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# taz.de -- Feiertage in Israel: Frustration statt Hoffnung
> Israelis neigen derzeit dazu, sich von der Welt abzuschotten. Negative
> Stimmungen verdrängen den optimistischen Gedanken des Pessach-Festes.
Bild: Pessach: das „Fest der ungesäuerten Brote“
Das gerade zu Ende gegangene Osterfest dreht sich um [1][das Leid und die
Not von Jesus], doch es endet in einem Happy End hollywoodscher Machart:
Auferstehung, Wiedergeburt, Hoffnung und sogar Freude. So begleicht die
spätere christliche Geschichte ihre Rechnung mit der früheren heidnischen
Version des Festes, bei der es um den Abschied vom kalten, dunklen Winter
und den Frühlingsbeginn geht. Die scheinbar tote Natur schafft das
Unmögliche und erwacht zu neuem Leben. Die gesamte Welt blüht auf, und die
Menschen laufen von der Sonne betrunken umher.
Auch das [2][jüdische Pessachfest], das zu Jesu Lebzeiten schon ein
wichtiges Fest war, dreht sich um eine Art Auferstehung – heraus aus der
Sklaverei zum Leben in Freiheit. Diese Befreiung wird zum Teil als
mythisch-historische Geschichte dargestellt, zum Teil als Prozess, der sich
dauerhaft fortsetzt und erst in der Zukunft vollendet sein wird: „Dieses
Jahr seid ihr Sklaven; nächstes Jahr werdet ihr frei sein.“
Beide Feste werden überschattet von Misstönen, die die optimistischen
Botschaften trüben. Wer aufmerksam Bachs Matthäuspassion zuhört, deren
christliche Quelle bekanntermaßen das Neue Testament ist, wird die
unverhohlen antijüdischen Untertöne erkennen, die sich durch den gesamten
Text ziehen. Und auch der Haggada, die am Pessachabend von jüdischen
Familien gelesen wird, mangelt es nicht an feindseligen Botschaften und
Racherufen allen gegenüber, die nicht jüdisch sind.
In modernen Bearbeitungen der Haggada sind diese feindseligen Textstellen
gestrichen. Es sind versöhnlichere, universellere Texte, die manche
liberale Familien lesen und die auch in vielen Kibbuzim gelesen werden.
Doch die meisten Juden und Jüdinnen halten sich an das im Mittelalter
verfasste Original, egal ob sie sich letztendlich damit identifizieren oder
nicht.
In diesen düsteren Kriegstagen neigen Jüdinnen und Israelis dazu, sich von
der Welt abzuschotten und an das Ethos des Separatismus zu klammern. In der
Haggada heißt es: Viele wollten uns ausrotten, aber Gott hat uns vor ihnen
gerettet. Alle sind also gegen uns, aber Gott ist auf unserer Seite. Wir
müssen nur auf ihn vertrauen und den Rest der Welt ignorieren.
Das ist das Denken von Leuten wie [3][Bezalel Smotrich], Israels
rechtsextremem Finanzminister, und in diesen Tagen scheint auch
Regierungschef Benjamin Netanjahu so zu denken, obwohl er gar nicht fromm
ist. Auch die liberale Öffentlichkeit in Israel, die endlich aus der
Lähmung des Winters aufwacht und wieder massenhaft gegen die Regierung
demonstriert, denkt und fühlt nicht in Begriffen wie Frühling, Hoffnung und
Freude oder Glaube. An ihrer Stelle stehen Wut und Frustration. Die Wut
ersetzt die Verzweiflung vom Oktober.
## Wut ersetzt Verzweiflung
Vielleicht ist Wut eine Voraussetzung, um sich aus der Sklaverei zu
befreien. Wut sprengt Ketten und stürzt Tyrannen. Diese Lektion haben wir
spätestens 1789 mit der Französischen Revolution gelernt. Wut ist notwendig
in der Türkei, in Russland, im Iran; die Liste lässt sich fortsetzen.
Das Israel vor dem bevorstehenden Pessachfest ist ein verbrannter,
erstickender Ort, der ein Brennen verursacht in Hals und Lunge. Ein Ort, an
dem niemand der aufblühenden Natur Aufmerksamkeit schenkt. Aber das Blühen
darf nicht vergessen werden. Aufblühen als Vision, als Möglichkeit, als
Utopie, als Aufbruch. Wie in einem sehr bekannten israelischen Lied, in dem
davon die Rede ist, dass eines Tages [4][Blumen aus Panzerrohren] wachsen
werden. Das ist das Besondere an Pessach in diesem Jahr: über die
Barrikaden klettern und sich den Frühling vorstellen.
Aus dem Hebräischen von Susanne Knaul
9 Apr 2024
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=9knToyK-wUs
[2] /Proteste-gegen-die-Justizreform/!5923232
[3] /Israels-Finanzminister-Bezalel-Smotrich/!5915764
[4] https://www.youtube.com/watch?v=VifBtQXHjiw
## AUTOREN
Hagai Dagan
## TAGS
Kolumne Fernsicht
Gaza-Krieg
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Antisemitismus
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