| # taz.de -- Falk Richter über queeres Empowerment: „Fuck you! Ich mache, was… | |
| > In jungen Jahren musste Falk Richter verstecken, dass er schwul ist. | |
| > Heute ist er ein gefragter Theatermacher, der sich mit Familie, Provinz | |
| > und der Neuen Rechten auseinandersetzt. | |
| Bild: Falk Richter in dem Bühnenbild seines neuen Stückes | |
| Für das Treffen hat Falk Richter eine für Prenzlauer Berg typische Bäckerei | |
| rausgesucht. Es gibt selbstgebackenes Brot aus Natursauerteig, Musik dudelt | |
| aus den Boxen. Richter, der mit seinem autofiktionalen Stück [1][„The | |
| Silence“] gerade zum [2][Theatertreffen] eingeladen wurde, gibt | |
| ausführliche Antworten, ab und zu vergewissert er sich, ob er nicht zu sehr | |
| vom Thema abgekommen ist. Nach einer Stunde fragt er: „Noch einen Kaffee?“ | |
| wochentaz: Herr Richter, Sie sind in einer bürgerlichen Kaufmannsfamilie in | |
| den 70er und 80er Jahren in Niedersachsen groß geworden. Wie sind Sie zum | |
| Theater gekommen? | |
| Falk Richter: Ich bin als 14-Jähriger mit der Schulklasse in eine | |
| kontrovers diskutierte Inszenierung von Peter Zadek im Hamburger | |
| Schauspielhaus gegangen. Zadek war damals dort Intendant und total verhasst | |
| beim Bürgertum. | |
| Warum wurde sie so kontrovers diskutiert? | |
| Ilse Ritter und Eva Mattes haben ein lesbisches Paar gespielt. Mich hat | |
| damals total beeindruckt, dass so etwas überhaupt zeigbar ist. Kurze Zeit | |
| später habe ich mit anderen bei mir am Gymnasium eine Theatergruppe | |
| gegründet, mit der wir zeitgenössische Stücke von Franz Xaver Kroetz, | |
| Hildesheimer, ja sogar von Handke aufgeführt haben. | |
| Waren Sie ein rebellischer Teenager oder eher ein angepasster? | |
| Ich war sehr rebellisch. Ich hatte viel Streit mit meinen Eltern, weil ich | |
| komplett anders leben wollte als sie. Es waren ja die 80er in einer | |
| Kleinstadt, und ich habe bereits mit 14, 15, angedeutet, dass ich schwul | |
| bin. Und dann wollte ich auch noch Theater machen! Mein Coming-out als | |
| Künstler war interessanterweise gleich schlimm für meine Eltern wie mein | |
| Coming-out als homosexueller Mann. Für sie hieß Künstler sein: Der wird uns | |
| auf der Tasche liegen. Und bei Homosexualität hat man damals sofort an Aids | |
| gedacht. | |
| Haben Sie irgendwann gesagt: Mama, Papa, ich bin schwul? | |
| In meiner Familie wurde beim Abendbrot immer viel diskutiert. Und da habe | |
| ich probehalber eine bisexuelle Vision von mir entworfen. Allein das war | |
| schon total shocking für meine Eltern, aber da haben sie vermutlich noch | |
| gedacht: Na ja, der redet nur. Doch dann hatte ich meinen ersten Freund und | |
| das war dann nicht mehr so witzig. | |
| Inwiefern? | |
| Meine Eltern haben versucht, die Beziehung zu unterbinden. Sie wollten | |
| meinen damaligen Freund sogar verklagen, weil er volljährig war und ich | |
| nicht. Und als ich meinem Vater nicht verraten wollte, wie mein Freund hieß | |
| und wo er wohnte, ist er auf mich losgegangen und hat mich verprügelt. | |
| Wie ging es weiter? | |
| Danach habe ich vor meinen Eltern so getan, als sei ich nicht schwul. Aber | |
| mit 18 habe ich dann gesagt: Fuck you all! Jetzt mache ich, was ich will. | |
| Wie haben Sie dieses Versteckspiel ausgehalten? | |
| So wie viele queere Teenager. Ich habe nach außen ein „normales“ Leben | |
| performt und mein Begehren heimlich ausgelebt. Ich habe sehr viel schwule | |
| Literatur gelesen: Fassbinder, Pasolini, Jean Genet und bin mit der S-Bahn | |
