# taz.de -- Nahost-Konflikt und Antisemitismus: Falsche Richtung | |
> Bisweilen entlädt sich der Zorn von in Deutschland lebenden | |
> Palästinensern willkürlich gegen Leute, die Hebräisch reden. Das ist | |
> komplett daneben. | |
Bild: Wer hebräisch im öffentlichen Raum spricht, lebt gefährlich. Grund ist… | |
Von allen Sprachen der Welt gibt es aktuell in Deutschland eine, die sich | |
Muttersprachler in der Öffentlichkeit nicht mehr anzuwenden trauen: | |
Hebräisch. Freunde von mir – Israelis, die in Berlin und Köln leben, haben | |
Angst, sich auf Hebräisch zu unterhalten, vor allem in öffentlichen | |
Verkehrsmitteln. Berlin ist eine multikulturelle Stadt. Hört man die | |
Gespräche in U- und S-Bahn, bekommt man eine Vorstellung davon, wie es beim | |
Turmbau zu Babel zugegangen sein muss. Nichts gibt’s, was es nicht gibt. | |
Unüberhörbar unterhielten sich neulich zwei Leute auf Aserbaidschanisch, | |
und ein paar Sitze weiter telefonierte jemand auf Farsi. In einer anderen | |
Ecke entspann sich ein lebhaftes Gespräch zwischen drei chinesischen | |
Frauen. Und auch arabische Brocken waren aus dem allgemeinen Sprachwirrwarr | |
herauszuhören. Niemand schien Sorge zu haben, die eigene Muttersprache in | |
der Öffentlichkeit anzuwenden. | |
Ganz anders Israelis. Sie fürchten sich vor Gewalt und Hass. Tatsächlich | |
sind nahezu die Einzigen, die Hebräisch überhaupt erkennen, | |
palästinensische Araber, also Deutsche palästinensischer Herkunft oder in | |
Deutschland lebende Palästinenser. Und sie sind es, die Israelis bedrohen. | |
Selbstredend nicht alle. Ich selbst bin einigen in Berlin begegnet, die den | |
Dialog mit Israelis suchen. | |
Israel genießt aus bekannten Gründen aktuell wenig Sympathie in der Welt, | |
wobei die Situation in Deutschland insgesamt viel entspannter ist als in | |
Ländern wie Belgien oder Frankreich. Das gilt jedoch nicht für die Haltung | |
vieler hier lebender Palästinenser, die sich nicht an deutsche | |
Empfindlichkeiten gebunden fühlen, die in der Öffentlichkeit den | |
palästinensischen Nationalismus vertreten und die [1][offen aggressiv gegen | |
Israelis] auftreten. | |
## Keine Sensibilität gegenüber Juden in Deutschland | |
Soweit es im deutschen Raum eine besondere Sensibilität gegenüber Juden, | |
Israelis und Hebräisch gibt, gilt dies nicht für die deutschen Araber im | |
Allgemeinen und die deutschen Palästinenser im Besonderen. Nehmen wir | |
einmal an, dass alle gegen Israel vorgebrachten Anschuldigungen der | |
Wahrheit entsprechen. Nehmen wir an, dass Israel [2][in Gaza einen | |
aggressiven Krieg gegen Zivilisten], Frauen und Kinder führt; nehmen wir | |
sogar an, dass es sich um Völkermord und ethnische Säuberung handelt. | |
Und nehmen wir weiter an, dass jeder einzelne Israeli ein überzeugter | |
Vertreter des Staates Israel und seiner Politik ist (was natürlich völlig | |
absurd ist). Nach dieser Logik könnte eine Aggression gegen Israelis, die | |
Hebräisch sprechen, vielleicht gerechtfertigt sein. Warum aber nur | |
Israelis? Da sind die Aseris. Gab es dort vor nicht allzu langer Zeit etwa | |
keine ethnische Säuberung und [3][Deportation der Bevölkerung in der Region | |
von Bergkarabach]? | |
Und was ist mit den chinesischen [4][Umerziehungslagern für Uiguren]? Gar | |
nicht erst zu reden von der iranischen Führung und was die den | |
Demokratiesuchenden in ihrem Land antut. Und was ist zum Beispiel mit | |
Russisch? Muss irgendjemand Angst haben in einer deutschen U-Bahn Russisch | |
zu sprechen? Keineswegs. Niemand wird dafür angegriffen, Russisch, Farsi, | |
Chinesisch oder sonst irgendwas zu sprechen. Und das ist auch gut so. | |
Denn es ist völlig klar, dass die Politik von Regimen nicht identisch mit | |
ihren Völkern ist. Es muss doch klar sein, dass nicht alle immer mit allem | |
einverstanden sind und zumindest für einige die nationale Zugehörigkeit | |
eine ambivalente und konfliktreiche Angelegenheit ist. Und trotz alledem | |
bleibt die einfache Tatsache, dass man heute, im Deutschland des Jahres | |
2024, Angst hat, im öffentlichen Raum Hebräisch zu sprechen. Nur Hebräisch, | |
von allen Sprachen der Welt. | |
Aus dem Hebräischen von Susanne Knaul | |
26 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Hagai Dagan | |
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