# taz.de -- Frauen müssen für Frauenhäuser zahlen: Wer Schutz sucht, zahlt d… | |
> Von häuslicher Gewalt Betroffene müssen für Schutz oft selbst bezahlen. | |
> Die Bundesregierung verfehlt ihr Versprechen einer „verlässlichen | |
> Finanzierung“. | |
Bild: Frauenhäuser sind je nach Bundesland und Kommune unterschiedlich finanzi… | |
MÜNCHEN taz | Ohne ihre älteste Tochter würden Ema Gremel und ihre drei | |
Kinder wohl immer noch bei dem Mann wohnen, der sie verprügelte. „Das war | |
jeden Tag Terror“, sagt Gremel. Schon wegen Kleinigkeiten wurde er | |
handgreiflich. „Eine ins Gesicht für jedes kleinste Wort“, beschreibt die | |
38-Jährige den Zustand. | |
Eines Tages hielt ihre älteste Tochter es nicht mehr aus. Sie sagte zu | |
ihrer Mutter: „Sobald ich 18 bin, hau ich ab.“ So erzählt Gremel es heute. | |
In diesem Moment realisierte sie: Jedes ihrer Kinder würde sie verlassen, | |
wenn sie nichts ändert. Und ihr Mann würde ihr dafür wohl die Schuld geben. | |
„Ich hatte mich [1][an die Gewalt gewöhnt], aber meine Kinder haben extrem | |
gelitten.“ | |
Im Frühjahr 2022 entschied sie, mit ihren Kindern ins Frauenhaus zu | |
flüchten. Ihre älteste Tochter hilft über einen Kontakt einen Platz zu | |
organisieren. Als ihr Mann arbeitete, packten sie ihre Kleidung in blaue | |
Säcke und versteckten sie in der Garage – sie nahmen nur so viele mit, dass | |
es nicht auffiel, dass im Kleiderschrank etwas fehlte. Ihr Mann habe alles | |
kontrolliert, er durfte nichts merken. Als er am nächsten Morgen wegfuhr, | |
brachte ein Taxi Gremel und ihre Kinder in das Frauenhaus. Zu ihrem Schutz | |
sind die Namen Pseudonyme und Orte bleiben ungenannt. | |
Im Frauenhaus war es zunächst besser als erwartet. „Ich war bereit mit | |
mehreren Familien auf dem Boden zu schlafen“, sagt Gremel. Doch sie bekamen | |
zwei eigene Zimmer. Die Mitarbeiterinnen unterstützten sie. Sie waren in | |
Sicherheit – zumindest körperlich. Denn: „Ich bin von einer Hölle in die | |
nächste“, sagt Gremel. Gremel sollte für ihren Aufenthalt selbst bezahlen �… | |
160 Euro pro Tag, etwa 4.800 Euro im Monat. Dazu kamen Stromkosten, Kaution | |
und Essen. „Wenn ich das zu Anfang erfahren hätte, wäre ich direkt wieder | |
gegangen“, sagt Gremel. | |
## Wer keinen Anspruch auf Sozialleistungen hat, zahlt selbst | |
Zurück zur Gewalt, weil das Frauenhaus zu teuer ist? Diese Abwägung | |
betrifft in Deutschland viele Frauen, die unter Gewalt leiden. Laut dem | |
Verein Frauenhauskoordinierung (FHK) musste jede vierte Frau 2022 für ihre | |
Notunterkunft [2][voll oder anteilig bezahlen]. Frauenhäuser sind je nach | |
Bundesland und Kommune unterschiedlich finanziert. | |
In den meisten Fällen wird der Aufenthalt über den Bezug von | |
Sozialleistungen der Betroffenen abgedeckt, also über das Bürgergeld oder | |
andere Leistungen zur Existenzsicherung. Wer darauf jedoch keinen Anspruch | |
hat, muss den Aufenthalt selbst bezahlen. Zu dieser Gruppe zählen etwa | |
Studierende, Personen mit Einkommen oder Besitz und bestimmte Gruppen von | |
EU-Ausländer*innen. | |
Ema Gremel fühlt sich vom deutschen Staat im Stich gelassen: „Betroffene | |
müssen noch draufzahlen, wenn sie Gewalt erleben.“ Gremel hat keinen | |
Anspruch auf Sozialleistungen, weil ihr Mann unter ihrem Namen ein Haus | |
gekauft hatte. Damit hat sie Mieteinnahmen und Besitz. Die Mieteinnahmen | |
gehen jedoch schon drauf für Versicherungen und das Abzahlen des | |
Hauskredits. | |
Um Sozialhilfe zu erhalten, [3][müsste sie zudem das Haus verkaufen]. Doch | |
darin wohnt immer noch ihr Mann. Eine Räumungsklage dauert Monate, | |
Anwält*innen und Gutachten kosten Geld. Also arbeitete Gremel während | |
ihres Aufenthaltes im Frauenhaus weiter als Reinigungskraft. „Gott sei Dank | |
war ich dafür stark genug“, sagt sie. In der Öffentlichkeit und bei der | |
Arbeit musste sie sich verstecken. Ihr Mann habe überall gesucht, Hotels | |
