Edo-Zeit, jener 250-jährigen, von 1603 bis 1868 dauernden Friedensphase und
fast genauso lange anhaltenden Abschließung Japans. Fast alle europäischen
Händler und Missionare waren in dieser Zeit der Insel verwiesen. Auch die
Einfuhr von Feuerwaffen war strengstens verboten. Diese politische Lage
grundiert die gesamte, immer zwischen Frieden und Gewalt oszillierende
Serie.
Vor ihrer Geburt vergewaltigten „Weiße“ Mizus Mutter. So werden die
Europäer in der Serie genannt. Da sich zu dieser Zeit lediglich noch vier
von ihnen im Land befanden, hat Mizu gleich vier mögliche Väter. Als ob ein
Fluch auf ihr liegen würde, wird kurz nach ihrer Geburt auch noch ihre
Mutter ermordet. Aus Rache möchte Mizu die Männer töten, die ihr das
angetan haben. Alle vier möglichen Väter. Die Suche nach einem von ihnen
bildet die Handlung der ersten Staffel.
Der verdrängte Horror
Mizus Zorn wird noch dadurch verstärkt, wie die japanische Gesellschaft auf
sie als „Unreine“ reagiert. Ihre saphirblauen Augen verraten sie als eine
Person, die nicht nur japanische Vorfahren hat. In ihrer Kindheit erfährt
sie deshalb schreckliche Gewalt durch ihre Altersgenossen. In ihrem
Erwachsenenleben wird sie gefürchtet. Die junge Frau verkörpert den ganzen
Horror, der dem scheinbar ewigen Frieden vorausging. Doch die Gewalt, die
er zu bannen versucht, ist längst Teil der japanischen Gesellschaft
geworden. Mizu steht für das Verdrängte der in Japan oft romantisierten
Edo-Zeit, den sie heimsuchenden Schatten.
Die Frau muss sich in vielerlei Hinsicht verstecken. Zum einen verbirgt sie
ihre Augen hinter ihrer Holzbrille mit den orangen Gläsern. Zum anderen
muss sie ihr Geschlecht verbergen. Mizu gibt sich als Mann aus.
Vier Männer, Vergewaltigung, Mutter, Rache: Im japanischen Kino gab es
diese Konstellation zuvor schon im Actionklassiker „Lady Snowblood“ (1973),
der auf einem Manga basierte. [2][Quentin Tarantino] setzte dem Film mit
„Kill Bill – Volume One“ (2003) ein Denkmal.
Es geht um Rache
Wie Lady Snowblood, und damit anders als die Samurai, will Mizu keine Ehre.
Sie will Rache. Und selbst wenn sie zwischendurch mal etwas anderes wollte,
findet sie niemanden, der es mit ihr aushalten würde. Denn sobald die
Menschen herausfinden, wie gefährlich sie ist – Mizu ist eine begnadete
Kämpferin – und dass kein Gesetz sie bändigen kann, kriegen sie es mit der
Angst. Ihr Umfeld sieht in ihr einen Dämon.
Folgt man der Hauptfigur gerade einmal nicht durch eine nebelverhangene
Winterlandschaft zwischen morschen Bäumen hindurch, erstrahlen die Bilder
von „Blue Eye Samurai“, in Bordellen, Tavernen oder in den Gärten und
Häusern des japanischen Adels, in goldenem Glanz. Dieser Wechsel zwischen
warmen Licht und dunklem Indigo erinnert manchmal an Inszenierungen der in
Japan spielenden Oper „Madama Butterfly“ (1898) von Giacomo Puccini.
Aber erst in Verbindung mit dem Sound werden die stimmungsvollen, weichen
Animationen zu dem Meisterwerk, das sie sind. Die Geräusche sind so rein
und realistisch, dass allein das Schaukeln von Lampions im Wind oder das
Schlagen von Eisen in einer Schmiede aufregend ist. Auch reden die Figuren
oft langsam. Jeder Sound hat seinen Raum, genauso wie jeder Satz. Die Musik
ist episch und romantisch.
In Mizus Stimme, die ihr die amerikanisch-japanische Schauspielerin Maya
Erskine leiht, ruht „Blue Eye Samurai“ wie in einem trügerisch-sanften,
aber gefährlichen Gewässer. Fast knurrt Mizu ihre Sätze in die
schneebedecke Stille Japans, ihr Ton ist ruhig und bestimmt und immer
schrecklich cool. Dennoch ist die Serie auch witzig. Mizus dicklicher
Begleiter Ringo, der einst der beste Ramenkoch der Welt werden wollte,
fordert Mizus’ Ernsthaftigkeit durch seine kindliche Abenteuerlust heraus.
Grausig-schöne Szenen
In „Blue Eye Samurai“ spritzt regelmäßig Blut in alle Richtungen, manchmal
vor einem orange-violett flirrenden Sonnenuntergang. Doch selbst solche
Szenen sind stets grausig-schön anzusehen und erinnern oft an Tarantino –
nicht nur wegen „Kill Bill“ und dessen Splatter-Charakter, sondern auch
wegen der auratischen Einsamkeit Mizus und der Sprüche, mit denen diese
ihren Feinden begegnet.
Geschrieben wurde der Anime von US-Amerikanern. Michael Green verfasste zum
Beispiel das Drehbuch für [3][„Blade Runner 2049“ (2017)]. Die zweite
Drehbuchautorin, Greens Frau Amber Noizumi, war bis dato eher unbekannt.
Wenn man so eine Ruhe und Eleganz bei gleichzeitiger Bildschärfe in
Animationen schon einmal gesehen hat, dann vielleicht in den
Zwischensequenzen von Videospielen; in Animes kaum. Die erste Staffel wurde
bejubelt, Netflix hat bereits die Produktion einer zweiten angekündigt.
6 Feb 2024
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## AUTOREN
Jens Winter
## TAGS
Anime
Japan
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