| # taz.de -- Veranstaltungsreihe zum Nahost-Konflikt: Austausch erhofft | |
| > Osnabrücks Kunstraum Hase29 organisiert die Reihe | |
| > „Israelisch-Palästinensische-Perspektiven“. Die dazugehörige | |
| > Kunstausstellung ist eher nebensächlich. | |
| Bild: Filmstill aus dem Video „Rehearsing the Spectacle of Spectres“ der is… | |
| Ein Geräusch schwillt an, technoid, wie von einer Drohne. Die Kamera | |
| schwenkt, von hoch oben, über eine sonnendurchglühte Landschaft: Wald, | |
| Felder, in der Ferne Bebauung. Kreisender Zoom auf einen Gebäudekomplex. | |
| Auf einer Fassade regt sich ein graues Gesicht, wie ein Geist. Wir sehen | |
| einen Speisesaal, einen Aufenthaltsraum, nüchtern, wie beiläufig. Menschen | |
| rezitieren elegisch ein ziemlich kryptisches Gedicht, wie ins Leere hinein, | |
| ihre Gesichter und Stimmen überlagern einander dabei. Schwenks über Gärten, | |
| Kamerafahrten über Fassaden. Am Ende hebt sich der Blick wieder, endet auf | |
| derselben Landschaft wie zu Beginn. | |
| Das Video „Rehearsing the Spectacle of Spectres“ der israelischen Künstler | |
| Nir Evron und Omer Krieger, das der Osnabrücker Kunstraum Hase29 zum Kern | |
| seiner Ausstellung „Double Take/Der zweite Blick“ macht, stammt von 2014 | |
| und zeigt den Kibbuz Be’eri in der Negev-Wüste, an der Grenze zum | |
| Gazastreifen. Es zeigt Friedlichkeit, Alltag. Das Gedicht, das in ihm | |
| rezitiert wird, stammt von Anadad Eldan, der selber hier wohnt. | |
| Be’eri sieht heute anders aus. Es war Ziel der [1][Hamas-Attacke vom 7. | |
| Oktober 2023]. Viele Gebäude sind beschädigt oder zerstört. 130 Menschen | |
| wurden ermordet, 30 verschleppt. Einer der Mitwirkenden des Videos ist bei | |
| der Abwehr der Hamas gefallen. Eldan selber, im Video kurz zu sehen, hat | |
| den Angriff überlebt. | |
| Künstlerisch stark ist das Video nicht. Technisch nicht, inhaltlich nicht. | |
| Es ist nur 10 Minuten kurz, aber es wirkt lang. Und leer, ideenlos, | |
| behäbig. Es würde langweilen, schüfe der 7. Oktober 2023 zu ihm keine | |
| Assoziationen, keinen Kontext. Auf diesen Effekt setzt die Schau. Das ist | |
| ein Wagnis. | |
| Auch der Rest der Exponate fesselt nicht. Die über zwei Stunden lange | |
| Filmmontage „Performing the Kibbutz“ über die Kibbuz-Bewegung von 1937 bis | |
| 1988, mitunter unscharf, mitunter in Schwarz-Weiß, für die man draußen auf | |
| dem Bürgersteig stehen muss, vor einem Schaufenster? Eine Couch vor einem | |
| Monitor, auf dem Filme laufen, deren kürzester, die Dokumentation „Der | |
| große Bücherraub“ von Benny Brunner, die Geschichte der Plünderung von üb… | |
| 70.000 palästinensischen Büchern durch Israel in 1948, knapp eine Stunde | |
| dauert? Nur Hardcore-Aficionados tun sich das an. | |
| Hinzu kommen noch die 15 Fotos „Skateboarden in Gaza“ in der Außenvitrine, | |
| das war es, mehr zeigt die Schau nicht. Skateboarden helfe jungen Menschen, | |
| besonders in Krisenregionen, „Selbstvertrauen aufzubauen“, wollen die Fotos | |
| uns lehren. Aber was suggerieren die Mädchen und Jungen, die hier zu sehen | |
| sind? Dass Skateboarden hilft, wenn die israelische Armee dir deine ganze | |
| Welt in Stücke bombt? | |
| Dennoch ist „Double Take/Der zweite Blick“ wertvoll. Die Filme und Fotos | |
| sind zwar, für sich genommen, mager. Aber sie spielen hier auch nicht die | |
| Hauptrolle. Die fällt dem [2][Veranstaltungsprogramm | |
| „Israelisch-Palästinensische-Perspektiven“] zu. Das sieht sich als „Zeic… | |
| der Solidarität und Verbundenheit“ sowohl mit den israelischen Opfern des | |
| Hamas-Terrors vom 7. Oktober 2023 als auch mit den palästinensischen Opfern | |
| des Kriegs in Gaza. | |
| Das ist hochpolitisch und ambitioniert. Die Israel/Gaza-Debatte ist voller | |
| Fallstricke, voller Verhärtungen, Engstirnigkeiten, Einseitigkeiten. Wer | |
| sie so offen führt wie die Hase29, setzt sich dem Risiko der Anfeindung | |
| aus. 2021 wurde die Ausstellung „Gender Piracy“ des Kunstraums zum Ziel | |
| einer [3][transfeindlichen Spray-Attacke.] | |
