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# taz.de -- Energiepolitik: Der lange Abschied vom Öl
> Auf dem fossilen Energiemarkt steht eine Wende bevor: Die Frackingblase
> könnte bald platzen. Die Saudis drohen, ihre Reserven komplett
> auszubeuten.
Bild: Die Menge an gefördertem Erdöl könnte bald schrumpfen
Deutschland liefert moderne Waffensysteme nach Saudi-Arabien und lobt den
Modernisierungsschub des autoritären Regimes, ebenso wie dessen neue
Solarprojekte. Fast vergessen sind dabei die permanenten Verstöße gegen
elementare Menschenrechte. Auch das Auftreten der Saudis beim letzten
[1][Klimagipfel im Dezember in Dubai] ist kein Thema mehr. Dort bremste das
Land zusammen mit anderen Ölförderländern, die für das weitgehende
Scheitern der Konferenz verantwortlich waren.
Schon bei den Klimagipfeln davor ist ihr verhängnisvoller Einfluss beklagt
worden. Dieses Mal war er allerdings so groß, wie nie zuvor. Die
Förderländer ließen unverhohlen die Muskeln spielen, nachdem der saudische
Energieminister Abdulaziz bin Salman schon vorab angekündigt hatte, sein
Land werde die Ölreserven „bis zum letzten Molekül“ ausbeuten.
So brachte sich in Dubai der weltweit noch immer wichtigste Energieträger,
das Erdöl, heftig in Erinnerung. Das erinnerte daran: Die Fixierung auf den
Kohleausstieg greift in der [2][Klimadebatte] zu kurz. Anders als der Atom-
und Kohleausstieg ist der Öl-Ausstieg nicht gerade eine populäre Forderung.
## Der wichtigste Schmierstoff des Kapitalismus
Spätestens seit der Konferenz in Dubai ist es überfällig, den wichtigsten
Schmierstoff des Kapitalismus wieder ins Visier zu nehmen. Erdöl ist auch
in Deutschland mit einem Anteil von 39 Prozent die Nummer eins unter den
Energieträgern. Ein Abschied vom Öl wird nur für einzelne Sektoren – vor
allem den Pkw-Verkehr – diskutiert, und das nur mit einer extrem
langfristigen Perspektive.
Wenn der Öl-Ausstieg in Europa aktuell kein Thema ist, konnte man dann
ausgerechnet in Dubai einen harten Beschluss weg von Öl und Gas erwarten?
Darf man ernsthaft hoffen, dass die Opec dafür jemals die Hand heben wird?
Dass der Gastgeber einer Klimakonferenz, dessen Wohlstandsmodell ganz auf
Öl und Gas gebaut ist, einen Ausstiegskurs einschlägt?
Der Konferenzvorsitzende Sultan Al Jaber, Chef des Ölkonzerns Adnoc, quälte
die Delegierten mit erstaunlichen Denkfiguren. Nicht die fossilen Energien
seien das Problem, sondern die Emissionen. Nicht die Bankräuber seien das
Ärgernis, sondern das gestohlene Geld. Dann lassen wir die Bankräuber doch
in Ruhe.
Eine Politik „weg vom Öl“ war in der westlichen Welt vor allem nach den
Ölkrisen in den 1970er Jahren ausgerufen worden. Passiert ist danach jedoch
das Gegenteil: Die Auto-, Lkw- und Luftfahrtflotte wuchs zu monströser
Größe und damit unsere Abhängigkeit vom Öl, das auch als Kraftstoff für
Heizungen dominierte. Das Klagelied über die ungeschminkte
Interessenpolitik der Förderländer hat dabei jedoch einen schizophrenen
Touch.
## Nicht nur die Golf-Staaten hängen vom Öl ab
Nicht nur Saudi-Arabien, Kuwait, die Emirate und andere Exporteure
verdanken ihren Wohlstand dem Öl. Auch das Wachstum der Industrieländer –
und damit ein Teil des deutschen Wohlstands – sind bis heute an billiges Öl
gekoppelt. Vor allem das Geschäftsmodell der Automobilindustrie, die
angeblich jeden siebten Arbeitsplatz stellt, ist unmittelbar vom Öl
abhängig, ebenso das der Chemieindustrie.
