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# taz.de -- Arbeitszeiterfassung bei Lehrkräften: Lehrer lernen Stunden zählen
> Wie viel arbeiten Lehrkräfte neben dem Unterricht? Überstunden erfassen
> Länderbehörden bisher nicht. Nun bewegen sich Bremen und Hamburg ein
> Stück.
Bild: Unterrichten ist für Lehrkräfte nur eine Aufgabe von vielen. Aber alle …
Bremen taz | Manches will man gar nicht so genau wissen. Man ahnt: Wenn man
zu genau hinschaut, sieht man Dinge, die besser im Verborgenen geblieben
wären. So ist das etwa mit der Arbeitszeit von Lehrer*innen: Wenn man
wirklich wüsste, wie viele Überstunden die so machen, dann müsste man sie
vermutlich entlasten. Und das würde weitere Lücken in die
Unterrichtsversorgung reißen.
So ist zu erklären, dass die Bildungsbehörden aller Länder bisher der
Aufforderung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) von 2019, der
[1][Aufforderung durch das Bundesarbeitsgericht 2022] und dem
[2][Arbeitsauftrag von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD)], sich
endlich mit der Arbeitszeit von Lehrer*innen zu beschäftigen, nicht
nachgekommen sind.
„Fast eine Revolution“ sei es nun, moderne Arbeitszeitmodelle zu
entwickeln, sagt Bremens Bildungssenatorin Sascha Aulepp (SPD). Die
Revolution steckt noch in den Kinderschuhen: Diese Woche hat der Senat nur
beschlossen, dass man sich mit den Interessenvertretungen zusammensetzen
und Modelle entwickeln werde.
Bisher wird Arbeitszeit bei Lehrkräften eher geschätzt: Festgeschrieben ist
nur die Unterrichtsverpflichtung. Für eine Vollzeitstelle liegt die in
Bremen aktuell zwischen 25 und 28 Unterrichtsstunden, je nachdem, an
welcher Schulform man arbeitet. Alle anderen Aufgaben sind zwar definiert,
wurden aber nie mit einem echten Stundensoll hinterlegt.
## Mehr Aufgaben, keine Entlastung
1998 war die Unterrichtsverpflichtung in Bremen zuletzt um zwei Stunden pro
Woche erhöht worden. „Seitdem sind auf Nicht-Unterrichtsseite etliche
Pflichten dazugekommen“, sagt der Bremer Personalratsvorsitzende Jörn
Lütjens: Dokumentationspflichten, Kooperationszeiten, mehr Eltern- und
Teamgespräche, etwa im Rahmen der Inklusion. „Lauter kleine Sachen kamen
dazu“, sagt er. „Das Verhältnis von Unterrichtszeit zu Gesamtarbeitszeit
ist total [3][aus dem Ruder gelaufen.“]
Das EuGH-Urteil von 2019 zielt darauf ab, zum Arbeitnehmerschutz die
Arbeitszeit aller Arbeitnehmer*innen individuell zu erfassen. Die
Zeiten für Korrekturen und Klassenfahrten zu dokumentieren, fürs
Mail-Checken und für Elterngespräche, ist nicht banal, aber letztlich eine
Frage technischer Entscheidungen, die viele Arbeitgeber schon getroffen
haben. Es gibt etwa die Möglichkeit, sich in einer App einzustempeln oder
Arbeitszeiten in eine Tabelle einzutragen.
Da momentan die Arbeitszeit nicht erfasst wird, werden Lehrer*innen nur
Unterrichtsstunden erstattet, die sie über das vorgeschriebene Maß hinaus
erteilt haben. Alle andere Arbeit ist dann das Privatvergnügen der
Lehrkräfte. „Viele Lehrer machen deshalb gar keine außerschulischen
Projekte“, erzählt eine Bremer Oberschullehrerin. „Die Zeit dafür kommt
immer auf alles andere oben drauf.“
## Hamburg erfasst Arbeitszeit für eine Studie
Ein paar Schritte weiter als Bremen mit seiner Revolution ist Hamburg: Dort
haben vergangene Woche über 1.000 Lehrer*innen im Rahmen einer Studie
begonnen, ihre Arbeitszeiten aufzuschreiben. Sechs Monate lang vermerken
sie ganz genau, was sie wann getan haben, welche von 28 vorher definierten
Tätigkeitskategorien sie wann wie viel Zeit gekostet hat.
