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# taz.de -- Volksinitiative in Hamburg: Neuer Anlauf gegen das Turbo-Abitur
> Eine neue Volksinitiative fordert die Rückkehr zum Abi nach neun Jahren.
> Inzwischen hat sich auch die Stimmung unter einigen Lehrerverbänden
> gedreht.
Bild: 2014 reichten die Stimmen gegen das Turbo-Abi nicht – jetzt könnte das…
Hamburg taz | Manchen mag es vorkommen wie ein Déjà-vu. In Hamburg plant
die Elterninitiative [1][„G9 Hamburg“] unter dem Motto
„Bildungsgerechtigkeit – Mehr Zeit zum Lernen!“ eine Volksinitiative für
die Rückkehr zum neunjährigen Abitur an den Gymnasien. Es gab 2014 schon
mal eine solche Volksinitiative „G9-Jetzt-HH“, [2][die eine polarisierte
Debatte in der Stadt auslöste und schließlich scheiterte], als sie für die
zweite Stufe nicht die nötigen 63.000 Unterschriften bekam.
„Seither ist viel passiert“, sagt Iris Wenderholm, die gemeinsam mit Katrin
Born zum harten Kern der neuen Initiative gehört. Die habe mit der alten
nichts zu tun und sei politisch unabhängig. „Ich beobachte, dass der
[3][Druck an den Gymnasien unheimlich gewachsen ist]. Das hat mit den
Krisen unserer Zeit zu tun“, sagt Wenderholm. Dazu zählten die Coronakrise
und der Ukraine-Krieg, die Herausforderung der Digitalisierung, neue
Abitur-Anforderungen und gestiegene Stofffülle durch neue Bildungspläne in
Hamburg.
Die Gruppe hatte bereits im März in einer Onlinepetition kritisiert, dass
Hamburg als eines der letzten alten Bundesländer an der Reform des
achtjährigen Abiturs (G8) festhält und dafür rund 7.200 Unterstützer
gewonnen. Auch viele Lehrer berichteten, dass die mentale Gesundheit der
Schüler unter dem Druck leide. „Wir wünschen uns für unsere Kinder mehr
Luft“, sagt Katrin Born.
## Fehlende Zeit für Reife
Da viele der alten Bundesländer [4][bereits zum G9 zurückgekehrt sind],
stelle sich auch die Frage der Gerechtigkeit, „wenn bundesweit alle Schüler
das gleiche Abitur schreiben und unsere Kinder ein Jahr weniger haben“. Die
Politik müsste schauen, was gut für die Kinder ist. „Durch das G8 fehlt
Zeit für die Reife“, sagt Born.
Konkret fordert die Initiative die „sofortige Einführung einer Vorstufe für
die jetzigen 5. bis 10. Klassen“. Damit ist die 11. Klasse gemeint, die im
G8 eingespart ist, im G9 ist sie Vorbereitungsstufe für die 12. und 13.
Klasse. Die Volksinitiative will die Gruppe Ende nächster Woche einreichen.
Es gibt ein triftiges Gegenargument, das letztlich dazu führte, dass die
Vorgänger-Ini 2014 verlor: Es gibt in Hamburg die Möglichkeit des Abiturs
nach neun Jahren, und zwar an den Stadtteilschulen – die für alle Kinder da
sind. Würden alle Gymnasien G9 haben, so würden die Stadtteilschulen diesen
Pluspunkt bei der Werbung um leistungsfähige Schüler verlieren. Die soziale
Spaltung der Schulen würde noch größer.
Dazu sagen die Initiativ-Eltern, dass sie die Stadtteilschulen gut fänden,
teils auch ihre Kinder dort anmeldeten, aber dennoch für die Gymnasien die
Lernbedingungen verbessern wollen. „Wir glauben an das Zwei-Säulen-Modell“,
sagt Born. Hätten beide Schulformen das G9, wäre die Stadtteilschule ja
immer noch die mit den besseren Ressourcen. Zudem hätten Schleswig-Holstein
und das Saarland, wo es auch ein Zwei-Säulen-Modell gibt, die Rückkehr zum
G9 beschlossen, ohne dass es bislang zum befürchteten Run auf die Gymnasien
kam.
„Wir wollen die Politik auf das aufmerksam machen, was Hamburgs Eltern
bewegt“, sagt Born. Sie erwarte von Parteien, die sich für Bildung stark
machten, dass sie diese „immer wieder neu bewerten“.
Differenzierter als 2014 sieht die Sache heute auch die Vereinigung der
Leitungen Hamburger Gymnasien und Studienseminare (VLHGS). „2014 waren wir
klar für G8. Das hat sich geändert“, sagt der Vorsitzende Christian Gefert.
Die Meinung der Kollegen sei gespalten. „Eine große Fraktion sagt, es gibt
eine solche zeitliche Verdichtung unter anderem durch die neuen
Bildungspläne an den Schulen, dass man G8 nicht mehr verantworten kann.“
Viele sähen, dass die Kinder darunter litten. Inwieweit die Vereinigung die
Initiative unterstütze, könne man erst sagen, wenn deren Text vorläge. „Was
wir uns beispielsweise gut vorstellen können, ist eine flexible Oberstufe,
bei der die Schüler zwölf oder 13 Jahre bis zum Abitur Zeit haben“, sagt
Gefert.
## Druck aus der Mittelstufe nehmen
Den Druck aus der Mittelstufe herauszunehmen, indem die Oberstufe wieder
erst in der 11. Klasse beginnt, das könnte sich auch Yvonne Heimbüchel
vorstellen, die stellvertretende Vorsitzende der Hamburger GEW und
Sprecherin der Fachgruppe Gymnasien. „Unsere Idee ist die des Abiturs im
eigenen Takt“, sagt Heimbüchel. Dabei könnten Schüler die Oberstufe in
zwei, drei oder auch vier Jahren durchlaufen. Auch die Prüfungen des
Abiturs könnten nach und nach abgelegt werden, je nachdem, wie weit ein
Schüler sei.
Die Schulpolitikerin der Linksfraktion, Sabine Boeddinghaus, sagt: „Ich
freue mich riesig über die Initiative, weil sie die Debatte aufmacht, was
gute Schule ausmacht.“ Wenn die Gymnasien ein zusätzliches Lernjahr
bekämen, müssten sie auch mehr Verantwortung übernehmen, indem sie keine
Schüler mehr abschulten und sich an Inklusion und Integration beteiligten.
2014 noch hat Boeddinghaus die G9-Volksinitiative als Angriff auf die
Stadtteilschule gesehen. Heute höre sie auch von Gymnasialschulleitern,
„dass das zusätzliche Lernjahr vom Kind her gedacht richtig wäre“.
Schulsenator Ties Rabe (SPD) sagte indes, „in G9-Ländern klagen Schüler
ebenfalls über die Schule“ und warnte vor eine „Reformhektik“, deren Zec…
die Schüler zahlten. So müssten die Gymnasien für 300 Millionen Euro
ausgebaut werden, was zu Lasten der 59 Stadtteilschulen und 204
Grundschulen ginge. Auch hätten G9-Schüler tatsächlich nur 19 Minuten
weniger Unterricht am Tag. Wegen 19 Minuten würde man also „das gesamte
Schulsystem in eine jahrelange Reformbaustelle stürzen“.
16 Jun 2023
## LINKS
[1] https://www.g9-hamburg.de/
[2] /G9-hh-jetzt/!t5031397
[3] /Schuelerfoerderung-in-Hamburg/!5928859
[4] /Bildungsgefaelle-in-Schleswig-Holstein/!5846908
## AUTOREN
Kaija Kutter
## TAGS
Schule
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