# taz.de -- Einfluss der Autobranche auf Klimaschutz: Lobbyisten auf der Überh… | |
> Durch ein perfides Gebilde beeinflusst die deutsche Autoindustrie seit | |
> Jahren die Klimapolitik des Landes. Mit anhaltendem Erfolg. | |
Bild: Geld für Straßen ist Geld fürs Auto | |
BERLIN taz | Es gibt auf der ganzen Welt elf Staaten, in denen kein | |
Tempolimit gilt: Unter anderem sind das Somalia, Bhutan, Nepal und | |
Afghanistan. In zehn dieser Länder gibt es gar keine Straßen, auf denen | |
Rasen möglich wäre. Und dann gibt es noch Deutschland – den weltweit | |
einzigen Staat, der [1][unbegrenztes Tempo] erlaubt und der sehr viel | |
Steuergeld investiert, um dieses Rasen möglich zu machen. | |
Dabei sterben mit Tempolimit weniger Menschen: Je Milliarde gefahrener | |
Kilometer sind auf Autobahnen mit Tempolimit 0,95 Todesfälle zu beklagen, | |
auf Abschnitten ohne Tempolimit sind es 1,67 Todesopfern – rund 75 Prozent | |
mehr. Vor allem würde ein Tempolimit in Deutschland die | |
Treibhausgas-Emissionen drastisch senken: je nach Ausgestaltung um 1,9 bis | |
5,4 Millionen Tonnen, wie eine Studie des Umweltbundesamtes ergab. Das mag | |
nicht viel klingen. Tatsächlich sind 5,4 Millionen Tonnen aber mehr, als | |
die 11,8 Millionen Einwohner des Staates Burundi insgesamt emittieren. | |
Unser Bleifuß ist also für mehr Treibhausgase verantwortlich, als in | |
Ostafrika Millionen Menschen durch Essen, Wohnen, Produzieren emittieren. | |
So denken auch Verkehrspolitiker in Deutschland ans Umsteuern: „Wir werden | |
ein Tempolimit von 130 km/h auf Bundesautobahnen einführen“, heißt es etwa | |
im „Zukunftsprogramm“ der SPD von 2021. Schon 2007 formulierte ein | |
Parteitagsbeschluss: „Ein schneller und unbürokratischer Weg zum | |
Klimaschutz ist die Einführung einer allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzung | |
von 130 km/h.“ Passiert ist bis heute nichts: „Die deutsche Autoindustrie | |
hat sich eine autofreundliche Politik und Gesellschaft erkauft“, sagt der | |
österreichische Filmemacher Werner Boote, der sich seit Jahren mit dem | |
Einfluss der Wirtschaft auf die Politik befasst, dazu. | |
Eine These, für die sich schnell Belege finden lassen. Zum Beispiel das | |
Wirken Matthias Wissmanns (CDU), lange Jahre deutscher Verkehrsminister und | |
Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Technologie. 1995 | |
hatten die EU-Umweltminister beschlossen, den Klimaschutz auch im | |
[2][Verkehrssektor] anzugehen. Die deutsche Umweltministerin Angela Merkel | |
(CDU) und ihr für Verkehr zuständiger Kabinettskollege Wissmann handeln | |
extrem lange Übergangsfristen aus: Bis zum Jahr 2012, also stolze 17 Jahre, | |
bekamen die Autobauer Zeit, um ihre Motoren so zu bauen, dass sie maximal | |
noch 120 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstoßen. | |
## Aufgeweichte EU-Grenzwerte | |
Im Jahr 2007 wechselte Wissmann plötzlich die Seiten, er wurde Präsident | |
des [3][Verbandes der Automobilindustrie (VDA)]. Auf dem Thron der | |
deutschen Autolobby gelang es ihm, nicht nur das Inkrafttreten der | |
Kohlendioxidgrenzwerte weitere drei Jahre aufschieben, sondern auch noch | |
aufzuweichen: Jetzt galt ab 2015 ein Grenzwert von 130 Gramm Kohlendioxid | |
pro Kilometer – und zwar im Durchschnitt der Modellpalette eines | |
Herstellers. Bedeutet: Für große Autos galt jetzt der EU-Grenzwert | |
plötzlich nicht mehr, wenn ein Autokonzern Modelle baut, die weniger als | |
die 130 Gramm ausstoßen. | |
2012 schrieb Wissmans Verband die Verordnung, die die Kennzeichnung des | |
Energieverbrauchs eines Neuwagen regelt, einfach selbst. Ursprünglich | |
sollten Käufer durch das Label erkennen können, wie effizient, also weniger | |
