# taz.de -- Wahlen in Belarus: „Die Ergebnisse sind schon bekannt“ | |
> Am kommenden Sonntag wählt Belarus, internationale Wahlbeobachter sind | |
> nicht zugelassen. Warum auch? Die Gewinner stehen sowieso schon fest. | |
Bild: Vorgezogenen Stimmabgabe in einem Wahllokal in Minsk, Belarus | |
Minsk taz | Die vielleicht größte Neuerung bei den diesjährigen | |
Parlamentswahlen in Belarus ist, dass sie zum ersten Mal in der Geschichte | |
des Landes an einem einheitlichen Wahltag stattfinden. Der Grund ist | |
simpel: Geld. Die Mittel, die der Staat für die Arbeit der | |
Bezirkswahlkommissionen spart – am Sonntag sind gut 57.000 Menschen tätig – | |
geht an die Armee. | |
Trotzdem gibt es bereits eingeschränkte Möglichkeiten, in den vier Tagen | |
zuvor seine Stimme abzugeben, jeweils in den Nachmittagsstunden. | |
Gewählt werden sowohl Mitglieder des Repräsentantenhauses der | |
Nationalversammlung als auch Stadt- und Gemeindevertreter auf kommunaler | |
Ebene. Für die 110 Sitze im Parlament kandidieren 265 Personen, | |
hauptsächlich Vertreter der Partei Belaja Rus, die vor etwas weniger als | |
einem Jahr zur Unterstützung von Staatschef Alexander Lukaschenkos | |
gegründet wurde und aus dem Staatshaushalt finanziert wird. Bei den Stadt- | |
und Gemeinderäten gibt es 12.515 Sitze zu verteilen, für die sich 18.802 | |
Kandidaten bewerben. Das bedeutet, dass praktisch jeder Kandidat auch | |
gewählt wird. | |
Es sind die ersten Wahlen in Belarus seit den gefälschten | |
Präsidentschaftswahlen vom August 2020. Damals war es im Anschluss zu | |
monatelangen Proteste gekommen, die brutal niedergeschlagen wurden. | |
Fragt man die Belarussen, ob sie wählen gehen, lautet die Antwort häufig: | |
„Warum? Die Ergebnisse von diesem [1][Zirkus] sind schon bekannt.“ So macht | |
sich der Mittvierziger Alexei F. aus Minsk bereits im Vorfeld sarkastisch | |
über den Bericht der zentralen Wahlkommission lustig: „Traditionell hoch | |
lag die Wahlbeteiligung mit 80 Prozent bei der ländlichen Bevölkerung. Das | |
zeigt, dass es richtig war, die Landwirtschaft zu fördern. Deutlich | |
schlechter war die Beteiligung in der Hauptstadt mit nur 55 Prozent.“ | |
## Parlamentarier verdienen viel mehr als die Bevölkerung | |
Überprüfen lassen werden sich diese Zahlen nicht. Die Regierung hatte im | |
Vorfeld unabhängige Wahlbeobachter der OSZE abgelehnt. Zugelassen sind nur | |
122 Beobachter aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), darunter | |
auch aus Belarus und Russland. Was bedeutet das? Dass Lukaschenko ein | |
Marionettenparlament hat, das nichts entscheidet und sich nicht um die | |
Bevölkerung schert. | |
Informationen über die Kandidaten, die in Minsker Briefkästen landen, | |
wandern in der Regel ungelesen in den Müll. Dabei sind es diese Menschen, | |
die entscheiden sollten – nicht nur auf Landesebene, sondern auch in der | |
direkten Nachbarschaft. Aber sehr wahrscheinlich tun sie es eben nicht. Oft | |
leben Kandidaten für einzelne Stadtteile ganz woanders. Wie sollen sie die | |
Probleme in ihrem Wahlkreis kennen? | |
Liest man die Biografien der Kandidaten dann doch, weiß man schon mit | |
hundertprozentiger Sicherheit, wer gewählt wird. Oft reicht schon die | |
Zugehörigkeit zur Partei Belaja Rus oder ein hoher Posten in staatlichen | |
Apparaten. | |
Warum streben Menschen überhaupt einen Sitz im Parlament an? Aus | |
finanziellen Gründen. Viele Wähler sind der Ansicht, dass | |
Abgeordnetendiäten nicht auf dem Gehaltsniveau von Lehrern, Ingenieuren | |
oder Anwälten liegen sollten. Denn hohe Diäten führen nur dazu, dass | |
Abgeordnete das System der Korruption und die Interessen derjenigen | |
verteidigen, die ihnen zur Macht verholfen haben. | |
Die Abgeordneten sind überzeugt, dass ihr Gehalt sich an der Entwicklung | |
der belarussischen Wirtschaft orientiert. Journalisten haben aufgedeckt, | |
dass Parlamentarier im Schnitt 1.600 Euro monatlich erhalten – vier Mal | |
mehr als hochqualifizierte Spezialisten. Eine einfache Verkäuferin bekommt | |
300 Euro monatlich. So sieht er aus, der belarussische Sozialstaat. | |
## Wahlprogramme sind oft voll Populismus | |
Parlamentarier werden für ihre reine Anwesenheit und ihre angebliche | |
Beteiligung an Ausschussarbeit bezahlt. Dabei ist bekannt, dass Lukaschenko | |
