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# taz.de -- Wohnungen für schutzsuchende Frauen: Raus aus dem Frauenhaus
> Sara* und ihr Sohn haben eine eigene Wohnung gefunden – und damit einen
> Weg aus dem Frauenhaus. Das Projekt Vivienda war dabei behilflich.
Bild: Gut für den Übergang, aber nicht für immer: Frauenhaus in Hannover-Bur…
Hamburg taz | Wenn Sara* an den Moment denkt, als sie das erste Mal ihren
Wohnungsschüssel in der Hand hielt, wird ihr Lächeln größer. „Ich habe
gedacht: Jetzt fängt mein Leben an“, versucht die 28-Jährige ihr Gefühl zu
beschreiben. Zwei Zimmer, Küche, Bad – groß ist die Wohnung nicht, aber es
ist ihre. Vor zwei Wochen ist sie mit ihrem fünfjährigen Sohn eingezogen.
Davor hat sie acht Monate in einem Hamburger Frauenhaus gewohnt.
Sara sitzt in ihrem Wohnzimmer auf dem Sofa, davor ein Beistelltisch. Mehr
Möbel gibt es nicht im Raum. Aus dem Nachbarzimmer hört man ihren Sohn
Max* spielen, sonst ist es ruhig. Sie schaut sich um, zeigt auf die
Vorhänge. Die hat sie gleich als erstes aufgehängt, als Schutz vor Blicken
von außen.
„Man braucht viel Geduld“, erinnert sich Sara an die Zeit im Frauenhaus.
Küche und Aufenthaltsräume haben sie sich geteilt. „Es gab kaum
Privatsphäre.“ Viele Menschen auf engem Raum. Alle in einer
Ausnahmesituation, alle mit traumatischen Erlebnissen. Sie habe den Stress
auch Max angemerkt. „Er hat wenig gegessen.“ Die anderen Kinder seien
teilweise gemein zu ihm gewesen. Natürlich ist Sara dankbar für die
Sicherheit, die ihr das Frauenhaus geboten hat. Doch das sei nur eine
Lösung auf Zeit. Ihr war klar, dass sie eine eigene Wohnung brauchen würde.
## Volle Frauenhäuser und kein Wohnraum
[1][Hamburgs Frauenhäuser sind dauerhaft ausgelastet]. Das hängt auch damit
zusammen, dass es für viele Bewohnerinnen schwierig ist, nach dem
Aufenthalt dort eine Wohnung zu finden. Laut einer Statistik des vierten
von sechs Hamburger Frauenhäusern verbrachten etwa zwei Drittel der
Schutzsuchenden mehr als sechs Monate dort. Davon wiederum seien 37 Prozent
nur deswegen länger geblieben, weil sie keinen Wohnraum gefunden haben.
„Das verschärft den Platzmangel in Frauenhäusern natürlich noch einmal
enorm“, sagt Mitarbeiterin Abena Liebisch-Duah. Außerdem belaste die
langwierige Suche die Bewohnerinnen. „Bei manchen Frauen, die eigentlich
schon in einer gefestigten Verfassung waren, verschlechtert sich der
Zustand wieder,“ sagt Liebisch-Duah.
Sara wusste, sie würde es schwer haben, eigenständig eine Wohnung zu
finden. Vor drei Jahren kam sie mit ihrem Ex-Mann nach Deutschland. Der
habe nicht gewollt, dass sie die Sprache lerne. „Er hat alles kontrolliert,
sodass ich von ihm abhängig bin“, sagt Sara. Eigenes Geld habe sie nicht
gehabt, nur Taschengeld, das sie für Lebensmittel ausgab. Ihr Traum war
schon damals: „Eine eigene Wohnung für mich und meinen Sohn. Ohne Schreien,
ohne Schläge, mit Ruhe.“ Wie die meisten Bewohnerinnen hat Sara vom
Wohnungsamt einen Dringlichkeitsschein bekommen und gehörte damit zu den
vordringlich Wohnraumsuchenden.
Wer in Hamburg seine Wohnung an Menschen mit Dringlichkeitsschein
vermietet, kann von der Stadt eine Prämie bekommen, je nach Größe der
Wohnung zwischen 10.000 und 38.000 Euro. Vergeben wird sie von der
Hamburgischen Investitions- und Förderbank.
Auch Achim Petersen hat diese Prämie bekommen. Er ist Saras Vermieter.
Vermittelt hat dies das von der Stadt geförderte [2][Projekt Vivienda].