| Das Programm, als dessen Bühne sich die Ausstellung versteht, reicht vom | |
| Konzert bis zur Podiumsdiskussion, vom Vortrag bis zur performativen | |
| BürgerInnen-Lesung, zur interreligiösen Führung. Viele Kooperationspartner | |
| hat der Kunstraum sich dazu ins Haus geholt, von der | |
| Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft Osnabrück bis zum European Media Art | |
| Festival, von der Kunsthalle Osnabrück bis zum Literaturbüro | |
| Westniedersachsen. Auch geskatet wird hier, von Schulklassen, auf der | |
| Grundlage der 15 Fotos aus Gaza. Ihr Lernziel: Zu erkennen, dass | |
| polarisierte Diskussionen stets ins Leere stoßen. | |
| ## Anrührend und wissenschaftlich fundiert | |
| Das Programm reicht von jüdischer Musik bis zu palästinensischen Gedichten | |
| und ist teils sehr anrührend. So wird hier der [4][Dokumentarfilm „Das Herz | |
| von Jenin“] gezeigt, die Geschichte des Palästinensers Ismail Khatib, der | |
| die Organe seines von israelischen Soldaten erschossenen Sohnes an | |
| israelische Kinder spendete, inklusive Gespräch mit Regisseur Marcus | |
| Vetter. | |
| Andererseits ist sie stark wissenschaftlich hinterfangen. | |
| Politikwissenschaftler Rüdiger Robert ordnet in seinem Vortrag „Frei zu | |
| sein in unserem Land – Israel und Palästina“ die Entstehung des Konflikts | |
| zwischen Juden und Muslimen ein, Kunsthistoriker Andreas Mertin spricht zum | |
| Thema „Antisemitismus in Kunst und Karikatur“. | |
| Die Schau will ihre Wirkung also nicht aus sich selbst heraus entwickeln, | |
| sondern einen Diskursraum öffnen. Wer nur für die Schau selber kommt, | |
| erlebt nicht viel. Vor allem keine Kunst. Diese Reizarmut, die fast leere | |
| Galerie, ist aber ein Problem. Sie sei kein Mangel, beteuern die | |
| Kuratorinnen Jasmina Janoschka und Elisabeth Lumme der taz, sie eröffne | |
| Möglichkeiten des Austauschs. Hoffen wir, dass es so ist. | |
| 29 Feb 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Schwerpunkt-Nahost-Konflikt/!t5007999 | |
| [2] https://hase29.de/perspektiven/ | |
| [3] /Transfeindlicher-Angriff-in-Osnabrueck/!5812425 | |
| [4] /Archiv-Suche/!661598&s=Das+Herz+von+Jenin&SuchRahmen=Print/ | |
| ## AUTOREN | |
| Harff-Peter Schönherr | |
| ## TAGS | |
| Osnabrück | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| zeitgenössische Kunst | |
| Politische Kunst | |
| Kunst | |
| Theater Osnabrück | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
| Israel | |
| Schwerpunkt Eurovision Song Contest | |
| Münchner Kammerspiele | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Migrationserfahrungen auf der Bühne: Ein bunter Abend über Zerrissenheit | |
| In Osnabrück gibt es viele Menschen mit polnischem Migrationshintergrund. | |
| Ihre Erfahrungen hat das dortige Theater zu einem Stück verarbeitet. | |
| +++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Delegationen in Kairo angekommen | |
| Zu den Gesprächen um einen erneuten Geisel-Deal treffen Gesandte von Hamas | |
| und Katar ein. Derweil sinkt ein von den Huthis beschossener Frachter im | |
| Roten Meer. | |
| +++ Nachrichten im Nahostkrieg +++: Entsetzen über Blutbad in Gaza | |
| Nach dem Tod von mehr als 100 Menschen bei der Verteilung von Hilfsgütern | |
| zeigen sich UN, USA, EU und China entrüstet. Außenministerin Baerbock | |
| fordert Aufklärung. | |
| Militäreinsatz in Gaza-Stadt: Viele Tote bei Hilfsauslieferung | |
| Beim Massensturm auf einen Hilfskonvoi kommt es zu Schüssen. Die Hamas | |
| spricht von einem „Massaker“ von Israels Armee, Israel von einer | |
| „Massenpanik“. | |
| Eurovision Song Contest: Israel-Ausschluss beim ESC? | |
| Schwedische Musikstars wollen Israel vom ESC ausschließen. Nicht das erste | |
| Mal, dass das vermeintlich unpolitische Event Schauplatz von Politik wird. | |
| Lesung Münchner Kammerspiele: Frauen als Schlachtfeld | |
| Düsterer Theaterabend: Die szenische Lesung „Schreiben über Die Situation“ | |
| deutet das Massaker der Hamas vom 7. Oktober. |