| nach Hamburg in queere Clubs, zum Beispiel das legendäre „Front“, wo ich | |
| mir die Nächte um die Ohren gehauen habe. | |
| Sie sagten, dass Aids zu Ihrer Zeit ein großes Thema war. | |
| Es war furchtbar. | |
| Hatten Sie Angst? | |
| Klar. Damals hat man ja noch geglaubt, dass nur schwule Männer davon | |
| betroffen sind und selbst ein Kuss tödlich sein kann. Und das alles zu | |
| einer Zeit, in der ich gerade meine Sexualität entdeckte. Dabei soll Sex ja | |
| eigentlich etwas Lustvolles, Befreiendes sein. | |
| Ist damals jemand aus Ihrem Freundeskreis an Aids gestorben? | |
| Von meinen gleichaltrigen Freunden glücklicherweise niemand, aber ich hatte | |
| damals einen zehn Jahre älteren Freund, einen Fotografen, der für meine | |
| ersten Theaterprojekte die Fotos gemacht hat, und der war HIV positiv. Ich | |
| weiß noch, dass er jede Menge Tabletten nehmen musste, die wahnsinnig viele | |
| Nebenwirkungen hatten. Kurz bevor er gestorben ist, hat er uns alle zu | |
| seiner Abschiedsfeier eingeladen. | |
| Sie sind mit 18 nach Hamburg gegangen und haben dort zunächst als | |
| Zivildienstleistender gearbeitet. War die Provinz so unerträglich? | |
| Ja. Ihre Fantasielosigkeit und dieser Konformitätsdruck, der andere | |
| Lebensentwürfe einfach nicht zulässt. | |
| Wieso leben dennoch viele gerne dort? | |
| Weil man dort Teil einer Gemeinschaft ist, in der die Regeln einfach sind: | |
| Halte den Rasen kurz, gib dich unauffällig, sei freundlich, höflich, nett. | |
| Die meisten sind weiß, sprechen Deutsch, haben einen geregelten Job, zwei | |
| Kinder. Es ist der alte Traum von der heilen Familie. | |
| Sie haben an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg Regie | |
| studiert. Wie haben Ihre Eltern reagiert, als Sie angenommen wurden? | |
| Ich erinnere mich noch, wie ich nach der Zusage von einer Telefonzelle aus | |
| meine Mutter angerufen habe. Ich war überglücklich, doch sie reagierte | |
| entsetzt und fragte: Kann man da auch einen Doktor machen? Aber mit den | |
| ersten Erfolgen sind meine Eltern umgeschwenkt und fanden meine | |
| Theaterarbeiten plötzlich ganz toll. | |
| Sie haben während Ihres Studiums erste eigene Stücke uraufgeführt. War die | |
| Inszenierung eigener Stoffe an Ihrer Schule üblich? | |
| Nein, überhaupt nicht. Meine Studienkollegen haben parallel alle Szenen aus | |
| „Nathan der Weise“ inszeniert. Ich sollte das auch machen, aber ich habe | |
| gesagt: Mir fällt dazu nichts ein. Mein Professor Jürgen Flimm wollte mich | |
| deshalb sogar rausschmeißen … | |
| Warum ist es nicht dazu gekommen? | |
| Ich hatte Glück. Der Theaterverlagschef von S. Fischer hat Flimm einen | |
| Brief geschrieben und sich für mich eingesetzt. Die waren befreundet und | |
| ich bereits als Autor bei Fischer unter Vertrag. | |
| Was hatten Sie gegen „Nathan der Weise“? | |
| Ich hatte das Gefühl, dass über meine Generation und ihre spezifischen | |
| Probleme erzählt werden muss. Und da gab es damals nicht so viele Leute, | |
| die das gemacht haben. Außerdem komme ich nicht aus einer Familie, in der | |
| klassische Literatur gelesen wurde. Ich bin mit Musikvideos groß geworden, | |
| mit Bands wie Frankie Goes To Hollywood, Bronski Beat, Boy George, Annie | |
| Lennox und David Bowie natürlich, die die Genderfragen offensiv gestellt | |
| haben. | |
| Wie haben Sie daraus Theater gemacht? | |
| Statt Klassiker zu lesen, habe ich während des Studiums MTV-Sendungen | |
| transkribiert. Ich wollte verstehen, wie die Moderatorinnen ihre Sätze | |
