# taz.de -- Politische Rechte und Gesellschaft: Affekte sind ihr Rohstoff | |
> Nicht dass wir streiten, leistet den Rechten Vorschub, sondern wie wir | |
> streiten. Werden Konflikte zur Identitätsfrage aufgeladen, droht | |
> Spaltung. | |
Bild: Wer ist wofür und wer wogegen: Jeder Konflikt wird zur Identitätsfrage … | |
Die vorherrschenden Überzeugungen lauten: Die Rechtsextremen stehen vor der | |
Tür. Die Gesellschaft ist gespalten. Und beides steht in einem | |
Kausalverhältnis zueinander. Aber ist dem tatsächlich so? Ja und nein. Ja, | |
weil die Rechten tatsächlich von etwas profitieren. Nein, weil dieses Etwas | |
nicht die Spaltung der Gesellschaft ist. | |
Die Soziologen Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser haben kürzlich | |
skizziert: Es gibt keine Polarisierung der Gesellschaft, sondern vielmehr | |
das Aufkommen von „Triggerpunkten“. So auch der Titel ihres Buches. Solche | |
Triggerpunkte seien Themen, die die Gesellschaft erschüttern, indem sie | |
eine hohe politische Emotionalität auslösen. Es gibt also keine ehemals | |
versöhnt gewesene Gesellschaft, die nunmehr in zwei unversöhnliche Pole | |
auseinanderdriftet. | |
Es gibt vielmehr viele, flexible Konfrontationen und Verhärtungen. | |
Permanente Neugruppierungen: Mit wem man gestern in der Coronafrage noch | |
eins war, der steht einem heute vielleicht als Gegner in der Ukrainefrage | |
gegenüber. Wer gerade noch die Anschauungen zur Klimakatastrophe geteilt | |
hat, mag in der Auseinandersetzung um Israel unerbittlich getrennt sein. | |
Hier prallen [1][keine kohärenten Weltbilder] aufeinander. | |
Wie Steffen Mau kürzlich in einem Zeitungsinterview meinte: Wer | |
klimaskeptisch ist, ist nicht notwendigerweise auch gegen das Gendern. Wer | |
migrationsfeindlich ist, ist nicht unbedingt homophob. Es gibt nicht die | |
eine eindeutige Demarkationslinie. Die Gesellschaft ist heute vielmehr von | |
vielen, beweglichen Trennlinien durchzogen. Ein „ideologisches Patchwork“. | |
## Die Triggerpunkte | |
Das [2][Konzept der „Triggerpunkte“] erklärt gut die vielfältigen | |
Konfliktlinien – nicht aber die Intensität der Auseinandersetzung. Denn die | |
in schnellen Runden wiederkehrenden, ständig wechselnden Differenzen werden | |
mit steigender Intensität ausgetragen. In diesem Sinn sind die jeweiligen | |
Konflikte nicht grundlegend. Was aber ist dann das wirklich Grundlegende, | |
das da so unerbittlich verhandelt wird? | |
Dazu muss man festhalten: Eigentlich sind politischer Konflikt, Einspruch, | |
Kritik in einer Demokratie normal. Schließlich ist Demokratie jene | |
Einrichtung, die es erlaubt, Differenzen auszufechten. Sie bietet Formen | |
des Streitens an. Aber was derzeit stattfindet, ist die Pervertierung der | |
kritischen Auseinandersetzung: Dissens kippt immer schneller in | |
Feindschaft. | |
Das Ventil für Kritik gerät immer öfter zum Dammbruch. Das, was man als | |
Polarisierung der Gesellschaft bezeichnet, liegt also nicht so sehr an den | |
gerade akuten Inhalten – sondern vielmehr an der Form, Meinungsdifferenzen | |
auszutragen: unversöhnliche Konfrontationen statt Aushandeln von | |
Positionen. | |
Aber woher kommt diese Unversöhnlichkeit? Wir konfrontieren uns nicht mehr | |
als öffentliche Bürger, sondern als private Einzelne. Das heißt: Jeder | |
Konflikt wird zur Identitätsfrage aufgeladen. Die Meinungen werden zu | |
Stellvertretern der Person. Das Ich wird zum Einsatz jeder | |
Auseinandersetzung. Aber das Ich ist unverhandelbar. Daher rührt die | |
Unerbittlichkeit. | |
## Viele Differenzen zur Spaltung gebündelt | |
Und genau das ist der Boden, auf dem die Rechten gedeihen. Nicht dass wir | |
streiten, leistet ihnen Vorschub, sondern wie: Sie profitieren von der Form | |
unserer Auseinandersetzung. Denn ihr Geschäft ist es, die Aggressionen, die | |
Wut, die Intensitäten zu bewirtschaften. In doppelter Hinsicht. Zum einen | |
befeuern sie diese, denn Affekte sind ihr Rohstoff und ihre Antriebskraft. | |
Und zum anderen bündeln sie die vielen, flexiblen Differenzen zu einer | |
großen Linie, die die Gesellschaft durchziehen soll: zur Spaltung. Die | |
Polarisierung in zwei unversöhnliche Lager ist nicht der vorhandene | |
gesellschaftliche Zustand, sondern ihr Ziel. | |
Wie dieses Ziel aussieht, hat sich bei dem [3][publik gewordenen | |
„Geheimtreffen“ der Rechtsextremen] gezeigt: Es bedeutet Spaltung des | |
Volkes in jene, die bleiben können – und jene ohne dieses Grundrecht. Hier | |
hat sich das wahre Gesicht solcher Polarisierung enthüllt. Es bedeutet: | |
Selektion. | |
23 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Florian-Schroeder-ueber-das-Boese/!5982707 | |
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## AUTOREN | |
Isolde Charim | |
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