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# taz.de -- Übersteigertes Selbstbewusstsein: Gewaltenteilung für das Ego
> Von Mitarbeitern des Österreichischen Verfassungsschutzes über
> Ex-Wirecard-Chef Marsalek bis hin zu Autokrat Putin gibt es eine
> psychologische Linie.
Bild: Das rechtspopulistische Schema setzt auf eine Reduktion der Gewaltenteilu…
Österreich kommt aus den Superlativen nicht hinaus. Nach der größten Pleite
mit René Benko nun der größte Spionageskandal der österreichischen
Geschichte: Zwei ehemalige Verfassungsschützer sowie Ex-Wirecard Chef Jan
Marsalek sollen über Jahre hinweg Zielpersonen ausspioniert und
Informationen an den russischen Geheimdienst verkauft haben.
Sollen. Denn derzeit gibt es noch eine Zwittersituation – wo der Verdacht
herrscht und zugleich die Unschuldsvermutung gilt. Aber dennoch stellt sich
die Frage: Was ist das Motiv? Was bringt Leute, die an neuralgischen
Stellen des Staates und der Gesellschaft sitzen, dazu, Informationen zu
verkaufen: Gier? Abenteuerlust? Politische Überzeugung?
Auch wenn die drei mutmaßlichen Spione so unterschiedlich sind wie zwei
Polizisten, ehemalige Verfassungsschützer, Beamte also, und ein
Unternehmer. Auch wenn diese unterschiedliche Beweggründe gehabt haben
mögen – es gibt eines, das in allen Beschreibungen vorkommt: eine
Gemeinsamkeit, [1][ein Gleichklang des Charakters] gewissermaßen. Nämlich
das, was allerorten einhellig als „Selbstüberschätzung“ bezeichnet wird.
Solch übersteigertes Selbstbewusstsein findet sich in den Schilderungen von
Egisto Ott – jenem Gendarmen aus Kärnten, der es zum Staatsschützer
gebracht hat. Sein ehemaliger Vorgesetzter – der frühere Chef des
Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) –
beschreibt ihn als „selbstherrlich, geltungsbedürftig, rechthaberisch“.
## Der Charakter der Selbstüberhöhung
Auch Martin Weiss, der andere ehemalige BVT-Mann, hat nicht nur einen
vergleichbaren Werdegang – von der Polizei über die Bekämpfung der
Auslandsspionage (ausgerechnet!) hin zum späteren Sicherheitsberater von
Jan Marsalek. Ihm wird auch ein vergleichbarer Charakter der
Selbstüberhöhung bescheinigt.
Und der Dritte im Bunde – der ehemalige Wire-Card Vorstand [2][Jan
Marsalek– treibt solche Machtfantasien auf die Spitze]: Ihm wird nicht nur
eine Neigung zum Größenwahn zugeschrieben, sondern auch eine Besessenheit
mit Krieg. Laut einer Quelle „habe Marsalek einmal gesagt, er werde bald
mit einer Privatarmee die Welt übernehmen“, so die Süddeutsche Zeitung.
Die Verbindung von Selbstüberschätzung mit den Vergehen, die ihnen zur Last
gelegt werden, hat eine erstaunliche innere Logik: Die Anmaßung solcher
Akteure hebt die Gewaltentrennung gewissermaßen individuell auf. Damit
birgt die Spionageaffäre eine unerwartete Lektion in Sachen Demokratie. Die
staatliche Gewalt wird geteilt, aufgeteilt, um sie nicht in einer Hand zu
konzentrieren. Damit soll sie eingeschränkt, reduziert, eingehegt werden.
Hier zeigt sich nun: Solche Gewaltenteilung ist nicht nur eine Sache der
staatlichen Organisation, der objektiven Institutionen also. Sie bedarf
auch einer entsprechenden subjektiven, mentalen Einstellung – einer
persönlichen Gewaltenteilung gewissermaßen. So wie die staatliche Gewalt
Kontrolle braucht, so brauchen offenbar auch staatliche Akteure eine
charakterliche Einschränkung ihres Egos.
## Verquickung der Sicherheitsdienste mit der Politik
Wobei solche Begrenzung hier nicht nur subjektiv, sondern auch objektiv
unterlaufen wurde – durch die Verquickung der Sicherheitsdienste mit der
Politik. Der mentalen folgte die reale Aufhebung der Gewaltenteilung.
Das ist der Punkt, wo dieser markante Charakterzug einer bestimmten
politischen Haltung Vorschub leistet. Auch wenn es bei den möglichen
Handlungsmotiven vordergründig um Geld, um mehr Geld, um Gier geht. Auch
wenn Fantasien des Spionageabenteuers eine Rolle gespielt haben mögen – so
hat sich damit auf verquere Weise doch auch eine politische Überzeugung
Bahn gebrochen.
Denn all dies entspricht genau dem rechtspopulistischen Schema: Dieses
zielt auf eine Reduktion der Gewaltenteilung und setzt auf ein Recht des
Stärkeren. Daraus ergibt sich eine weitere Affinität ganz von alleine:
[3][jene zu Putins Russland.] Denn dort ist genau solches Staat geworden.
Putins Russland verkörpert die Aufhebung aller Gewaltenteilung geradezu –
persönlich und institutionell. Nicht zufällig dient dieses Russland solchen
Typen als Vorbild und Verbündeter.
24 Apr 2024
## LINKS
[1] /Narzissmus-in-der-Politik/!5806459
[2] /Inside-Austria-Podcast-ueber-Wirecard/!5995974
[3] /Dystopie-Roman-Doktor-Garin/!6000724
## AUTOREN
Isolde Charim
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