klimaschädlich ein Fahrzeug ist. Ein Albtraum für Daimler, Porsche und BMW: | |
Kleinwagen wären so begünstigt und große, schwere Modelle belastet worden. | |
Wissmann verhinderte das: Über seine Kontakte ins Wirtschaftsministerium | |
wurde ein Label etabliert, das den Verbrauch eines Autos ins Verhältnis zu | |
seinem Gewicht setzt. Dadurch wurden große schwere Autos auf einen Schlag | |
so klimafreundlich wie Kleinwagen. | |
Wissmann traf sich zwischen 2010 und 2013 – den entscheidenden Jahren für | |
die EU-Abgaspolitik – neun Mal mit Kanzlerin Merkel. Weitere zwölf Mal traf | |
er andere Regierungsmitglieder. Seine VDA-Kollegen brachten es in dieser | |
Zeit sogar auf insgesamt 59 Treffen mit Regierungsvertretern. Selbst in | |
politisch für die Autobauer „ruhigeren Zeiten“ traf sich die | |
Bundesregierung wesentlich häufiger mit Autolobbyisten als mit | |
Interessenvertretern aus den Bereichen Gesundheits-, Umwelt- oder | |
Verbraucherschutz: zwischen September 2015 und Mai 2017 beispielsweise fast | |
zweieinhalb mal so oft. | |
Wissmann ist kein Einzelfall. Eckart von Klaeden (CDU), wurde von Kanzlerin | |
Angela Merkel 2009 zum Staatsminister im Bundeskanzleramt befördert. Noch | |
vor Ende der Legislatur, im Mai 2013, wurde bekannt, dass der | |
Staatsminister als Cheflobbyist zu Daimler wechseln würde. „Der Bürger muss | |
den Eindruck haben, ab sofort sitzt Daimler am Kabinettstisch“, meinte der | |
damalige SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Bis zum Wechsel | |
landeten laut Bundeskanzleramt „drei interne Vorlagen des | |
Bundeskanzleramtes an die Hausleitung zum Sachstand der Regelung der | |
Kohlendioxidemissionen von Pkw“ aus von Klaedens Schreibtisch. | |
## Merkels Büroleiter wechselte zu VW | |
Know How aus der Politik einkaufen und das für den eigenen Konzern nutzbar | |
zu machen – das tun viele Autokonzerne. Michael Jansen war Büroleiter der | |
damaligen CDU-Bundesvorsitzenden Angela Merkel, 2015 wurde er Leiter der | |
Berliner Konzernrepräsentanz der Volkswagen AG. | |
Jansens direkter Vorgesetzter war Thomas Steg (SPD). Den holte | |
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zuerst ins Kanzleramt, um ihn dann zum | |
Regierungssprecher zu machen. Der Sozialdemokrat Steg blieb dies auch unter | |
Kanzlerin Angela Merkel bis 2009. Als Merkel die Koalition mit der SPD 2009 | |
beendete, gründet Steg eine Agentur für Kommunikationsberatung. „Ich kenne | |
einfach die politischen Mechanismen und kann neue Entwicklungen | |
dementsprechend einschätzen,“ sagte er. Das interessierte auch VW: Steg | |
wurde „Generalbevollmächtigter für Außen- und Regierungsbeziehungen“ der | |
Volkswagen AG. | |
Mit Merkels engsten Mitarbeitern war er per Du. Steg schrieb | |
handgeschriebene Briefe an die „liebe Beate“ im Kanzleramt – Merkels | |
Büroleiterin Beate Baumann. Und hatte Erfolg: Jeweils zum Jahresanfang | |
empfing die Kanzlerin VW-Chef Martin Winterkorn zum Gespräch. Zeitfenster: | |
45 Minuten. Protokolle dieser Runden gibt es nach Recherchen des Stern | |
keine: „Gelegentlich wurden sogar die Mitarbeiter vor die Tür verbannt. Nur | |
Merkel und Winterkorn wissen wirklich, was in ihrem Büro verhandelt wurde.“ | |
Die „Lage der europäischen Autoindustrie ist sehr ernst“, lautet eine | |
handschriftliche Notiz auf einem Vermerk, offenbar von der Kanzlerin | |
selbst. | |
Opel engagierte den hessischen Ex-Minister für Bundes- und | |
Europaangelegenheiten Volker Hoff. Als EU-Abgeordneter bekämpfte der bis | |
2009 die Klimapolitik der EU, speziell die geplanten Grenzwerte für | |
Neuwagen. 2010 wurde er bei Opel „Vice President Regierungsbeziehungen“ – | |
