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# taz.de -- Rechte Gemeinschaftsdiskurse: Die Attraktivität von Zugehörigkeit
> Gemeinschaften sind überholte historische Formen. Wenn Rechte oder
> Konservative diese beschwören, docken sie an einen Phantomschmerz an.
Bild: Phantomschmerzen: Die „Gemeinschaft der Normalen“ gegen eine kalte Ge…
Wenn man [1][die deutschen Debatten über die AfD] aus österreichischer
Sicht betrachtet, so ist nicht klar, wo man „avancierter“ ist. Nicht im
Sinne von fortschrittlicher, sondern von fortgeschrittener. Während in
Österreich schon das Wort von der „Kickl-Republik“ die Runde macht (nach
dem FPÖ-Vorsitzenden), diskutiert man in Deutschland noch, wie der weitere
Aufstieg der Rechten zu verhindern sei.
[2][So schrieb der Politologe Thomas Biebricher kürzlich in der taz], die
Entwicklung rechter Parteien hinge wesentlich von der Haltung der
konservativen, bürgerlichen Kräften ab. Denn diesen käme die hauptsächliche
Aufgabe der Abwehr zu. An ihnen sei es, die „Brandmauer“ gegen rechts zu
halten oder eben abzubauen.
[3][Jan-Werner Müller], auch er Politologe, ging einen Schritt weiter. Für
ihn ist der Rechtsruck, den man vielerorts konstatieren könne, von diesen
nicht nur nicht aufgehalten worden – er sei vielmehr die Schuld der
Konservativen. Denn konservative Eliten seien seit einigen Jahren zunehmend
bereit, mit Rechtspopulisten zu koalieren – wie etwa in Österreich. Oder
sie zu kopieren – auch das wurde in Österreich vorexerziert.
Warum sie das tun, scheint dem Politologen klar: Der rechten Mitte fehlen
eigene Ideen. Deshalb setzen sie auf Kulturkampf. Genau solche
Auseinandersetzungen um unverhandelbare Werte und Identitäten aber würden
der Kollaboration mit den Rechten die Türe öffnen. Denn Kulturkampf
bedeute, so Müller, Politik auf Zugehörigkeit zu reduzieren. Eine Frage
bleibt dabei offen: Warum funktioniert das? Warum ist Zugehörigkeit so
attraktiv? Attraktiver etwa als eigene Interessen?
Die Kitschvariante von Solidarität
Solche Zugehörigkeit verspricht Zusammenhalt. Ein Zusammenhalt, der alle
Gegensätze verdecken soll – die Kitschvariante von Solidarität, so Müller.
So verstanden sind Zugehörigkeit und Zusammenhalt aber Merkmale von
Gemeinschaften. Nicht von Gesellschaften.
Nicht nur Rechte auch Konservative reaktivieren heute diesen historischen
Gegensatz. Gegen die kalte Ordnung der Gesellschaft, wo Menschen einander
nur Mittel zum Zweck sind, werden Gemeinschaften aufgeboten. Ob das nun die
Gemeinschaft der „Normalen“ ist oder jene der „autochthonen“ Bevölkeru…
Der Gemeinschaft gehört man ganz an. Da ist man vollwertig. Da steht man
mit den anderen in einem persönlichen Verhältnis – durch eine gemeinsame,
verbindende Gesinnung. Gemeinschaft bedeutet also Nähe. Eine Nähe, die über
die rein formalen, äußerlichen Verhältnisse der Gesellschaft hinausgeht.
Man ist sich nahe, weil man sich ähnlich ist – egal worin die Ähnlichkeit
besteht.
All dies gibt es nicht mehr. Gemeinschaften sind überholte historische
Formen. Selbst im Dorf existiert sie nur mehr in Restbeständen. Eben
deshalb greift das Beschwören von Gemeinschaft. Gerade weil es keine
wirklichen Gemeinschaften mehr gibt. Weil sie fehlen.
Sehnsucht nach einem illusionären Sein
Die Gemeinschaftsdiskurse – ob von Rechten oder von Konservativen – docken
an einen Phantomschmerz an. An den Schmerz, wo es nichts mehr gibt. Politik
auf Zugehörigkeit zu reduzieren ist ein rein imaginäres Angebot. Denn
solche Politik handelt mit einer Sehnsucht: Sie bietet der Sehnsucht eine
Illusion an – und sie befördert die Sehnsucht nach einem illusionären Sein
– einem Sein ohne Einschränkung.
Denn Gesellschaft bedeutet für den Einzelnen immer: reduziertes Vorkommen,
reduzierter Wert, reduzierte Geltung. Während die Gemeinschaft dem
Einzelnen zu versprechen scheint: Hier gehörst du ganz dazu. Hier kommst du
wirklich vor. Hier hast du als Einzelner einen garantierten Wert. Einen
gesicherten Schutz. Das ist zumindest die Vorstellung von Gemeinschaft, die
nach deren Ende zirkuliert. Und die Konservativen im Fahrwasser der Rechten
bieten solche Fake Gemeinschaften an.
Fake Gemeinschaften aber sind nicht einfach der Ersatz für richtige. Es ist
vielmehr umgekehrt: Der Fake, die Illusion ist das Richtige, das, worum es
geht. Denn wer sehnt sich schon nach einer realen Gemeinschaft mit ihren
Hierarchien, Kontrollen und Unterordnungen?
26 Sep 2023
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## AUTOREN
Isolde Charim
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