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# taz.de -- Hamburger Initiative für G9-Abitur: Kein Bock auf Elterngespräche
> Die Volksinitiative stellte im Rathaus ihre Wünsche vor. Die
> Regierungskoalition sagt ihr Danke für nichts – zuvor warnte die Behörde
> vor den Folgen.
Bild: Rot-Grün in Hamburg empfiehlt der Volksinitiative von Eltern zum Thema A…
Hamburg taz | Die Fraktionen von Grünen und SPD in Hamburg wollen mit „G9
Hamburg“ keine Verhandlungen führen. Die von [1][Eltern gegründete
Volksinitiative] war am Donnerstag in den Schulausschuss eingeladen, um ihr
Anliegen zu präsentieren. Dabei wurde rasch deutlich, dass weder die
rot-grünen Abgeordneten noch SPD-Schulsenatorin Ksenija Bekeris dafür
etwas übrig haben.
Obwohl die drei Vertrauensleute [2][Sammar Rath], Gunnar Matschernus und
Iris Wenderholm, die am langen Sitzungstisch im Kaisersaal ganz in der Ecke
neben einer Armada von Behördenleuten platziert waren, von den Abgeordneten
mit Lob überschüttet wurden. Es sei toll, dass sie sich ehrenamtlich
engagieren.
Die Eltern wollen ein Jahr mehr Lernzeit für die Schüler an den 63
Gymnasien. Sie hatten von Juni bis Dezember die [3][für eine
Volksinitiative] nötigen 10.000 Unterschriften gesammelt. Der Wunsch
entstand nach der Coronazeit, in der die Schulen zu waren und Lernlücken
entstanden, die sich in der auf acht Jahre verkürzten Gymnasialzeit (G8)
schwerer aufholen ließen.
Sie hätten beim Sammeln auf Märkten und Straßen viel Zuspruch erfahren,
berichteten die drei und verwiesen auf eine NDR-Umfrage, nach der 75
Prozent der Hamburger für das neunjährige Abitur (G9) sind.
## Andere Länder kehrten zurück zum G9
Das vor 15 Jahren erklärte Ziel der auch Turbo-Abitur genannten Reform,
dass junge Menschen ein Jahr früher in den Beruf starten, sei nicht
erreicht worden, sagt Matschernus. Häufig legten die jungen Abiturienten
ein Pause-Jahr ein und sie wechselten häufiger ihr Studienfach. Den
Schülern fehle Zeit für forschendes Lernen und die Ausbildung der für das
21. Jahrhundert nötigen „Soft Skills“, ergänzte Wenderholm. Sie verwies
auch darauf, dass große Länder wie Niedersachsen, [4][Schleswig-Holstein],
Nordrhein-Westfalen (NRW), Bayern und [5][nun auch Baden-Württemberg] zum
G9 zurückgekehrt sind. Zudem soll ab 2027 das Abitur aller Länder
einheitlich sein. „Wie kann man davon reden, wenn sich die Bedingungen so
unterschieden?“
Die Eltern rechneten vor, dass die anderen Länder nicht nur mehr Zeit,
sondern auch insgesamt in den neun Jahren bis zum Abitur mehr wöchentliche
Unterrichtsstunden bieten. In Schleswig-Holstein 277, in NRW 282, in Bayern
gar 285. In Hamburgs G8 sind es nur 265. Hinzu komme, dass an den Gymnasien
viel Unterricht ausfalle und Schüler oft mit Arbeitsblättern nach Hause
geschickt würden. Das sei bei ihr Zuhause Alltag, sagte Sammar Rath. Das
[6][2019 vom Senat gegebene Versprechen], diese Praxis zu halbieren, sei
nicht erfüllt worden. Rath verwies dafür auf die Antwort des Senats auf
eine Anfrage der CDU-Fraktion, derzufolge im Schuljahr 2022/23 nur 81
Prozent der Stunden an [7][Gymnasien nach Plan erteilt wurden].
Den Eltern wurde im Anschluss in verschiedenen Varianten von den Politikern
fast aller Parteien eine Frage gestellt: Warum sie ihr Kind nicht auf eine
der 59 Stadtteilschulen schicken? Das ist die Schulform, die bereits das
G9-Abitur anbietet. Weil es um alle Kinder am Gymnasium ginge, um die
Struktur, antwortete Matschernus. „Alle jungen Menschen haben ein Recht auf
mehr Zeit.“
Es war die zweite Sitzung des Schulausschusses, seit Ksenija Bekeris
Senatorin ist. Anders als ihr Vorgänger Ties Rabe (SPD), der oft viel
redete, fasste sie sich kurz. Hamburgs Schulsystem habe sich unter Rabe
sehr gut entwickelt. „Das möchte ich nicht kleingeredet wissen.“ Die Stadt
habe bundesweit die höchste Abiturquote und liege beim jüngsten
Bildungsranking auf Platz vier. Der Vorschlag der G9-Initiative werde die
Situation für „mehrere Jahre verschlechtern“, sagte sie und erteilte ihren
Beamten das Wort.