| bilden und wie die Verlinkung zwischen intelligenten Sachen und totalem | |
| Nonsens funktioniert. 2004 habe ich für mein Stück „Unter Eis“ so etwas | |
| Ähnliches mit der damals noch relativ neuen Sprache der Consultants | |
| gemacht. Ich wollte verstehen, was sich für ein Menschenbild daraus ergibt. | |
| Etabliert sich gerade wieder eine neue Sprache? | |
| Der Podcastsprech oder wie junge Schauspielerinnen jetzt sprechen: „Safe“, | |
| „Iconic“, „Really?!“ – das hat Humor. Gleichzeitig fallen Sätze wie … | |
| hat mich voll traumatisiert“ oft in total banalen Zusammenhängen. Das ist | |
| irritierend, aber ein Indiz dafür, dass wir in einer zutiefst | |
| traumatisierten Gesellschaft leben. | |
| Gibt es gerade mehr traumatisierende Ereignisse als zu Ihrer Jugendzeit? | |
| Ich weiß nicht. In den 80ern ist es auch so gewesen, dass wir Schüler alle | |
| davon ausgegangen sind, nicht über 30 zu werden, weil es zum Atomkrieg | |
| kommt oder zu mehreren AKW-Unfällen wie in Tschernobyl. Gleichzeitig sind | |
| die heutigen Ängste wegen des drohenden Klimakollapses ja total berechtigt. | |
| Also doch alles schlimmer als früher? | |
| Ich habe schon das Gefühl, dass es gerade besonders schlimm ist. Und seit | |
| wenigen Jahren realisieren meine gleichaltrigen Freunde und ich, dass wir | |
| auch nicht besser waren als unsere Eltern. Dass wir jetzt diese scheiß | |
| Generation sind, die diesen Planeten in einem katastrophalen Zustand | |
| hinterlässt. Dabei könnten Leute in meinem Alter in entscheidenden | |
| Positionen andere Entscheidungen fällen, aber stattdessen verharren wir im | |
| Neoliberalismus und die Kriege nehmen zu … | |
| Wieso landen wir immer wieder an diesem Punkt? | |
| Weil wir alle traumatisiert sind. Ich glaube, dass durch bestimmte | |
| traumatisierende Ereignisse in der Weltgeschichte keine Empathie für die | |
| nachfolgenden Generationen entstanden ist. Ich kann das anhand meiner | |
| Eltern ganz gut beschreiben. Denen wurde als Kinder im Zweiten Weltkrieg | |
| jegliche Empathie aberzogen. Die können sich nicht richtig reindenken in | |
| andere. | |
| Nach mir die Sintflut? | |
| Na ja, jetzt muss ich das etwas relativieren, weil gleichzeitig findet auch | |
| dank Fridays for Future und der Letzten Generation ja schon ein Umdenken | |
| statt. Dieses wilde Herumfliegen, das macht heute kaum noch wer – auch die | |
| Theater nicht. Jetzt fahren wir alle Zug. Immer. Okay: fast immer. | |
| Sie machen seit 30 Jahren Theater. In letzter Zeit häufig auf Grundlage | |
| Ihrer eigenen, aber auch fremder autobiografischer Erfahrungen. Warum? | |
| Eine Zeit lang hat mich klassisches Schauspiel nicht so interessiert, | |
| sprich, dass ein Schauspieler in eine Rolle schlüpft, die mit seinem | |
| eigenen Leben nur entfernt etwas zu tun hat. Da habe ich mich lieber mit | |
| sehr persönlichen Fragen auseinandergesetzt, wie bei „In My Room“ am Maxim | |
| Gorki Theater, wo mein Ensemble und ich uns mit unseren Vätern und der | |
| Beziehung zu ihnen beschäftigt haben. | |
| In Ihrem neuen Stück „The Silence“ an der Schaubühne Berlin beschäftigen | |
| Sie sich mit den Kriegstraumata Ihrer Eltern und deren Auswirkungen auf Ihr | |
| Coming-out. Wie sind Sie zum autofiktionalen Schreiben gekommen? | |
| Ich habe eine Zeit lang relativ viel in Frankreich und Belgien gearbeitet | |
| und da mitbekommen, dass viele Theatermacher ihre eigenen Texte geschrieben | |
| und inszeniert haben. Und als mich Shermin Langhoff 2013 ans Maxim Gorki | |