abgeklappert, Bekannte angerufen. | |
## Unterstützung von Jobcenter-Mitarbeiterinnen | |
Die Unsicherheit hinterlässt Spuren. „Ich habe schlecht geschlafen, da war | |
nur Unruhe, Sorgen und Nervenzusammenbruch“, sagt Gremel. Ihre Kinder | |
versuchten über Freund*innen an eine Wohnung zu kommen. Sogar eine | |
Ferienwohnung wäre günstiger gewesen als das Frauenhaus. | |
Mit Unterstützung der Mitarbeiterinnen vor Ort kämpfte sie dafür, dass das | |
Jobcenter ihren Aufenthalt doch bezahlt. Die Mitarbeiterinnen gaben ihr | |
Mut. Sie versprachen ihr, eine Lösung zu finden und dass Gremel auch, | |
solange sie noch nicht bezahlen könne, im Frauenhaus bleiben dürfe. | |
Das ist auch die Botschaft, die viele Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern, | |
mit denen die taz sprach, vermitteln wollten: Jede Frau solle sich erstmal | |
in Sicherheit bringen, dann finde man gemeinsam eine Lösung. Doch das | |
Problem bleibt. „Man hat sein Leben in Koffern, nur noch das Allernötigste, | |
und dann muss man auch noch die Kraft haben, das Jobcenter zu überzeugen. | |
Das ist nicht menschlich“, sagt Gremel. | |
Kurz vor ihrem Auszug sagte das Jobcenter dann zu, sie finanziell zu | |
unterstützen. Ob es die Kosten komplett übernimmt oder das Geld nur als | |
Darlehen vorgestreckt hat, weiß Gremel bis heute nicht. Sie zeigt eine | |
Rechnung über ihren Aufenthalt: über 11.000 Euro. | |
## Leere Worte der Bundesregierung | |
Die letzte Bundesregierung versprach bereits Verbesserungen. [4][Auch die | |
Ampel] schrieb in ihren Koalitionsvertrag: „Wir werden das Recht auf Schutz | |
vor Gewalt für jede Frau und ihre Kinder absichern und einen | |
bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für eine verlässliche Finanzierung von | |
Frauenhäusern sicherstellen.“ Passiert ist bisher wenig. | |
Und nicht nur die Betroffenen stürzt die fehlende bundesweite Regelung in | |
Unwägbarkeiten. Auch die Mitarbeiter*innen belastet das ständige | |
Ringen um Geld. Beatrice Tappmeier kennt das Problem gut. Die 60-Jährige | |
arbeitet seit 34 Jahren im autonomen Frauenhaus Bielefeld und ist Teil der | |
Kampagne „Rauf die Plätze“, die die Lage der Frauenhäuser in | |
Nordrhein-Westfalen verbessern will. „Unser Anspruch ist, jede Frau | |
aufzunehmen, wir wollen nicht erstmal nachfragen, ob jemand sich das | |
leisten kann“, sagt Tappmeier. „Die Unsicherheit führt zu zusätzlichen | |
Existenzängsten.“ | |
Das betrifft nicht nur Frauen ohne Arbeit oder diejenigen, die aus einer | |
prekären Arbeitssituation kommen. Denn zur Sicherheit der Betroffenen | |
kommen die Frauen meistens in Frauenhäusern außerhalb ihres Wohnortes | |
unter. Ihren Job müssen sie deswegen oft aufgeben. Doch auch Tappmeier ist | |
wichtig zu betonen, dass die Frauen trotzdem ins Frauenhaus kommen sollen. | |
„Wir finden immer irgendwie Lösungen“, verspricht sie. | |
Ihr Haus habe etwa eine individuelle Vereinbarung mit dem örtlichen | |
Sozialreferat, um in Härtefällen Betroffene umsonst aufnehmen zu können. | |
Doch solche Vereinbarungen können jederzeit kippen. Auch Tappmeier fordert | |
deswegen eine einheitliche bundesweite Finanzierung. „Jeder Gefängnisplatz | |
ist staatlich finanziert, aber ein Frauenhausplatz kostet Geld“, sagt | |
Tappmeier. „Es wäre schön, wir bräuchten keine Frauenhäuser, aber wir | |
brauchen sie, das [5][gehört zur Daseinsvorsorge].“ | |
## Tagessatz zwischen 25 und 100 Euro pro Person | |
Für eine einheitliche Finanzierung setzt sich auch die | |
Frauenhauskoordinierung (FHK) schon seit Jahren ein. Dabei tauchen in ihrer | |
Statistik nur die Frauen auf, die es trotz drohender Kosten ins Frauenhaus | |
schaffen. „Wie viele Frauen aufgrund der zahlreichen Zugangshürden gar | |
nicht erst den Weg ins Frauenhaus suchen oder abgewiesen werden müssen, | |
wird statistisch nicht erfasst“, schreibt FHK-Vorstandsvorsitzende | |
Christiane Völz in einer Pressemitteilung Mitte November. | |
