# taz.de -- Forscherin über Social Media der Zukunft: „Screens werden versch… | |
> Kann Social Media demokratisch werden? Absolut, sagt die | |
> Kommunikationsforscherin Zizi Papacharissi. Sie rechnet mit | |
> weitreichenden Veränderungen. | |
Bild: Bei einer Ausstellung in Peking im Februar 2024 genießen Besucher:innen … | |
wochentaz: Frau Papacharissi, was war die erste | |
[1][Social-Media-]Plattform, die Sie verwendet haben? | |
Zizi Papacharissi: Anfang der 2000er gab es in Europa diese winzigen Handys | |
mit total eingeschränkten Internetfunktionen. Damals waren SMS für mich | |
extrem wichtig, um mich mit meinen Freund*innen auszutauschen. Aus | |
heutiger Perspektive finde ich das spannend, weil wir gerade dorthin | |
zurückkehren. Meine jungen Studierenden erzählen, dass für sie persönliche | |
Chats und kleine Gruppen am wichtigsten sind. Man tauscht abends mit der | |
besten Freundin [2][Memes] oder Videos aus, und plötzlich sind zwei Stunden | |
vergangen. Danach hat man das Gefühl, man hatte einen persönlichen | |
Austausch. | |
Viele sagen, Social Media werde immer weniger sozial. Plattformen wie | |
[3][Instagram] sind mittlerweile sehr kommerzialisiert, voll von | |
professionellem Content und Werbung von Influencer*innen oder Marken. | |
Woher kommt Ihr Optimismus? | |
Ich mag den Begriff „Social Media“ nicht. Sozial ist man nicht nur, wenn | |
man jeden Tag rausgeht und auf Partys viele Hände schüttelt. Als Menschen | |
werden wir immer auf die eine oder andere Weise sozial sein, und Medien | |
dienen schon per Definition der Kommunikation. Plattformen bieten uns eine | |
bestimmte Art der Kommunikation an. Auf Instagram zeigen die meisten | |
Menschen eine sehr kuratierte, perfekte Version von sich selbst. Davon | |
fühlen sich viele nicht mehr abgeholt. Eine neue Entwicklung ist, dass wir | |
die Plattformen „hacken“, sie kreativ anders nutzen, als sie gedacht sind. | |
Wie das? | |
Zum Beispiel, indem wir nicht mehr auf eine einzige Plattform gehen, | |
sondern auf viele verschiedene: Facebook, um mit der Familie in Kontakt zu | |
bleiben, Instagram, um [4][Influencer*innen] zu folgen und dann | |
vielleicht noch eine private Messengergruppe, um mit Freund*innen zu | |
kommunizieren. Die Zeit der großen Social-Media-Plattformen ist vorbei. | |
Was ist mit [5][TikTok]? Die App ist unter jungen Menschen extrem beliebt. | |
TikTok würde ich gar nicht als klassische Social-Media-App bezeichnen, da | |
geht es nicht darum, sich zu präsentieren. Die wenigsten posten selbst | |
Content. Als User*in taucht man ab in eine andere Welt, nach drei Stunden | |
taucht man wieder auf und hat eine Menge lustiger Videos gesehen, die man | |
mit Freund*innen teilt. Ein bisschen so wie man früher Filme angeschaut | |
und sich dann dazu ausgetauscht hat. Man hat einfach eine gute Zeit | |
miteinander. | |
Wenn große Social-Media-Plattformen irgendwann out sind, was kommt dann? | |
Vor allem müssten sich die Größe der Plattformen und die Kommerzialisierung | |
ändern. In diesen riesigen Maßstäben von hunderten, tausenden, Millionen | |
von User*innen geht die Gemeinschaft verloren. Die Menschen haben kein | |
Gefühl von Zugehörigkeit, von Authentizität mehr. Deswegen blicken wir so | |
nostalgisch auf die Anfangszeit von Social Media zurück. Ich weiß nicht, ob | |
sich das jemals ändern wird, weil es bei privaten Plattformen immer um | |
Profit geht. Und wie viel Geld generiert wird, ist abhängig von der | |
User*innenzahl. | |
Wie sähe denn das ideale soziale Medium für Sie aus? | |
Das ist die große Preisfrage. Wenn ich eine Idee hätte, würde ich sie | |
bestimmt nicht einfach so verraten. Ich sehe dieses zentrale Problem: | |
[6][Demokratie] spielt bei der Konzeption von Social-Media-Plattformen | |
bisher keine Rolle. Das müsste sich ändern. Auch Frauen und marginalisierte | |
Gruppen wurden bisher nicht mitgedacht. Sie werden auf diesen Plattformen | |
schnell das Ziel von Hass und Belästigung. | |
Wie ließe sich das umsetzen? | |
Ich glaube daran, dass es möglich ist, ein Umfeld zu schaffen, in dem das | |
seltener passiert. Wir brauchen dafür strengere Regulierungen und | |
demokratische Strukturen auf den Plattformen. Und eine neue Internetkultur, | |
für die wir selbst verantwortlich sind. Einen sicheren und inklusiven Ort | |
zum Austausch zu schaffen, ist die Herausforderung, mit der wir uns | |
auseinandersetzen müssen – weniger die Frage, wie sozial oder unsozial die | |
Plattformen sind. | |
Social Media wird nachgesagt, gleichzeitig demokratisierend und | |
antidemokratisch zu sein: Bewegungen wie Black Lives Matter haben sich über | |
Social Media verbreitet, gleichzeitig setzen Milliardäre die | |