Das Detailwissen über die verschiedenen Tätigkeiten ist auch deshalb
relevant, weil Hamburg auch in anderer Hinsicht schon einen Schritt weiter
ist: Vor 20 Jahren wurde dort die [4][Lehrerarbeitszeitverordnung neu
erstellt.]
Statt wie überall sonst für die gesamten Lehrkräfte grob zu schätzen, wie
viel Zeit wohl neben dem Unterrichten noch gebraucht wird, wurden in
Hamburg einzelne Aufgaben mit einem Zeitfaktor versehen. So kann sich für
einzelne Lehrer*innen, beispielsweise in klassischen Korrekturfächern, die
verpflichtende Unterrichtszeit verringern.
## Suche nach Arbeitszeitmodellen
Das Problem: Auch in Hamburg sind in den letzten 20 Jahren Aufgaben
hinzugekommen, die bisher kein Faktor erfasst. „Mittelfristig halten wir
eine Anpassung für wünschenswert“, sagt Yvonne Heimbüchel, stellvertretende
Vorsitzende der GEW Hamburg. Langfristig will die GEW das System der
Faktoren abschaffen. „Die tatsächliche Arbeitszeit bildet es einfach nicht
ab“, sagt Heimbüchel.
Wie aber könnte eine Lösung aussehen? In seiner [5][Pressemitteilung zur
Lehrerarbeitszeit] stellt Bremen ein Projekt von acht Grundschulen heraus.
Dort wird die Präsenzzeitverordnung ausgereizt; das heißt: Lehrer*innen
dort müssen den Großteil ihrer Arbeitszeit – 35 Stunden wöchentlich –
tatsächlich an den Schulen selbst verbringen. Theoretisch können solche
Modelle zur Begrenzung der Arbeit beitragen.
Praktisch ergeben sich zahlreiche Probleme: Es fehlt in den
Bildungseinrichtungen laut Personalrat Schule an ruhigen Arbeitsplätzen;
die ständig mögliche Ansprache durch Schüler*innen erschwert
konzentriertes Arbeiten; und vor allem: die Präsenzpflicht nimmt
Lehrer*innen die Flexibilität. Die Behörde begründet denn auch nicht,
was sie sich von einem Präsenzzeitmodell verspricht.
Der Personalrat Schulen winkt ab. „Dem würden wir natürlich nicht
zustimmen“, sagt dessen Vorsitzender Lütjens. Für ihn ist der Verweis auf
das Präsenzzeitmodell ohnehin eher eine Ablenkung vom Wesentlichen. „Hier
wird ein bisschen vorgetäuscht, dass man schon was getan habe“, findet der
Personalrat. „Die Behörde will erst mal ein tolles neues Arbeitszeitmodell
entwickeln, statt jetzt schon zu erfassen, wie viel gearbeitet wird.“ Dabei
hätte das für ihn Vorrang: „Dabei geht es um Arbeitsschutz.“
17 Feb 2024
## LINKS
[1] /Urteil-zur-Arbeitszeiterfassung/!5878166
[2] /Gesetz-fuer-Arbeitszeiterfassung/!5926287
[3] /Arbeitsbelastung-von-Lehrkraeften/!5909028
[4] /!793875/
[5] https://www.transparenz.bremen.de/metainformationen/bremen-denkt-arbeitszei…
## AUTOREN
Lotta Drügemöller
## TAGS
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Bremen
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Arbeitsrecht
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