Der Tagessatz für einen Aufenthalt im Frauenhaus liegt etwa zwischen 25 und | |
100 Euro pro Person. Derzeit schieben sich wohl Bund, Länder und Kommunen | |
gegenseitig die Verantwortung über [6][eine einheitliche Finanzierung] zu. | |
Das einzige Land, das aktuell die Kosten für Frauenhäuser komplett | |
übernimmt, ist Schleswig-Holstein. „[7][Schleswig-Holstein gilt oftmals als | |
Leuchtturm, weil die Frauenhäuser dort langfristig über ein Landesgesetz | |
abgesichert sind]“, sagt FHK-Sprecherin Elisabeth Oberthür. Das zuständige | |
Ministerium für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und | |
Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein schreibt auf Anfrage: „Dieses | |
Modell wurde 1996 etabliert, um regionale Verwerfungen, aber auch | |
qualitative Unterschiede zu vermeiden.“ Gewalt gegen Frauen höre aber nicht | |
an der Landesgrenze auf. „Wir brauchen in ganz Deutschland ausreichend | |
finanzierte Frauenhaus- und Beratungsstrukturen“, so eine Sprecherin. | |
Zuständig dafür ist das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und | |
Jugend von Ministerin Lisa Paus (Grüne). Ein Ministeriumssprecher schreibt | |
auf Anfrage, es stehe außer Frage, dass ein bedarfsgerechtes Hilfesystem | |
zum Schutz und zur Beratung bei Gewalt notwendig sei. Derzeit arbeite das | |
Ministerium an einem Gesetzentwurf. „Ziel ist, das Gesetzesvorhaben in | |
dieser Legislaturperiode zu verabschieden“, schreibt der Sprecher. | |
## Kein Ende der Folgen der Misshandlungen in Sicht | |
Ema Gremel hat nach vier Monaten im Frauenhaus über einen Auftraggeber beim | |
Putzen eine Wohnung bekommen. Die sei mit 850 Euro im Monat zwar teuer, | |
aber wesentlich günstiger als die knapp 5.000 Euro im Monat für das | |
Frauenhaus. Doch mit dem Auszug unterstütze das Jobcenter sie nicht mehr | |
finanziell. | |
Es sind jetzt eineinhalb Jahre, seit Gremel mit ihren Kindern vor ihrem | |
gewalttätigen Mann geflohen ist. Ein Ende der Folgen seiner Misshandlungen | |
sind nicht in Sicht. Er wohnt immer noch in der ehemals gemeinsamen Wohnung | |
in Gremels Haus. Die Räumungsklage sei in Arbeit, aber er weigere sich die | |
Wohnung zu verlassen, sagt Gremel. Er habe Mieter*innen drangsaliert, | |
dass sie die Mietzahlungen einstellen, die Heizung abgestellt, | |
Handwerker*innen verscheucht und Türen zerstört. Er scheint Gremels | |
Mieter*innen vergraulen zu wollen. „Er will mich so in die Enge treiben, | |
dass ich bettelnd zurückkomme“, sagt Gremel. | |
Gremel hat eine Verfügung gegen ihren Ex-Mann erwirkt. Am 18. Geburtstag | |
ihrer ältesten Tochter sei er dennoch zur Polizei gegangen und habe | |
gedroht: „Ich scheiße auf eure Verfügung, ich werde zu meiner Tochter und | |
zu meiner Frau gehen.“ Eine Zeit lang hatte sie dann Ruhe vor ihm. Weil er | |
so viel Druck beim Jugendamt, bei der Polizei und bei den Gerichten gemacht | |
habe, sei er bis zur nächsten [8][Gerichtsverhandlung] in die geschlossene | |
Psychatrie gekommen. | |
Gremel hat Angst. Ihr Ex-Mann weiß jetzt, wo sie wohnt. „Wenn er rauskommt, | |
das wird das Schlimmste. Dann ist er sauer und wird noch mehr eine Gefahr | |
für uns“, sagt sie. Die Polizei werde ihr nicht helfen können. „Wenn er | |
kommt, dann kommt er“, sagt sie. In solch einer bedrohlichen Situation auch | |
noch finanziell unter Druck zu stehen, sei eine enorme zusätzliche | |
Belastung. „Keine Frau geht freiwillig ins Frauenhaus, das ist die | |
allerletzte Option, wenn man gezwungen ist“, sagt Gremel. „Für solche | |
Frauen sollte es leichter werden.“ | |
Aktualisiert am 10.01.2024 um 14:00 Uhr. d. R. | |
9 Jan 2024 | |
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[6] /Fuenf-Jahre-Istanbul-Konvention/!5912016 | |
[7] /Schutz-fuer-Frauen-in-Schleswig-Holstein/!5828176 | |
[8] /Haeusliche-Gewalt-beim-Sorgerecht/!5947126 | |
## AUTOREN | |
Moritz Müllender | |
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