| # taz.de -- Klimakrise und Wunsch nach Beständigkeit: Konservatismus wird zur … | |
| > Unwetter und Brände zerstören gerade die südlichen Sehnsuchtsorte der | |
| > Urlauber. Mit der Klimakrise gibt es keine Kontinuitäten, keine | |
| > Sicherheiten. | |
| Bild: Verbrannte Landschaft auf der griechischen Insel Rhodos am 24. Juli 2023 | |
| Es ist nicht mehr banal, übers Wetter zu reden. In unseren Breitengraden | |
| pendelte man diesen Sommer zwischen unfassbarer Hitze, klebriger Schwüle | |
| und endlosem Regen bis hin zu Unwettern und Überflutungen. Von weiter weg | |
| erreichten uns neue, drastische – und leider wohl nicht einmalige – Bilder: | |
| Peking, wo Wasserfluten Zivilisationsobjekte wie Autos auf kleine | |
| Spielklötzchen reduzieren, die von den Fluten mitgerissen werden. | |
| Und am Mittelmeer: Rhodos, wo Touristen sich in Vagabunden, in Wanderer | |
| verwandeln mussten, um sich vor den brennenden Wäldern zu retten. [1][Der | |
| Soziologe Zygmunt Bauman] hat zwischen Touristen als freiwilligen | |
| Vagabunden und Vagabunden als Touristen wider Willen unterschieden. Auf | |
| Rhodos verschwand diese Unterscheidung. Mailand, wo sich der Hagel | |
| verdichtet hatte und als Eisschollen durch die Straßen trieb. | |
| [2][All diese südlichen Sehnsuchtsorte] – ein Inferno aus Wasser, Feuer | |
| oder maßloser Hitze. Von Athen bis Sizilien. Sizilien! Hier spielt der Film | |
| „Der Leopard“ – jener Film zu dem einen, entscheidenden Satz: „Es muss … | |
| alles ändern, damit alles gleich bleibt.“ Ein Abgesang auf alle | |
| geschichtsverändernde Kraft des Handelns. Der Inbegriff des | |
| Geschichtspessimismus: Alles Aufbegehren – jede Rebellion, Revolution würde | |
| nur in neue Formen der Autorität und der Unterwerfung münden. Die Losung | |
| des Konservativismus, die in ihrem Triumphalismus an Trostlosigkeit nicht | |
| zu überbieten ist – denn sie setzt auf die Vergeblichkeit allen politischen | |
| Handelns. | |
| Und heute? Heute ändert sich alles – und dennoch bleibt dabei nichts | |
| gleich. Das ist die Erfahrung eines unwiderruflichen Bruchs. Die Erfahrung | |
| dieses Sommers ist, dass die bisherigen Erfahrungen nichts mehr wert sind. | |
| Im Sommer ist es im Süden schön? Warm? Lebenswert? Man kann mit nichts mehr | |
| rechnen. Die alten Erfahrungswerte, an denen man sein Handeln bisher | |
| ausgerichtet hat, gelten nicht mehr: Keine Kontinuitäten. Keine | |
| Sicherheiten. Nicht mal mehr Wahrscheinlichkeiten. | |
| ## Handeln und Planen ist völlig neu zu denken | |
| Selbst der Rahmen der Abweichungen vom Üblichen ist verloren gegangen. Es | |
| ist der Einbruch einer neuen Kontingenz – alles kann ganz anders sein als | |
| bisher. Handeln – von der Urlaubsplanung bis zur Ausrichtung des Lebens – | |
| ist völlig neu zu denken. Es ist ein blindes Handeln. Für den Einzelnen. | |
| Sein Wissen, das Alltagswissen verliert an Wert. Es braucht Experten, | |
| Spezialisten, die zumindest Richtwerte ausschildern. | |
| Für diese Experten sind [3][die Geschehnisse dieses Sommers keineswegs | |
| überraschend]. Das bewegt sich alles, so ein Ökologe, „im Rahmen der | |
| Vorhersagen“ – denn diese beruhen eben nicht mehr auf den alten | |
| Erfahrungswerten. Wir müssen uns neu einstellen – aufs Nichteinstellbare. | |
| Auf Temperaturen über 40 Grad, auf mehrere Hitzewellen pro Jahr. Aber auch | |
| auf Überflutungen und Unwetter. Ebenso wie auf anhaltende Dürren. Auf | |
| Brände von Wäldern und Feldern (selbst wenn diese gelegt sind, so werden | |
| sie doch durch ein so genanntes „Feuerwetter“ begünstigt – hohe | |
| Temperaturen, übermäßige Trockenheit, Wind). | |
| Bis hin zum schrecklichsten Wort, zum schlimmsten Szenario: der | |
| Habitabilität – also der Frage, ob Gegenden noch bewohnbar sind. So ist der | |
| Süden, der Mittelmeerraum bereits mutiert: vom Sehnsuchtsort zum „Labor der | |
| Veränderung“, wie [4][die Zeit schreibt]. | |
| [5][Auch wenn diese Veränderungen Folgen des selbst-, also des | |
| menschengemachten Klimawandels sind], so werden sie dennoch als Schicksal | |
| erlebt, erfahren. Als Einbruch. An manche Folgen wird sich die Gesellschaft | |
| anpassen können. Man wird sein Handeln neu ausrichten. Etwa die | |
| Landwirtschaft. Aber: „Es muss sich alles ändern, damit alles gleich | |
| bleibt“ – die fatale Losung des Konservativismus – heute wäre sie eine | |
| Verheißung! | |
| Neu formuliert wurde sie von einem Gastronomen auf Rhodos, den die Brände | |
| um seine Existenz gebracht haben. In der Asche seines Strandrestaurants | |
| pflanzt er nun neue Samen ein. Damit es wieder blüht und Früchte trägt. | |
| Damit es „wieder so wird, wie es mal war“. Das ist die letzte Version der | |
| Hoffnung. | |
| 22 Aug 2023 | |
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| [1] /Letztes-Buch-des-Soziologen-Bauman/!5485303 | |
| [2] /Heimweh-und-Sehnsucht/!5792810 | |
| [3] /Hitze-in-Deutschland/!5946171 | |
| [4] https://www.zeit.de/2023/33/klimawandel-mittelmeerraum-trockenheit-klimafor… | |
| [5] /Steigende-Lebensmittelpreise/!5950867 | |
| ## AUTOREN | |
| Isolde Charim | |
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