## Behörde schießt nur in eine Richtung
Es folgte eine Präsentation, die kein gutes Haar an dem Gesetzentwurf der
Initiative lies. Zuerst malte eine leitende Beamtin aus, welche Probleme
entstünden, wenn wie dort vorgesehen für eine Übergangszeit den Schülern
die Wahl zwischen G8 und G9 bleibt. Es mache die Schaffung weiterer Klassen
nötig, auch drohe ein Riss durch die Elternschaft, und eine Reform des
Unterrichts sei „auf Jahre“ blockiert.
Für den Schulbau wäre ein sofortiger Stopp der aktuellen Planung nötig,
fuhr ein Vertreter von Schulbau Hamburg fort. Das ginge auf Kosten aller
Schulen und verzögere massiv dringliche Bauprojekte. Man bräuchte Raum für
bis zu 7.500 Schüler. Da es angesichts hoher Schülerzahlen kaum Reserven
gebe und für mobile Bauten der Platz fehle, drohten enge Klassen mit mehr
als 30 Schülern oder eine Aufhebung des Klassenraumprinzips.
Ferner wären acht Millionen Euro für zusätzliches Personal, sowie weitere
Millionen für IT-Ausstattung und Unterrichtsmittel nötig, ergänzte ein
dritter Beamter. „Dieses Geld fehlt im Gegenzug an anderer Stelle.“ Und
schließlich trugen weitere Behördenfachleute vor, dass Hamburgs
Gymnasiasten in der 9. Klasse 2022 beim Ländervergleich in „Deutsch
Zuhören“ und „Englisch Hörverstehen“ schon fast an der Spitze lagen, und
dass besagte 265 Stunden reichten, um auch 2027 die von den Kultusministern
verabredeten Anforderungen zu erfüllen.
Als alle fertig waren, platzte der Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus von
der Linken der Kragen. Warum Senatorin Bekeris mit keinem Wort auf die
Unzufriedenheit Bezug nehme, die die Eltern im Raum und auch Schulleiter an
anderer Stelle artikulierten. Schulentwicklung sei nicht abzukoppeln von
Schulstruktur. Es sei unklug, die Kritik gar nicht aufzunehmen. Und es sei
ärgerlich, wenn Behördenmitarbeiter dem Parlament vorhalten, wie das Geld
auszugeben sei.
Und schließlich stellte Boeddinghaus der Senatorin zwei Fragen. Wie die
Stadt es denn schaffen wolle, die Schüler unterzubringen, wenn tatsächlich
von den 60.000 Gymnasiumseltern 10.000 ihre Kinder zur Stadtteilschule
schicken, um Anspruch auf das neunte Schuljahr zu erwerben. „Würde das dann
räumlich funktionieren?“ Sie finde es unfair, hier nur in eine Richtung zu
schießen. Und warum Bekeris den Eltern nicht wenigstens einen Schulversuch
vorschlage, etwa ein G9-Gymnasium pro Region, das [8][zugleich seine
Schüler nicht mehr abschult]? Dass nicht einmal das passiere „bestärkt
Politikverdrossenheit“. Dazu Bekeris: „Schulversuche sehe ich skeptisch.“
Nun muss die Bürgerschaft entscheiden, ob der Vorschlag der Volksinitiative
so oder auch abgewandelt übernommen wird. Dafür wären Verhandlungen nötig.
Für die sehe er „keinen Raum“, sagte der schulpolitische Sprecher der SPD,
Nils Hansen, der taz auf Nachfrage. Die Beiträge der Behörde hätten
gezeigt, dass das Vorhaben der Initiative nicht zum Wohle der Schüler sei.
Auch laut [9][Grünen-Fraktionschefin Jennifer Jasberg] wird es „keine
Verhandlungen von Rot-Grün mit der Volksinitiative“ geben.
Die Initiative selbst hatte am Freitag noch kein offizielles Statement
erhalten. „Wir prüfen für uns die nächsten Schritte und warten, ob es
Verhandlungsbereitschaft gibt“, sagt Rath. „Und wir sammeln Geld für das
anstehende Volksbegehren.“
25 Feb 2024
## LINKS
[1] /Volksinitiative-in-Hamburg/!5937629
[2] /Debatte-ums-Turbo-Abi-in-Hamburg/!5971868
[3] https://www.g9-hamburg.de/
[4] /Bildungsgefaelle-in-Schleswig-Holstein/!5846908
[5] /Schulpolitik-in-Baden-Wuerttemberg/!5979361
[6] /Hamburger-Vorwahlkampf/!5586204
[7] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/84379/unterrichtsausfall_u…
[8] /Schulforscher-ueber-Bildungsgerechtigkeit/!5991581
[9] /Vorwahlkampf-in-Hamburg/!5967024
## AUTOREN
Kaija Kutter
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