# taz.de -- Demokratie und Antisemitismus: Im Sinne der Demokratie | |
> Samuel Salzborn ist Antisemitismusbeauftragter Berlins. Er plädiert für | |
> einen entschlosseneren Kampf des Staats gegen Antisemitismus. | |
Bild: Solidaritätsmarsch mit Israel als Zeichen gegen Terror und Antisemitismu… | |
Die Bedrohung der Meinungsfreiheit ist gegenwärtig ein beliebtes Narrativ. | |
Doch in der Debatte darum haben sich zwei populäre Irrtümer eingerichtet: | |
Die Artikel 1 bis 19 des Grundgesetzes regeln ausschließlich die Rechte des | |
Individuums gegenüber dem Staat. Der Staat muss dulden, dass jemand der | |
Meinung ist, die Erde sei eine Scheibe, Putin ein lupenreiner Demokrat und | |
[1][UNWRA-Personal sei nie in die Aktivitäten der Hamas] verstrickt gewesen | |
– aber niemand sonst außer dem Staat. Denn die Demokratie lebt schließlich | |
von Widerspruch und Debatte. | |
Der zweite Irrtum besteht darin, dass Meinungsfreiheit grenzenlos sei. Doch | |
das Recht untersagt Äußerungen, die gleichzeitig unwahr und ehrverletzend | |
sind. Genau das trifft meist auf antisemitische Narrative zu. | |
[2][Antisemitismus ist daher keine Meinung] und seine Verbreitung nicht von | |
der Meinungsfreiheit gedeckt. Es gibt wenige Indikatoren, die verlässlicher | |
anzeigen, wie gefährdet eine Demokratie ist, als der Grad an | |
Antisemitismus. Deshalb ist der Kampf gegen ihn nichts anderes als ein | |
Selbsterhaltungstrieb der Demokratie. Doch ist sie für diesen Kampf | |
gerüstet? | |
Dieser Frage geht Samuel Salzborn in seinem Buch „Wehrlose Demokratie? | |
Antisemitismus und die Bedrohung der politischen Ordnung“ nach. Er | |
destilliert darin beispielsweise den Anteil des Antisemitismus am Scheitern | |
der Weimarer Republik: „Es war ein fundamentaler Fehler, der rechts- und | |
demokratietheoretisch darin bestand, dass die Verfassungsnorm überschätzt | |
und die Verfassungswirklichkeit in ihrem antidemokratischen Gehalt | |
unterschätzt wurde. (…)„ | |
## Antisemitismus ist keine Meinung | |
„Der Antisemitismus wurde verkannt als Meinung, die Gewalteskalationen auf | |
den Straßen wurden verkannt als Ausdruck einer vorübergehenden Krise. (…) | |
Denn all das, was AntisemitInnen in ihren Projektionen antijüdisch hassen, | |
als ‚Gerücht über die Juden‘ formulieren, richtete sich substanziell gegen | |
den demokratischen Anspruch von Politik und Gesellschaft: Es war der Hass | |
auf Aufklärung, Liberalismus, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Individualität | |
und Demokratie.“ Der Hass auf diese Werte ist bei Antisemiten hochaktuell, | |
egal ob sie in Boston, Berlin, Budapest oder Gaza leben. | |
Salzborn konfrontiert die Leser mit der heutigen Realität des | |
Antisemitismus in Deutschland – und das aus erster Hand: Der | |
[3][Politikwissenschaftler und Antisemitismusforscher ist seit 2020 | |
Antisemitismus-Ansprechpartner des Landes Berlin]. Dort ist das | |
antisemitische Spektrum besonders divers. Salzborn schreibt: | |
„Antisemitismus ist Antisemitismus – egal ob er von Neonazis, IslamistInnen | |
oder AntiimperialistInnen formuliert wird und egal ob er religiös (…), | |
völkisch-rassistisch, schuldabwehrend oder antiisraelisch auftritt.“ | |
## Demokratie wehrhaft machen | |
Salzborn führt in klarer Sprache an die Fakten heran und bietet | |
Interpretationen, ohne belehrend zu sein. Dadurch wird das lesenswerte Buch | |
zu einem Debattenbeitrag für ein breites Publikum. Dort gehört die Debatte | |
auch hin. Denn die Wehrhaftmachung der Demokratie ist zu wichtig, um sie | |
allein Politikern zu überlassen. | |
Zum Kern dieser Aufgabe gehört das Aufstehen gegen Antisemitismus – vor | |
allem durch gut begründete Meinungen in demokratischem Diskurs. Denn | |
fundierte Meinungen müssen ihre Freiheit nicht fürchten. Unabhängig davon, | |
welche politischen Ansichten die Leser haben mögen, unterstreicht das Buch | |
mit guten Argumenten eine seit Weimarer Zeiten offenbare Binsenweisheit: | |
Man kann nicht gleichzeitig Antisemit sein und Demokrat. | |
20 Feb 2024 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Julien Reitzenstein | |
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