| Theater geholt hat, wollte sie, dass ich neue Stücke für ihr migrantisches | |
| Ensemble schreibe. Und da habe ich gedacht: Okay, Yael Ronen schreibt über | |
| die jüdische Community, Sasha Marianna Salzmann über die russische. Was | |
| noch fehlt, sind Stücke für die queere Community und ein queeres | |
| Empowerment. | |
| Gab es das damals noch nicht? | |
| Damals war es in deutschen Theatern üblich, dass schwule Figuren an Aids | |
| sterben oder wahnsinnig viele andere Probleme haben. Dieser Opferrolle | |
| wollte ich etwas entgegensetzen. Ich wollte starke schwule Personen auf die | |
| Bühne bringen und dann habe ich „Small Town Boy“ geschrieben, wo eine | |
| queere Person eine flammende Rede gegen Homophobie und für die rechtliche | |
| Gleichstellung queerer Menschen hält. | |
| Warum hat man hierzulande relativ lange gebraucht, um die Qualität von | |
| autofiktionalen Stoffen zu erkennen? | |
| Das deutsche Stadttheater ist ziemlich hierarchisch organisiert. Es gibt | |
| die Intendanten, das Ensemble, den Kanon. Und die Abonnenten, die ja oft | |
| aus dem konservativen Bürgertum kommen, fordern Klassiker. In anderen | |
| Ländern gibt es diesen Kanon nicht und viel mehr freie Gruppen, die sich | |
| ausprobieren. | |
| Wenn man über sich selbst schreibt, bringt das gewisse Schwierigkeiten mit | |
| sich. Worin liegen die Ihrer Meinung nach? | |
| Ich finde, das Schwierigste ist, dass man beim Schreiben über die eigenen | |
| Traumata nicht in so eine selbstmitleidige Opferperspektive reinrutscht. So | |
| etwas will niemand lesen. | |
| Und wie geht das? | |
| Da muss man sich bei jedem Satz die Frage stellen, ob er selbstmitleidig | |
| klingt oder nicht. Bei „The Silence“ war das gar nicht so leicht. Da | |
| schreibe ich ja darüber, wie ich in Buchholz in der Nordheide von zwei | |
| Schwulen hassenden Typen durch die Stadt gejagt und krankenhausreif | |
| geschlagen werde. | |
| Aber wie schafft man es, dass so ein autofiktionaler Text nicht zum reinen | |
| Nabelschauprojekt wird? | |
| Interessant wird es dann, wenn man die eigene Geschichte mit einem | |
| gesellschaftlich relevanten Thema verbinden kann. Bei „The Silence“ war es | |
| die Traumatisierung von Gesellschaften, über die nicht gesprochen wird, und | |
| die Frage von Täter und Opfer. Bei meinem Vater, der mit 18 in den Krieg | |
| eingezogen wurde, könnte man sagen, er war Opfer, weil er dazu gezwungen | |
| wurde, aber er war natürlich auch Täter, weil er Menschen umgebracht hat. | |
| Und jetzt erleben wir in Russland und der Ukraine und auch in Israel und | |
| Gaza wieder, wie ganz viele junge Leute zu Tätern werden und gleichzeitig | |
| ganz sicher selbst Schäden davontragen werden. | |
| Wie kann man autofiktional arbeiten, ohne die Privatsphäre seiner | |
| Angehörigen zu verletzen? | |
| In „The Silence“ interviewe ich ja meine eigene Mutter. Man sieht in einem | |
| Video, wie wir zusammen bei ihr im Haus am Tisch sitzen. Ich spreche also | |
| nicht bloß über sie, sondern mit ihr. Meine Mutter hat ihre eigene Stimme, | |
| sie kann sich selbst vertreten. Interessanterweise hatte sie auch total | |
| Lust dazu, ihre Geschichte zu erzählen. Sie war nur nicht so glücklich | |
| darüber, dass ich auch meine erzählen wollte … | |
| Wofür steht die Geschichte Ihrer Mutter? | |
| Sie steht stellvertretend für eine Generation von Frauen, die nicht | |
| gearbeitet haben, weil ihr Ehemann es ihnen nicht erlaubt hat. Außerdem war | |
| sie zeitweise eine alleinerziehende Mutter in den 60er Jahren und wurde so | |