die Gesetze selber einbringt und die Abgeordneten sie nur unterschreiben. | |
Gleichzeitig haben Abgeordnete auch das Recht, nebenbei woanders zu | |
arbeiten. Viele sind zum Beispiel als Dozenten an Hochschulen tätig. | |
Parlamentarier werden auch als Leiter von Einrichtungen und Institutionen | |
eingesetzt. | |
Wahlprogramme bestehen oft aus populistischen Thesen: Lösung drängender | |
Probleme der Bewohner des Wahlkreises, Förderung von gesunder Lebensweise | |
und Sport, patriotische Erziehung von Kindern und Jugendlichen und die | |
Unterstützung moralischer und christlicher Werte in der Gesellschaft. Dass | |
aber vor dem örtlichen Supermarkt in ihrem Wahlkreis seit Jahren die Rampe | |
fehlt, bemerken die Abgeordneten eher nicht … | |
Der Wahlkampf weist eine Zahl von Neuerungen auf. Die aktualisierte | |
Verfassung und das Wahlgesetz legen großen Wert auf das Strafregister der | |
Kandidaten. Kein Wunder, sitzt doch die eine Hälfte der Bevölkerung im | |
Gefängnis, während die andere Hälfte sie bewacht. Aktuell gibt es in | |
Belarus allein mehr als 1.400 anerkannte politische Gefangene. Die Zahl der | |
insgesamt Inhaftierten ist um ein Vielfaches höher. | |
Rechtskräftig verurteilte oder vorbestrafte Bürger, die ihre Strafe bisher | |
nicht gesühnt haben, können sich nicht mehr für die Wahlen aufstellen | |
lassen. Hingegen sind Menschen, die in Untersuchungshaft sind oder unter | |
Hausarrest stehen, nicht nur wahlberechtigt, sondern können auch gewählt | |
werden. | |
## Auf Lokalebene dürfen in Belarus lebende Russen wählen | |
Auch wer zum Beispiel eine ausländische Staatsbürgerschaft oder ein anderes | |
Dokument eines ausländischen Staates besitzt, das mit Vergünstigungen | |
verbunden ist, kann nicht Abgeordneter werden. Das betrifft Inhaber der | |
„Polenkarte“, die fast jeder Einwohner von Grodno oder Brest besitzt. Viele | |
Menschen im Westen von Belarus haben Verwandte in Polen, das ist historisch | |
bedingt. Seit 2007 gibt [2][Polen] Dokumente aus, die die Zugehörigkeit von | |
Ausländern zur polnischen Nationalität bestätigt. Das erleichtert die | |
Visavergabe und die Reisefreiheit von Belarussen mit polnischen Wurzeln in | |
Europa. | |
Auch für die Wähler gibt es Neuerungen. Es ist verboten, Stimmzettel aus | |
dem Wahllokal mitzunehmen sowie Fotos des ausgefüllten Stimmzettels zu | |
machen. An der Wahl zum Parlament dürfen nur Bürger der Republik Belarus | |
teilnehmen. Auf lokaler Ebene sind allerdings auch Bürger der Russischen | |
Föderation mit ständigem Wohnsitz in Belarus wahlberechtigt. | |
Praktisch von der Wahl ausgeschlossen sind alle, die Belarus nach den | |
Protesten gegen die gefälschte Präsidentschaftswahl im August 2020 | |
verlassen haben. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats schätzt | |
ihre Zahl auf 200.000 bis 500.000. Zum Wählen müssten sie nach Minsk | |
kommen, wo es genau ein Wahllokal für sie gibt. Die Wahrscheinlichkeit, | |
dass diese Menschen [3][dort festgenommen werden], liegt bei fast 100 | |
Prozent. Am Wahltag gelten verschärfte Sicherheitsbestimmungen. Was das | |
heißt, ist unklar. Es dürfte aber ein Grund sein, warum viele Belarussen | |
gar nicht an die Urne gehen werden. | |
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey] | |
24 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Repressionen-in-Belarus/!5987933 | |
[2] /Tusk-zu-Besuch-bei-Scholz/!5991667 | |
[3] /Politische-Gefangene-in-Belarus/!5993791 | |
[4] /Gaby-Coldewey/!a23976/ | |
## AUTOREN | |
Janka Belarus | |
## TAGS | |
Lukaschenko | |
Repression | |
Belarus | |
Wahl | |
Parlament | |
Alexander Lukaschenko | |
Ausstellung | |
Schwerpunkt Krisenherd Belarus | |
Belarus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ausstellung mit Kunst aus Belarus: Der politische Rucksack | |
Belarusische Kultur ist Repressionen ausgesetzt. Eine Ausstellung in der | |
Galerie im Körnerpark zeigt Arbeiten von Künstler*innen im Exil. | |
Neues Dekret in Belarus: Lukaschenko erlaubt Schüsse | |
Belarussische Soldat*innen nutzen seit Jahren Waffen gegen Proteste. Nun | |
dürfen sie das ganz offiziell auch gegen die Zivilbevölkerung. | |
Swetlana Tichanowskaja über Belarus: „Das System bröckelt“ | |
In Belarus bestimmen Willkür und Repression den Alltag. Die Oppositionelle | |
Swetlana Tichanowskaja sagt, daran erkenne man die Angst des Regimes. |