Dort hat Petersen auch erst von der Förderung erfahren. „Als ich die
Wohnung anbot, wusste ich noch nichts davon “, sagt Petersen. Aber wenn die
Stadt ihm Geld anbiete, lehne er auch nicht ab. Wenn ein Mietverhältnis
zustande kommt, unterstützt Vivienda die Frauen für weitere drei Jahre bei
allen Themen, die die Wohnung betreffen.
Er verlange eine verhältnismäßig geringe Miete, sagt Petersen. Die darf er
außerdem für die ersten zwei Jahre nicht erhöhen. Dazu hat er sich mit der
Annahme der Förderung verpflichtet. Er könnte seine Wohnung auch auf dem
regulären Immobilienmarkt teurer anbieten. Aber so habe er wenig Arbeit mit
der Wohnung und müsse sich nicht durch Hunderte Anfragen durcharbeiten, so
Petersen.
Außerdem habe er die Gewissheit, dass jemand darin wohne, die anderswo
wenig Chancen gehabt hätte. „Wenn man da mitmacht, kann Geld eigentlich
nicht die Motivation sein“, sagt er. Mit der Prämie gehen auch Bedingungen
einher. Zum Beispiel darf Petersen keinen Eigenbedarf anmelden. Er kann
Sara nur kündigen, wenn die Miete nicht bezahlt wird.
Private Wohnungsbesitzer:innen wie Petersen seien eher die Ausnahme,
sagt Heide Schmidtmann, bei Vivienda in der Abteilung „Wohnstart“ tätig.
Häufig kennen private Besitzer:innen das Projekt und die
Fördermöglichkeiten nicht, vermutet sie. „Die meisten Wohnungen vermitteln
wir in Zusammenarbeit mit Wohnungsgesellschaften wie der Saga.“ Die
städtische Gesellschaft muss nämlich ein Kontingent für Inhaber von
Dringlichkeitsscheinen bereitstellen.
Immerhin 59 Wohnungen hat Vivienda 2022 laut der Hamburger Sozialbehörde
vermittelt. Doch auch Schmidtmann weiß, dass der Bedarf eigentlich größer
ist: „Nur irgendwann sind unsere personellen Möglichkeiten aufgebraucht.“
Oder es sind besonders schwierige Fälle wie Frauen mit mehreren Kindern.
„Wohnungen mit mehr als drei Zimmern sind schwer zu finden“, sagt sie.
## Forderung nach jährlich 70 Wohnungen
Um die Situation in den Schutzhäusern zu entzerren, haben die autonomen
Frauenhäuser bereits 2022 von der Stadt [3][ein jährliches Kontingent von
70 Wohnungen] gefordert. Bisher ohne Ergebnis. Falls zu lange nichts
gefunden werde und die Personen nicht mehr schutzbedürftig seien, kämen sie
in eine Unterkunft für Wohnungslose, so Schmidtmann.
Sara ist dankbar für die Hilfe, die sie vom Staat für ihren Neuanfang
bekommt. „Aber ich möchte nicht für immer darauf angewiesen sein“, sagt
sie. Gerade lernt sie Deutsch. Im April steht die B1-Prüfung an. Sie freut
sich über ihre neue Unabhängigkeit und ein bisschen stolz ist sie auch.
Nach dem Sprachkurs möchte sie eine Ausbildung zur Pflegerin anfangen. „Ich
bin ja noch jung und mein Leben liegt vor mir“, sagt sie.
Max hangelt sich neben Sara auf die Couch, in seiner Hand ein
Überraschungsei. Ihm geht es schon besser. „Er isst wieder“, sagt seine
Mutter. Konzentriert pult er die Folie [4][von der Schokolade]. Sara
lächelt. Sie wirkt entspannt. „Ich kann nicht glauben, dass ich so viel
Glück hatte“, sagt sie. Sogar nach der Zusage für die Wohnung habe sie noch
daran gezweifelt, dass es klappen würde. Erst als sie mit ihrem Schlüssel
die Wohnungstür öffnete, sei Sara klar geworden: „Das ist jetzt unser
Zuhause.“
*Namen von der Redaktion geändert
8 Mar 2024
## LINKS
[1] /Frauenhaeuser-in-Hamburg/!5931906
[2] https://www.lawaetz-ggmbh.de/projekte/vivienda/
[3] /Feministische-Wohnungspolitik/!5996948
[4] /Kakao-Krise-wegen-Klimawandel/!5994239
## AUTOREN
Clara Dünkler
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