| behandelt wie das, was man damals „eine gefallene Frau“ nannte. Dabei wäre | |
| sie gerne Ärztin geworden, aber das hat ihr mein Großvater nicht | |
| finanziert. Er ist davon ausgegangen, dass sie ja sowieso irgendwann | |
| heiratet … | |
| Ihrer älteren Schwester ist es in den 80ern ähnlich ergangen … | |
| Ja, meine Schwester wollte auch studieren und da hat mein Vater gesagt: | |
| Nee, das finanziere ich nicht. Bei meiner Schwester tut es mir auch deshalb | |
| so leid, weil die Entscheidung meines Vater auch daher kam, dass er so alt | |
| war. In der Zeit gab es bereits viele, die anders gedacht haben. | |
| Was bedeutet Familie für Sie? | |
| Für mich erzeugt der Begriff ein ambivalentes Gefühl. Ich habe mich in | |
| meiner eigenen Familie bislang nicht gut aufgehoben gefühlt, aber ich habe | |
| gelernt, dass man auch außerhalb der biologischen Familie Menschen finden | |
| kann, die einem Geborgenheit und Halt geben. | |
| Sie haben sich in Ihren Arbeiten relativ früh mit dem weltweiten | |
| Rechtsruck beschäftigt. Wie kam es dazu? | |
| Ich gehöre als schwuler Mann, der das auch offen lebt, zu einer sehr | |
| gefährdeten Gruppe. Deshalb habe ich womöglich ziemlich früh gespürt, dass | |
| da etwas Gefährliches auf uns zukommt. | |
| Können Sie das konkretisieren? | |
| Vor rund zehn Jahren sind mein Dramaturg Nils Haarmann und ich darauf | |
| aufmerksam geworden, dass die Rechte von Frauen an verschiedenen Orten auf | |
| der Welt eingeschränkt und Schwule systematisch verfolgt und | |
| zusammengeschlagen wurden. Etwa zeitgleich gründete sich in Frankreich die | |
| „La Manif pour tous“. Das ist eine ganz schlimme Anti-Gender-Bewegung, die | |
| damals gegen die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe auf die Straße | |
| ging. Dann tauchte in Deutschland plötzlich die deutsche Version von La | |
| Manif pour tous auf: das Aktionsbündnis „Demo für alle“, in dem neben AfD- | |
| auch CDU-Leute, so komische Evangelikale und Hardcore-Katholiken | |
| organisiert sind. Zusammengefasst: die AfD, Pegida, die Angst vor der | |
| „Überfremdung des Abendlandes“. Da zeichnete sich eine extrem bedenkliche | |
| Entwicklung ab, die wir 2015 in dem Theaterstück „Fear“ abzubilden versucht | |
| haben. | |
| Was ist danach passiert? | |
| Danach sind die Neuen Rechten Sturm gelaufen. Es gab Morddrohungen gegen | |
| mich, Schmierereien an der Schaubühne und Störrufe von einem AfD-Funktionär | |
| im Theatersaal. Die rechte Aktivistin Hedwig von Beverfoerde und die | |
| AfD-Politikerin Beatrix von Storch haben außerdem versucht, gerichtlich | |
| gegen die Aufführung vorzugehen. Das ist aber gescheitert. Das Gericht hat | |
| ihrer Klage in keinem Punkt stattgegeben. Wir haben das Stück weiter | |
| gezeigt. | |
| Ist „Bad Kingdom“, Ihr neuestes nichtautofiktionales Stück an der | |
| Schaubühne, thematisch eine Fortsetzung von „Fear“? | |
| Es ist eine dunkle Komödie über unsere Zeit heute. Über eine | |
| postpandemische, krisenmüde Gesellschaft, in der sich Menschen zunehmend | |
| einsam und verloren fühlen und vor allem rechte und radikale Gruppierungen | |
| Zulauf gewinnen. | |
| Warum haben die Neuen Rechten gerade so einen großen Zulauf? | |
| Vermutlich, weil sie in diesen unruhigen Zeiten eine Scheinschutzwelt | |
| anbieten: die Familie, die reinrassige Gesellschaft. Es ist ja auch viel | |
| einfacher, wenn man das Gefühl hat, dass der eigene Lebensentwurf der | |
| einzig richtige ist. Mein Vater zum Beispiel musste sich nie hinterfragen. | |