Die Exporterfolge unseres Landes waren nur möglich, weil sich weltweit ein
auf billigen fossilen Brennstoffen basierendes Leben und Wirtschaften
entwickelt hat. Auch künftig erwarten wir von den bösen Klima-Bremsern aus
Dubai selbstverständlich pünktliche Lieferungen von Öl und Gas in
gewaltiger Menge. Zur westlichen Schizophrenie gehört, dass wir wegen des
Klimas von den Förderländern mittelfristig eine Einschränkung ihres
Ölausstoßes fordern, wir selbst aber nicht im Traum daran denken, unseren
Verbrauch zu reduzieren.
Wir erwarten, dass die Förderländer auf Geheiß der Importländer und nach
deren politischem Gutdünken ihr Wohlstandsmodell aufgeben und den Ausstieg
vorbereiten. Kann diese Aufforderung zur Selbstamputation funktionieren?
Schauen wir genauer hin: Wie viel Öl ist überhaupt noch da? Wie lange
können die Förderländer die Welt überhaupt noch in diesem Umfang mit
billigem Treibstoff versorgen?
Noch Anfang der 2000er Jahre rechnete man damit, dass die globale Förderung
in absehbarer Zeit stagnieren und dann zurückgehen wird. „Peak Oil“ lautete
das Schlagwort. Damit verbunden war die Hoffnung, dass Ölförderung und
Treibhaus-Emissionen parallel schrumpfen würden. Doch es kam erst einmal
anders.
## Die Verwandlung der USA
Tatsächlich stagnierte die konventionelle Ölförderung ab etwa 2005 auf
einem ausgedehnten Plateau. Erst ab 2019 ging sie nachweisbar zurück.
Stagnation und Rückgang wurden jedoch überdeckt durch den rasanten, von
niemandem vorhergesehenen Anstieg der unkonventionellen Ölförderung in den
USA – dem Fracking. Die USA, der weltweit größte Ölverbraucher, wurden
durch Fracking zum größten Ölproduzenten der Welt.
Die US-Förderung kletterte von 6,5 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2012
auf 12,3 Millionen im Jahr 2019. Ein nie dagewesener Anstieg in so kurzer
Zeit! Gleichzeitig stieg die globale Ölförderung nach 2012 von 77,5 auf
83,6 Millionen Barrel pro Tag, dem bisherigen Maximum im Jahr 2018. Der
globale Anstieg entspricht also ziemlich exakt dem Anstieg der US-Förderung
im gleichen Zeitraum. Ohne die USA hätte es kein Wachstum gegeben. Doch wie
geht es nun weiter?
Die weltweite Förderung hat ihren Höhepunkt von 83 Millionen Barrel aus dem
Jahr 2018 nach Überwindung des Corona-Einbruchs nicht mehr erreicht, sie
steht aktuell bei täglich 81 Millionen Barrel im Jahr 2022. Würde man diese
Menge in einen Güterzug füllen, würde der von Sizilien bis Spitzbergen
reichen. Die höhere Menge von 99 Millionen Barrel, über die Medien oft
berichten, enthält neben dem Rohöl auch flüssige Bestandteile (Propan,
Butan, Ethan) und Bio-Treibstoffe. Diese Vermischung verstärkt die ohnehin
schon große Intransparenz der Ölmärkte.
Was wir aktuell haben, sind also 81 Millionen Barrel Öl und das simple
Naturgesetz der Endlichkeit. So wie jedes einzelne Ölfeld irgendwann ein
Fördermaximum und danach einen unaufhaltsamen Rückgang erleben wird, so
wird auch die globale Ölförderung nach einem mehr oder weniger langen
Hochplateau irgendwann zurückgehen. Die Frage ist nicht, ob, sondern nur,
wann.
