| # taz.de -- Hohe Geldstrafe wegen Volksverhetzung: Reue zahlt sich nicht aus | |
| > Wegen volksverhetzender Äußerungen gegen „Zionisten“ wird ein junger Ma… | |
| > zu einer Geldstrafe verurteilt. Seine Reue wirkt nicht strafmildernd. | |
| Bild: Der denkbar falscheste Ort: Kerzen auf dem Hamburger Carlebach-Platz erin… | |
| Zur falschen Zeit, am falschen Ort – und ja, auch das Falsche, insoweit | |
| herrscht Einigkeit im Gerichtssaal. Dieses Falsche, das waren Äußerungen, | |
| die Frank R.* heute bereut: „Ihr dreckigen Zionisten!“, hat er gerufen, „… | |
| ist die Solidarität mit den 10.000 [1][Zivilisten, die in Gaza gestorben] | |
| sind?“ Und nochmal: „Scheiß-Zionisten!“ Volksverhetzung, so lautet die | |
| Anklage dafür. | |
| Das Ganze trug sich an der Ausgrabungsstelle auf dem Joseph-Carlebach-Platz | |
| zu, mitten in Hamburgs historischem jüdischen Viertel am Grindel. Dort | |
| werden seit einiger Zeit Überreste der historischen, im Nationalsozialismus | |
| zerstörten [2][Bornplatz-Synagoge] gesichert, in Vorbereitung eines | |
| [3][Wiederaufbaus]. Ein denkbar falscher Ort also, das wurde dem | |
| Angeklagten noch vor Ort klar, als Polizisten ihn aufhielten mit den | |
| Worten: „Was Sie da gerade gesagt haben, ist strafbar.“ | |
| Die Polizei war in den Novembertagen des vergangenen Jahres verstärkt im | |
| Grindelviertel präsent, um die Ausgrabungsstelle, aber auch das nahe | |
| gelegene jüdische Bildungshaus zu schützen. Erst von der Polizei habe er | |
| erfahren, was das für ein Ort ist, sagt P., und sei schockiert gewesen, | |
| über sich selbst. Denn, das betont er ein ums andere Mal: „Ich bin kein | |
| Antisemit.“ | |
| Das ist ihm wichtig, und er macht den Eindruck, als habe er vor allem | |
| deshalb Widerspruch gegen den Strafbefehl eingelegt, statt die 120 | |
| Tagessätze zu zahlen, die das Hamburger Amtsgericht ihm aufgebrummt hatte. | |
| ## Vom Nahostkonflikt „emotional aufgeladen“ | |
| Frank R. ist allein. Er hat keinen Rechtsanwalt, verteidigt sich selbst. | |
| Auch zu seiner Unterstützung ist niemand mitgekommen. Er behält die ganze | |
| Zeit seine warme Steppjacke an, hat kleine, müde Augen in geröteten Höhlen. | |
| „Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, ich hatte lange nichts mehr mit | |
| der Justiz zu tun“, sagt er, und: „Sie müssen entschuldigen, ich bin sehr | |
| aufgeregt.“ Er hat seine Aussage säuberlich auf ein paar linierte | |
| Din-A4-Zettel geschrieben. Mehrfach fragt er, ob er sie vortragen darf. | |
| „Ich sehe ein, dass ich einen Fehler gemacht habe“, beginnt der Angeklagte | |
| mit leisen, aber präzisen Worten, „das war eine ziemlich dumme Aktion von | |
| mir“. Er hege „keinen Groll gegen unsere jüdischen Mitbürger oder gar das | |
| jüdische Volk“, lehne jede menschenverachtende Ideologie ab. | |
| „Sie können mir das glauben oder nicht“, fügt er hinzu, „aber wenn ich | |
| mitbekäme, wie ein Jude nur wegen seines Jüdisch-Seins öffentlich | |
| angegriffen würde, dann wäre ich der Erste, der sich schützend vor ihn | |
| stellen würde.“ Den Vorwurf der Volksverhetzung weise er deswegen zurück. | |
| „Ich verurteile die Hamas und ihre Taten genauso wie den rechtsradikalen | |
| Zionismus, der auch von vielen Juden abgelehnt wird.“ | |
| An jenem Abend des 11. November habe er viele Kerzen auf dem Bornplatz | |
| gesehen und gedacht, die sollten an die Opfer des Hamas-Angriffs auf Israel | |
| vom 7. Oktober erinnern. „Emotional aufgeladen“ sei er gewesen. Der | |
| Nahostkonflikt habe ihn damals sehr bewegt, [4][sowohl der furchtbare | |
| Angriff der Hamas als auch die „unverhältnismäßige“ Reaktion Israels]. | |
| „Ich kenne Palästinenser, die mir ihr Leid erzählt haben“ – und das hab… | |
| dieser „blöden Situation“ geführt, die „wirklich komplett daneben war.�… | |
