| # taz.de -- Jelinek in den Kammerspielen München: Die Reichen baden, der Plane… | |
| > Elfriede Jelineks neues Stück „Asche“, inszeniert von Falk Richter, | |
| > stimmt zur Totenmesse für die Menschheit und einen persönlichen Gefährten | |
| > an. | |
| Bild: Romantische Verklärung der Natur und ihre Zerstörung: Das Verhältnis l… | |
| Plastik, wohin man schaut. Ein ganzer Ozean aus Kunststoffflaschen liegt | |
| vor uns, ausgebreitet zwischen Campingstühlen und Strandequipment. Gewiss, | |
| „was Neues hätte dem Meer auch gut gefallen“, aber wo der Mensch sich nicht | |
| ändert, kann man da erwarten, dass es zumindest diese miesepetrige Natur | |
| tut? Auf ihre Weise hat sie sich in Elfriede Jelineks neuem Stück „Asche“, | |
| nun uraufgeführt an den Münchner Kammerspielen, durchaus gewandelt, nämlich | |
| hin zu einem postapokalyptischen Raum. | |
| Mittlerweile herrscht sengende Hitze, mal stürmt es auf der Bühne, mal | |
| steigt über einem riesigen Lavasteinmassiv eine Rauchsäule (Bühne: Katrin | |
| Hoffmann) empor. Und damit selbst die letzten Verdrängungskünstler den | |
| Weckruf des Planeten vernehmen, stolpert ein um Luft ringender Darsteller | |
| (Thomas Schmauser) im Kostüm eines dampfenden Globus durch die | |
| Endzeitszenerie. Nichtsdestotrotz sonnen sich hier manche, genauer: die | |
| Reichen, die es sich leisten können, zu den noch halbwegs bewohnbaren | |
| Flecken der Erde zu reisen. | |
| Wie so oft verfugt die [1][Nobelpreisträgerin Jelinek] auch in dieser | |
| sarkastischen Weltabrechnung wild die Diskurse. Der Klimawandel erweist | |
| sich als das Fanal eines Sorglos-Kapitalismus sowie eines ungebremsten | |
| (insbesondere männlich betriebenen) Fortschritts. Letzterer scheint am Ende | |
| dieses strikt auf die Katastrophe zulaufenden Abends sogar beinah die | |
| Menschheit zu überleben. Denn als das Parkett entvölkert wirkt, spricht | |
| kurzzeitig allein ein projizierter KI-Avatar. Dahinter sah man auf einer | |
| großen Leinwand zuvor Videos von biblischen Plagen oder Palastruinen | |
| untergegangener Kulturen. | |
| Nun, würde sich dieser Abend allein in die Riege der zahlreichen | |
| Klimadystopien der vergangenen Jahre einordnen, ließe sich gewiss über sein | |
| Surplus streiten. Doch der Text verspricht, obgleich er nicht zu den | |
| stärksten der 1946 geborenen Schriftstellerin gehört, noch mehr. | |
| Insbesondere weil er das kollektive Untergangsschicksal mit dem Schmerz des | |
| individuellen Abschieds engführt. [2][Falk Richters Regie] zeugt dabei von | |
| reichlich Fingerspitzengefühl. Zwischen den passenden Bilderfluten in den | |
| grotesken, gesellschaftskritischen Szenen bremst er die Dynamik der | |
| ausufernden Klagesuaden mehrfach aus, um Raum zu schaffen, für die leisen | |
| und melancholischen Momente darin. | |
| ## Ins Leere sendende Satellitenschüssel | |
| Dann begegnen wir mitunter einer an Jelinek angelehnte Frau (Ulrike | |
| Willenbacher), die den für sie letzten, geliebten Gefährten verloren hat. | |
| Neben einer ins Leere sendenden Satellitenschüssel hebt besonders eine | |
| Szene ihre Einsamkeit hervor: So setzt sich die lebensmüde Protagonistin | |
| wie zum eigenen Begräbnis in eine Holzkiste, in der zuvor das Gemälde „Der | |
| Wanderer über dem Nebelmeer“ von Caspar David Friedrich auf die Bühne | |
| transportiert wurde. | |
| Dieser Augenblick mag zunächst nebensächlich erscheinen und ist doch ein | |
| Schlüssel für die gesamte Inszenierung, die permanent mit Anspielungen auf | |
| die Romantik arbeitet. Schleifenartig vernehmen wir beispielsweise die | |
| gesungenen Verse „Ich bin ausgegangen in stiller Nacht / Wohl über die | |
| dunkle Heide. / Hat mir niemand Ade gesagt“ aus Gustav Mahlers „Lieder | |
| eines fahrenden Gesellen“. | |
| Dass in ihnen auch das Todessymbol des Lindenbaums aus dem für Jelinek | |
| prägenden Gedichtzyklus „Die Winterreise“ von Wilhelm Müller vorkommt, | |
| eröffnet eine gewisse Sehnsuchtsperspektive in diesem oft zynischen Werk | |
| – zum einen nach dem eigenen Verdämmern, das die Schauspielerin in der | |
| Kiste und damit in der Romantik als solcher zu finden hofft, zum anderen in | |
| einer zu Beginn des 19. Jahrhunderts idyllischen Landschaftsdichtung. | |
| Ist jene Verklärung der Natur nunmehr ursächlich für ihre heutige, blinde | |
| Zerstörung? Oder versteht sie sich stattdessen als Mahnung zu mehr | |
| Umweltbewusstsein? Diese Ambivalenz löst die Aufführung zum Glück nicht | |
| auf. Übrigens genauso wenig wie die Schriftstellerin selbst. | |
| ## Jelineks Seeleninneres | |
| Früh wurde ihr durch ihre Mutter als „Inquisition und Erschießungskommando�… | |
| (in: „Die Klavierspielerin“) das romantische Musikrepertoire förmlich | |
| eingeprügelt, in ihren stets politischen Dramen geben die Referenzen auf | |
| diese Epoche hingegen immer wieder Einblicke in Jelineks Seeleninneres, | |
| allen voran ihre Entfremdung von der spätmodernen Welt. | |
| Auch deswegen erscheint es nur folgerichtig, den Text auf mehrere | |
| Darsteller:innen zu verteilen. Sie drehen ihre Kreise, verfangen sich | |
| in Wortspielen und Widersprüchen, sie klagen und belügen sich selbst. Vor | |
| allem über diese eine Wahrheit: „Alles ist verbrannt. Alles ist Asche.“ Was | |
| bleibt, ist einzig ein kompositorisch höchst verdichtetes Requiem, trostlos | |
| und berührend. | |
| 30 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Björn Hayer | |
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