# taz.de -- Henry Fondas Filmrollen: Reise durch das amerikanische Kino | |
> Alexander Horwaths Film „Henry Fonda for President“ setzt ein Denkmal für | |
> einen Schauspieler. Es geht um Bilder zivilisierter Männlichkeit (Forum). | |
Bild: Beeindruckend trostlos sind die Orte in „Henry Fonda for President“ | |
Im Wahljahr 1976 lieferte der Hollywoodstar Henry Fonda in der Sitcom | |
„Maude’s Mood“ einen perfekt geschriebenen Cameo-Auftritt. Als Schauspiel… | |
auf Jobsuche platzt er irrtümlich in die Party, in der die aufgedrehte | |
Maude ihre Kampagne „Henry Fonda for President“ starten will. Sie preist | |
seine spiritual honesty und seine Immunität gegen Korruption und meint | |
damit – ein Wink mit dem Zaunpfahl – das gegenteilige Image des | |
republikanischen Vorwahlkandidaten Ronald Reagan (der am Ende erst 1981die | |
Wahl gewann). | |
Fonda lehnt die Ehrung ab, denn eine Katze könne zwar im Backofen Kätzchen | |
zur Welt bringen, aber Kekse könne man nicht daraus backen. Aura und | |
handfeste Realitäten sind eben zweierlei, auch wenn Kino, Fernsehen und | |
Celebrity-Ruhm die Grenzen im Zeitalter der „Gesellschaft des Spektakels“ | |
(Guy Debord) immer effizienter verwischt haben. | |
Das nonchalante Nein deutet der Filmessay „Henry Fonda for President“ von | |
[1][Alexander Horwath] in einem komplexen, keine Minute langweilenden | |
Bilder- und Gedankenstrom als eins der zahlreichen Beispiele für Henry | |
Fondas charakteristisches Understatement, mit dem er nicht zuletzt in fünf | |
Filmen als amerikanischer Präsident zur Projektionsfläche für die Sehnsucht | |
nach Integrität und Glaubwürdigkeit wurde. | |
Ausgehend von einem Lebensfazit, das Fonda kurz vor seinem Tod im Jahr 1982 | |
im Gespräch mit dem Filmbuchautor Lawrence Grobel zog, geht der | |
dreistündige Film anhand gut ausgewählter Clips der Entwicklung von Henry | |
Fondas Rollentypen nach, untersucht die Widersprüchlichkeit vieler | |
Filmfiguren, vor allem jedoch die in die Filme eingeflossenen | |
Geschichtsbilder. | |
## Gewaltgeschichte der USA | |
Am Beispiel von [2][„Young Mr. Lincoln“ von John Ford (1939)] beobachtet er | |
zum Beispiel, wie sich die Leinwandpersona des tugendhaften und doch | |
entschieden handlungsfähigen künftigen Präsidenten herausbildet. Später, | |
vor allem in Fondas Western, findet der Filmhistoriker und ehemalige Leiter | |
des Österreichischen Filmmuseums in Wien die Gegenbilder in seinem | |
plötzlich aufflammenden Jähzorn. Horwath deutet sie nicht psychologisch, | |
sondern dem roten Faden seiner Reise durch das amerikanische Kino folgend | |
als Spiegel einer inneren Zerrissenheit, in der die Gewaltgeschichte der | |
Kolonisierung, Versklavung und ungezügelten Profitmaximierung eruptiv nach | |
außen dringt. | |
John Fords „Drums along the Mohawk“ ist eines der anschaulichen Beispiele | |
für die albtraumhafte Wiederkehr des Verdrängten, wenn das junge | |
Siedlerpaar Fonda und Claudette Colbert die Rache der Indigenen fürchten | |
muss, ohne Bewusstsein dafür, dass sie an der „Expansion und Extraktion | |
natürlicher Ressourcen“ im Land der Irokesen teilhaben. | |
Die beeindruckend trostlosen Dokumentaraufnahmen des Films (Kamera: Michael | |
Palm) schildern touristisch genutzte Schauplätze der amerikanischen | |
Geschichte, die in den Plots ikonischer Filme eine Rolle spielten, heute | |
aber dem Verfall oder einer durchkapitalisierten Nutzung preisgegeben sind. | |
So führt der Film zur Old Trails Arch Bridge in der Mohavewüste, über die | |
Fonda in John Fords „Früchte des Zorns“ während der Weltwirtschaftskrise | |
fährt, um eine Existenz als Wanderarbeiter in Kalifornien zu finden, dort | |
im Lager der Migranten die Ausbeutung durch die Plantagenbesitzer | |
kennenlernt und seinen berühmten Monolog über das Recht zum Widerstand | |
hält. | |
Fondas Herkunft führen die Exkurse des Films bis zu den ersten | |
niederländischen Kolonisten des 17. Jahrhunderts zurück. Starke | |
Vorfahrinnen unter ihnen, aber auch die Zerstörung der überlieferten | |
matrilinearen Kultur der Indigenen gehören zu dem kulturellen Erbe, das | |
Alexander Horwaths Reise durch Fondas USA an die Oberfläche bringt. Der | |
Filmstar stand – mit Ausnahme seiner Rolle als eiskalter Killer in „Spiel | |
mir das Lied vom Tod“ – für den Kampf für zivilisierte Männlichkeit, von | |
der Widersprüchlichkeit dieser Projektionsfläche handelt „Henry Fonda for | |
President“. | |
21 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Claudia Lenssen | |
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