## Fördermenge versus Verbrauch
Die Daten zu den wenigen, neu entdeckten Ölfeldern unterstreichen dies: Das
Maximum der Ölfunde – das wird gern ignoriert – lag in den 1940er Jahren.
Seit den 1980er Jahren übersteigt der jährliche Ölverbrauch die immer
spärlicheren Ölmengen in den neu gefundenen Feldern. Die Schere wird
größer.
Aktuell wird so wenig neues Öl gefunden wie nie zuvor. So registrierte die
Branche im Jahr 2022 rund 3 Milliarden Barrel Neufunde, aufgeteilt auf 80
kleine Felder. Dem steht eine jährliche Ölförderung (und ein Verbrauch!)
von 30 Milliarden Barrel gegenüber. Die Diskrepanz beträgt den Faktor zehn
– und wird von der angelsächsischen Presse zu Recht als Alarmsignal
gewertet.
Die globale Ölförderung wird von drei Ländern dominiert: USA, Russland,
Saudi-Arabien. Alle anderen Ölländer haben eine weitaus geringere Förderung
und sind, bis auf wenige Ausnahmen, entweder auf einem Plateau angekommen,
auf dem die Fördermenge stagniert, oder sie haben ihr Maximum bereits
überschritten, wie das prominente Beispiel Großbritannien.
Das Fördervolumen dieser Länder wird auch in Zukunft ständig weiter
abnehmen. Daher hängt alles von den Großen drei ab. Die Förderung dieser
drei Länder, von denen zwei nach westlicher Definition als politisch
zweifelhafte Kantonisten oder gar Schurkenstaaten gelten, bestimmt den
künftigen globalen Ölmarkt. An ihnen hängt die Versorgung mit dem weltweit
wichtigsten Energieträger.
## Alles hängt vom Fracking ab
Auch die Förderung von Saudi-Arabien und Russland stagniert und wird nach
allem, was bekannt ist, irgendwann zurückgehen. Die Förderung der USA hängt
entscheidend vom Fracking ab. Die spannende Frage lautet: Wann ist dort das
Maximum erreicht? Wann platzt die Fracking-Blase? Die Anzeichen verdichten
sich, dass der Kipppunkt beinahe erreicht ist, denn die Zuwachsraten werden
immer kleiner und nähern sich der Null-Linie.
Der Wendepunkt wird in wenigen Jahren erreicht sein. Folgen wird ein
Rückgang, dessen Abstiegskurve genauso steil nach unten gehen wird, wie sie
nach Beginn des Frackingbooms emporgeschossen ist. Wegen der zu erwartenden
Entwicklung in den USA könnte die weltweite Ölförderung noch in diesem
Jahrzehnt um täglich bis zu 8 Millionen Barrel sinken.
Fazit: Der bisherige globale Peak von 2018 wird wohl nicht noch einmal
erreicht oder gar übertroffen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass wir
Peak Oil schon heute nur noch im Rückspiegel sehen können – gesetzt den
Fall, wir wollen der Realität ins Auge blicken. Peak Oil, das ist eine
häufige Fehleinschätzung, muss nicht zwangsläufig in Panik enden. Es
bedeutet auch nicht, dass uns in kurzer Zeit das Öl „ausgeht“. Es bedeutet
nur, dass das Ölangebot im fossilen Supermarkt zurückgeht und die Welt mit
weniger Öl auskommen muss. Und dies bei vermutlich stark steigenden
Preisen.
Zu Panik und unbeherrschbaren Strukturbrüchen wird es nur kommen, wenn der
Abschied von [3][fossiler Mobilität], [4][Heizung] und Chemie weiter so
langsam vorangeht.
18 Feb 2024
## LINKS
[1] /Bilanz-der-Weltklimakonferenz/!5977588
[2] /Globaler-Sueden-und-Klimakonferenz/!5977713
[3] /Fridays-for-Future-und-Verdi/!5989199
[4] /Gestiegene-Energiekosten/!5987583
## AUTOREN
Manfred Kriener
Jörg Schindler
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