Rahmenbedingungen von öffentlichen Diskursen. | |
Social Media war an sich nie demokratisierend, dafür ist es, wie gesagt, | |
nicht ausgelegt. Es geht hier um eine kreative Nutzung. User*innen | |
verwendeten irgendwann [7][Twitter] oder auch Instagram, um demokratische | |
Diskurse zu führen. Die Plattformen öffneten neue Wege, sich mit mehr | |
Menschen auszutauschen. Ich würde sie pluralisierend nennen, nicht | |
demokratisierend. | |
Derzeit wird über eine EU-weite öffentlich-rechtliche | |
Social-Media-Plattform diskutiert. Was halten Sie davon? | |
Ich finde, das klingt vielversprechend. Aber wir sehen an öffentlichen | |
TV-Sendern, dass auch diese nicht sicher vor undemokratischen Entwicklungen | |
sind. Wenn eine neue Regierung gewählt wird, ändert sich oft das Programm | |
dieser Sender. In der EU gibt es einen Rechtsruck in den Regierungen, | |
staatliche Sender sind also nicht automatisch progressiver als private | |
Sender. | |
Rechtsextreme werden auch in Sozialen Medien immer präsenter. Auf X wurden | |
seit der Übernahme von Elon Musk Profile von bekannten Rechtsradikalen | |
wieder freigeschaltet. In Deutschland wurde ein „Masterplan“ zur | |
Abschiebung migrantisierter Menschen ausgearbeitet. Teil dieses Plans war | |
auch die Gründung einer rechten Influencer*innenagentur. Müssen wir uns | |
Sorgen machen? | |
Ja, damit müssen wir uns beschäftigen. Aber wenn der Plan der | |
Rechtsextremen erfolgreich wäre, dann nicht nur wegen Social Media, sondern | |
weil wir als Gesellschaft nicht stark genug sind, diese Ideologien zu | |
bekämpfen. | |
Können Sie das erklären? | |
Ich glaube, das ist klar genug. Social Media ist nicht das Problem, es gab | |
diese Ideologien schon lange, bevor es Social Media gab. | |
Auch technisch verändert sich gerade viel. Wie werden wir in zehn oder | |
zwanzig Jahren über Medien kommunizieren? | |
Wir werden intuitivere Wege der Kommunikation nutzen. Zum Beispiel in Form | |
von „Wearables“, etwa VR-Brillen, über die wir uns miteinander verbinden | |
können. Irgendwann wird es auch Armbänder, vielleicht auch Schmuck oder | |
Kleidung mit eingebauter „Connectivity“ geben. Wir werden uns in immersiven | |
virtuellen Realitäten bewegen. Screens werden verschwinden. Das klingt | |
jetzt wie Science-Fiction, aber als das Internet oder Social Media | |
entstanden, wurde auch das zuerst als futuristisch wahrgenommen. | |
Gerade ist die VR-Brille von Apple auf den Markt gekommen. Im Netz | |
kursieren Videos, in denen Menschen damit in der Bahn sitzen oder auf Dates | |
gehen und die Brille mit Handbewegungen steuern. Das sieht wirklich aus wie | |
aus einem Science-Fiction-Film. Wie könnte das die Gesellschaft verändern? | |
Ich fürchte, wir werden dieselben Fehler machen, die wir mit Social Media | |
gemacht haben: immer größere Communities, ständige Kommerzialisierung, | |
Verlust von Authentizität und Raumgefühl. Wir müssen verstehen, dass nicht | |
die Plattformen das Problem sind, sondern wie wir sie nutzen und | |
regulieren. Wenn ich viel Schokolade esse, ist das ungesund. Aber die | |
Schokolade ist nicht das Problem. Genauso ist es mit Social Media. Wir | |
können Regulierungen einbauen, aber am Ende müssen wir auch unser Verhalten | |
ändern. | |
25 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Social-Media/!t5016486 | |
[2] /social-media-Humor/!5979177 | |
[3] /Instagram-will-unpolitisch-werden/!5989073 | |
[4] /Influencer/!t5392901 | |
[5] /TikTok/!t5647139 | |
[6] /Kritik-von-Philosoph-Juergen-Habermas/!5881995 | |
[7] /Twitter/!t5008995 | |
## AUTOREN | |
Alena Wacenovsky | |
## TAGS | |
Social Media | |
Soziale Medien | |
TikTok | |
Virtual Reality | |
Demokratie | |
Schwerpunkt Facebook | |
Zukunft | |
wochentaz | |
Messenger | |
TikTok | |
AfD Niedersachsen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ende vom Messenger ICQ: Ah oh, ah oh, ah oh | |
ICQ war einer der ersten Instant-Messaging-Dienste des Internets und | |
Verband in den 2000ern Millionen Menschen. Jetzt geht er offline. Ein | |
Nachruf. | |
Jugendschutz bei Social Media: EU eröffnet Verfahren gegen Tiktok | |
Die EU-Kommission will Tiktok untersuchen. Die Videoplattform steht im | |
Verdacht, zu wenig für den Schutz von Minderjährigen zu unternehmen. | |
Rechtsextremismus in der AfD: Die Online-Rassisten | |
Niedersachsens AfD grenzt sich theoretisch von der rechtextremen | |
Identitären Bewegung ab. Social Media-Fotos zeigen, dass die Praxis anders | |
aussieht. | |
Instagram will unpolitisch werden: Subtile Botschaften | |
Der Meta-Konzern kündigt an, politische Inhalte auf seinen Plattformen | |
einzuschränken. Das wird zu einer noch subtileren politischen Kommunikation | |
führen. |