| Erst im Gespräch mit den Polizisten habe er realisiert, dass die Kerzen für | |
| die Opfer der Reichspogromnacht waren, die sich zwei Tage vorher gejährt | |
| hatte. | |
| Das Leben von Frank R. ist schon früh aus der Spur geraten. Der 33-Jährige | |
| sagt, ihn plage eine lebenslange Schlafstörung, weshalb er keiner | |
| geregelten Arbeit nachgehen könne und auch keine Ausbildung habe machen | |
| können. Er habe sich damit abgefunden und „mache das beste draus“. Derzeit | |
| helfe er alten Menschen im Alltag – „ehrenamtlich“. | |
| Während der Amtsrichter durch sein Vorstrafenregister hetzt, verrinnt eine | |
| ganze Weile, von Diebstahl und Urkundenfälschung als Teenager über | |
| Sachbeschädigung, Beleidigung, Bedrohung bis hin zu Körperverletzung, | |
| Freiheitsberaubung und Nötigung. Nach einer Haftstrafe war er in einer | |
| Entziehungsanstalt. | |
| „Das ist ja ’ne ganze Menge“, sagt der Angeklagte, doch seit fünf Jahren | |
| habe er „nichts mehr mit der Polizei zu tun gehabt“ und „konsumiere | |
| nichts“, auch keinen Alkohol. Es sieht ganz so aus, als habe Frank R. sein | |
| Leben in den Griff bekommen – bis zu jenem Ausraster am 11. November. | |
| Wen er denn gemeint habe mit seiner Tirade gegen die „Zionisten“, fragt der | |
| Amtsrichter. „Das hatte sich nicht gegen den Staat Israel gerichtet“, sagt | |
| P., „sondern gegen die rechtsgerichtete Regierung“. Der Polizist im | |
| Zeugenstand erinnert das anders. Direkt vor Ort habe P. gesagt, gemeint | |
| seien „alle Personen, die dem Staat Israel nahe stehen“. Der Oberkörper von | |
| Frank R. bäumt sich kurz auf, als er das hört, er verzichtet aber darauf zu | |
| widersprechen. | |
| ## Mindeststrafe drei Monate Haft | |
| Der Staatsanwalt stützt sich auf den Zeugen und schließt daraus, Frank R. | |
| habe mit „Zionisten“ zumindest jenen „Teil der jüdischen Bevölkerung | |
| gemeint, der die Gegenwehr gegen den Hamas-Terror unterstützt“. Davon | |
| abgesehen fielen nach geltender Rechtsprechung auch abwertende Bemerkungen | |
| über die Gruppe der „Zionisten“ unter den Tatbestand der Volksverhetzung. | |
| Zudem könne dem Angeklagten nicht entgangen sein, dass er sich in einem | |
| jüdisch geprägten Viertel befand. | |
| Obwohl er Frank R. sein Erschrecken über seine eigenen Äußerungen durchaus | |
| abnehme, gelte in diesem Fall eigentlich eine Mindeststrafe von drei | |
| Monaten Haft, also rund 90 Tagen. Wenn man diese wegen der Einsicht des | |
| Angeklagten in eine Geldstrafe umwandle, komme man um eine „maßvolle | |
| Erhöhung“ auf 120 Tagessätze, wie schon im Strafbefehl, nicht herum. | |
| Der Richter schließt sich dem an. Auch wenn Frank R. das Gefühl gehabt | |
| habe, der Frust über die Ereignisse in Gaza müsse „mal raus“, habe ihm kl… | |
| sein müssen, dass er sich an einem sensiblen Ort befunden habe, an dem so | |
| eine Meinungsäußerung „besonders schädlich“ sei. | |
| Im Lichte dessen sei die Tat mit 120 Tagessätzen à zehn Euro sogar noch | |
| „günstig gewertet“ – und gleichzeitig „ausreichend“, da P. aus einem | |
| „möglichen Unverständnis der Situation“ gehandelt habe. Er gewähre zudem | |
| Ratenzahlung für die insgesamt 1.200 Euro. Allerdings kommen für den | |
| Angeklagten noch die Verfahrenskosten hinzu. | |
| Frank R. muss schlucken. Er wirkt, als wäre ihm all das nicht recht klar | |
| gewesen. Er selbst hatte keine Forderung zum Urteil gestellt, nur so viel: | |
| „Freispruch auf keinen Fall, ich gestehe ja meine Schuld ein.“ Genützt hat | |
| ihm das nichts. | |
| * auf Wunsch des Angeklagten haben wir seinen Namen geändert. Wir haben | |
| außerdem korrigiert, dass das Gericht den Strafbefehl erlassen hat und | |
| nicht die Staatsanwaltschaft. | |
| 26 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan Kahlcke | |
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