| Er sagte, wo es langgeht. Typen wie Thomas Gottschalk oder Friedrich Merz | |
| konnten sich problemlos jahrzehntelang sexistisch und rassistisch äußern. | |
| Sie waren die Norm. Und das wird heute alles infrage gestellt. Letztlich | |
| sind pluralistische Gesellschaften immer ein Angriff auf die Mächtigen. | |
| Und die schlagen gerade zurück. | |
| Vor ein paar Tagen habe ich zufällig ein Interview mit einer älteren Frau | |
| gesehen, die gegen die neue, liberalere Regierung in Polen auf die Straße | |
| gegangen ist. Und die hat doch tatsächlich gesagt: Als die PiS-Partei noch | |
| an der Macht war, waren wir stolz, Polen zu sein, aber jetzt sind wir nur | |
| noch Dreck. | |
| Wie kommt sie darauf? | |
| Ich denke, sie sieht das so, weil Donald Tusk jetzt nicht mehr nur das | |
| heterosexuelle, patriarchale Modell präferiert, sondern auch wieder Rechte | |
| für Queere, Frauen und Nichtkatholiken berücksichtigt. Und das lässt sie | |
| glauben, sie werde abgewertet. | |
| Aber sie ist doch selber eine Frau. | |
| Ich glaube, sie identifiziert sich gar nicht so sehr als Frau, sondern | |
| vielmehr als polnische Nationalistin. | |
| Damit handelt sie gegen die Interessen ihres Geschlechts. Wie kriegt man | |
| das Patriarchat aus sich raus? | |
| Ein israelischer Freund von mir sagt immer „We need to bring down | |
| patriarchy through song, dance and laughter“ – was auch immer das heißen | |
| mag. | |
| 12 Feb 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Neues-Theaterstueck-von-Falk-Richter/!5971246 | |
| [2] /Auswahl-des-Berliner-Theatertreffens/!5988272 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Fastabend | |
| ## TAGS | |
| Theater | |
| Provinz | |
| Schwerpunkt LGBTQIA | |
| GNS | |
| Theatertreffen Berlin | |
| Gender | |
| Falk Richter | |
| Theatertreffen Berlin | |
| Porträt | |
| Theater Bremerhaven | |
| Theaterstück | |
| Theater Berlin | |
| Theater | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Theaterstück „Pride“ von Falk Richter: Nichts ist normaler als queer | |
| Zu Beginn der Intendanz von Vasco Bönisch zeigt das Staatstheater Hannover | |
| erstmals auf Deutsch Falk Richters „Pride“. Ein Wagnis ist das nicht. | |
| Theatertreffen in Berlin: Was bin ich ohne meinen Schmerz? | |
| Die Neuerfindung des Ichs führt bei mehreren Stücken des Berliner | |
| Theatertreffen ins Unglück. Eines davon ist „Die Vaterlosen“ von Jette | |
| Steckel. | |
| Porträt der Schauspielerin Lina Beckmann: Wie wahrscheinlich ist das denn? | |
| Mit dem Solo „Laios“ ist Lina Beckmann zum Theatertreffen in Berlin | |
| eingeladen. Sie kann alles spielen: das ausgesetzte Kind, den Chor und den | |
| König. | |
| Theaterstück zu Leben mit Homosexualität: Im Gefängnis des Normalen | |
| Von homosexueller Selbstverleugnung handelt das Stück „Tom auf dem Lande“. | |
| Das Stadttheater Bremerhaven bringt es etwas zu pathetisch. | |
| Theaterstück zum Ukrainekrieg: Ein riesiger Elefant steht im Raum | |
| „Postkarten aus dem Osten“ regt zum Nachdenken über Krieg und seinen | |
| Kontext an. Zweisprachig spielt das Stück an der Berliner Schaubühne. | |
| Auswahl des Berliner Theatertreffens: Solo für Lina Beckmann | |
| Die Auswahl für das Berliner Theatertreffen steht fest. Zum ersten Mal ist | |
| auch das Theaterhaus Jena zu Besuch. | |
| Neues Theaterstück von Falk Richter: Väter, Söhne, Autofiktion | |
| Wo die Gefühle sitzen: „The Silence“ von Falk Richter feiert Premiere an | |
| der Berliner Schaubühne. Das Stück handelt von transgenerationalen | |
| Traumata. |