| # taz.de -- Theaterstück „Pride“ von Falk Richter: Nichts ist normaler als… | |
| > Zu Beginn der Intendanz von Vasco Bönisch zeigt das Staatstheater | |
| > Hannover erstmals auf Deutsch Falk Richters „Pride“. Ein Wagnis ist das | |
| > nicht. | |
| Bild: Wolfgang Menardi hat ein fluides Raumgebilde aus Metallrahmen entworfen | |
| In diese Beziehung ist die Krise längst eingezogen. Hat es sich ungemütlich | |
| gemütlich gemacht, in den tiefen Taschen der Baggy Jeans und im grellen | |
| Neongelb der Jogginghosen. Exaltierte Besserwisser-Brillen haben den Blick | |
| geschärft auf alles Unperfekte von Partner*in oder Partner. Da hilft kein | |
| noch so gefühliges „Ich höre das und es darf hier sein“ und erst recht ke… | |
| „Ich möchte dir danken. Für diesen Raum, den du gibst“. | |
| Die Krise ist längst sesshaft geworden bei dem von Leyb Elias und Shirin | |
| Eissa gespielten, [1][queeren Paar] aus Falk Richters Stück „Pride“. | |
| Schrecklich geübt ist es in Ich-Botschaften und in gewaltfreier | |
| Kommunikation. | |
| Zur deutschen Erstaufführung gebracht hat Richter – nach der Uraufführung | |
| 2021 in Kopenhagen – „Pride“ nun selbst, und zwar zur Eröffnung der | |
| Spielzeit am Staatsschauspiel Hannover. Es ist zugleich der Auftakt der | |
| neuen Intendanz von Vasco Bönisch. Der vormalige Chefdramaturg am | |
| Schauspielhaus Bochum folgt auf Sonja Anders, die das niedersächsische | |
| Theater sechs Jahre lang geleitet hat. | |
| Präzise seziert [2][Falk Richter] in „Pride“ den Zustand mancher, queerer | |
| Paare oder solcher, die es werden könnten. Erzählt von verblasster | |
| Leidenschaft und verletzten Gefühlen, von verborgenen Wünschen und von | |
| häuslicher Gewalt. Schließlich leben (auch) diese Paare in mehr oder | |
| weniger „normalen“ Beziehungen, in denen ein „Alles, was ich sagen wollte, | |
| ist, dass du ein bisschen weniger Weißbrot abends essen solltest“ zum | |
| ultimativen Beziehungskiller werden kann. | |
| ## Fakten und Persönliches | |
| Schön ist das nicht. Und nicht besonders schillernd – auch wenn das die | |
| grellen Kostüme von Andy Besuch vermuten lassen. Tatsächlich inszeniert | |
| Richter seine Einblicke in die queere Community mit Alltagssorgen, | |
| Bodenhaftung und auch mit feiner Ironie. „We don’t have to be better people | |
| just because we are queer“, heißt es in einer dieser kaleidoskopartig | |
| angeordneten Szenen. Und dieser Satz macht klar, wie ähnlich alles | |
| Zwischenmenschliche ist. Ganz egal, ob regenbogenbunt, hetero-normativ oder | |
| rentnerbeige. | |
| Mit „Pride“ hat Richter einen so strahlkräftigen wie ehrlichen Abend | |
| geschaffen, der neben den pointiert inszenierten Paarszenen angefüllt ist | |
| mit aufklärenden Fakten über Queerness und [3][Transition], [4][über | |
| Stigmatisierungen, Ausgrenzungen und Übergriffe], über unsichere | |
| Identitäten und beunruhigende Testosteron-Treatments. | |
| Es ist ein Abend, der außerdem sehr persönliche Performer*innen-Biografien | |
| als fragile Monologe auf die Bühne bringt, sie dort auf Tanzeinlagen, | |
| Bronski Beat und literarische Richter-Texte treffen lässt und so immer | |
| wieder die Grenze zwischen Authentizität und Figurenspiel verwischt. | |
| Und es ist ein eindringlicher Abend, der einer Mehrheitsgesellschaft von | |
| einer Minderheit erzählt – mit herausragenden Gesangseinlagen von Jonathan | |
| Eduardo Brito und Shirin Eissa! – von queerer Geschichte und Gegenwart, von | |
| Coming-outs in Niedersachsen und von Neonazis in Bautzen. | |
| ## Rausch im fluiden Raum | |
| Wolfgang Menardi hat für diesen gleichermaßen dokumentarischen, | |
| appellativen und rauschhaften Abend ein fluides Raumgebilde aus metallenen | |
| Rahmen entworfen. Auf weißem Lackfolienboden stehen Stühle, Spiegel und | |
| viele, bedeutungsvoll flackernde Grabkerzen. Mittendrin hängt eine | |
| Discokugel, ragen zwei pinkfarbene Baumstämme trostlos in Richtung | |
| Bühnenhimmel. | |
| Die sieben überzeugenden Spieler*innen und Tänzer*innen verirren und | |
| verlieren sich in diesem Labyrinth wie in dem der Identitäten. Sie suchen | |
| nach Halt und echten Gefühlen, nach Wegen aus der Einsamkeit und nach | |
| gesellschaftlicher Akzeptanz. Extrem lässig changieren ihre Looks zwischen | |
| Glamour, Camp und Glitzer, zwischen Turnschuhen, High Heels und Plateau, | |
| erzählen von Identität, Sex und Geschlecht, von Angst, Freiheit und | |
| Widerstand. | |
| „Pride“ ist fern von Schulstoff oder Shakespeare. Doch seine theatralen | |
| Allies sind für Hannover nicht neu: Man findet sie in Matthew Lopez’ | |
| Netflix-glatt komponiertem, queeren Epos „Das Vermächtnis“, das Sonja | |
| Anders in der Regie von Ronny Jakubaschk 2022 auf den Spielplan gesetzt | |
| hatte, oder in Ran Chai Bar-zvis berührender Bühnenadaption von Kim de | |
| l’Horizons „Blutbuch“ aus dem Jahr darauf. | |
| Mit „Wenn man etwas riskiert, dann muss man es am Anfang riskieren“, | |
| zitiert Vasco Bönisch in seiner Begrüßungsrede seinen Vorvorgänger, den | |
| Intendanten Ulrich Khuon, und labelt diesen Auftakt als „auch ein bisschen | |
| Risiko“. | |
| Das stimmt nicht wirklich. Aber ein klares Bekenntnis, wohin die Reise | |
| geht, ist es durchaus. Und zum Spielzeitmotto „Liebe will riskiert werden“ | |
| passt’s auch. Denn von der Liebe erzählt „Pride“ durchaus: brüchig, | |
| unruhig, menschlich und stolz. | |
| 27 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Ullmann | |
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