obwohl er noch im Wiesbadener Landtag saß. | |
## BMW verpflichtete CSU-Politiker | |
Als „Vice President European Government Relations“ fungierte Joachim | |
Koschnicke, ehemals Angela Merkels „Bereichsleiter für Strategische | |
Planung“. Seine Aufgabe war die „Pflege und der Aufbau der Beziehungen zu | |
politischen Institutionen und Organisationen sowie zu Regierungen, | |
Verbänden und Unternehmen“. Weil das so gut lief, verpflichtete Angela | |
Merkel ihrerseits Joachim Koschnicke 2017 als Wahlkampfmanager zurück – und | |
gewann die Bundestagswahl deutlich. | |
BMW verpflichtete Maximilian Schöberl, der als Leiter der | |
Öffentlichkeitsarbeit bei der CSU herausgefunden hatte, wie der politische | |
Hase läuft. Auch den ehemaligen grünen Außenminister Joschka Fischer | |
bezahlte BMW. Der kanadisch-österreichische Autozulieferer Magna kaufte | |
Thüringens ehemaligen Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) ein, der nun | |
verantwortlich ist für „Kontakte zu öffentlichen Stellen in Deutschland“. | |
Dass es bei diesen Jobs nicht um Peanuts geht, zeigt die Personalie | |
Hildegard Müller (CDU): Die ehemalige Staatsministerin von Angela Merkel | |
ist seit 2020 eine Nachfolgerin von Matthias Wissmann beim | |
Auto-Lobbyverband VDA. Nach Recherchen der Welt beträgt ihr Jahressalär | |
mehr als eine Million Euro. | |
Der teuer eingekaufte Sachverstand aus der Politik sorgt für einen direkten | |
Draht zu Entscheidern. „Lobbyisten der Autoindustrie verfügen über weit | |
bessere Zugänge zur Bundesregierung als Interessensvertreter für Umwelt- | |
und Gesundheitsschutz, Verbraucherthemen oder die | |
Beschäftigtenperspektive,“ urteilt die NGO Lobbycontrol. | |
## 17 Millionen Euro Parteispenden | |
Natürlich ist dies nur eine Strategie, mit der sich die deutschen | |
Autokonzerne gegen Klimaschutz, Abgasnormen oder Tempolimit wehren. Eine | |
andere nennt sich „Parteispende“: Nach Recherchen von Lobbycontrol flossen | |
seit 2009 mehr als 17 Millionen Euro aus der Autoindustrie an Union, FDP, | |
SPD und Bündnisgrüne. | |
Fast vier Fünftel des Geldes gingen an Schwarz-Gelb, also an jene Parteien, | |
die seit 2010 den Bundesverkehrsminister stellen. Und all diese | |
Verkehrsminister haben den Klimaschutz sabotiert. Es gibt mehr und immer | |
größere Autos, mehr Autobahnen, mehr gefahrene Kilometer und das Fehlen | |
eines Tempolimits sowie immer mehr Güter, die auf [4][der billigen – weil | |
subventionierten – Straße] transportiert werden. Das hat Folgen: Nach | |
Erhebung des Umweltbundesamtes ist der Anteil des Verkehrs an den | |
Gesamtemissionen seit 1990 von etwa 13 Prozent auf 19,4 Prozent im Jahr | |
2021 gestiegen. | |
8 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Kirche-fuer-ein-Tempolimit/!5936402 | |
[2] /Aggression-im-Strassenverkehr/!5970921 | |
[3] /Autolobby-und-Letzte-Generation-auf-IAA/!5950346 | |
[4] /Klimaschaedliche-Subventionen/!5974214 | |
## AUTOREN | |
Nick Reimer | |
## TAGS | |
Klimaschutzziele | |
Autoindustrie | |
Lobbyismus | |
klimataz | |
Autobahn | |
Lobbyisten | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimasabotage | |
Schwerpunkt Klimaproteste | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ausbau von Autobahnen: Wer braucht schon stabile Brücken? | |
Die Ampel verhandelt den Haushalt und Wissing will viel Geld in Autobahnen | |
stecken. Dabei wären diese in marodem Zustand viel besser fürs Klima! | |
EU-Parlament sanktioniert Onlinehändler: Amazon-Lobbyisten raus | |
Vertretern des Onlinehändlers wurde der Hausausweis fürs EU-Parlament | |
entzogen. Der Grund: Amazon erschien nicht zu einer Ausschuss-Anhörung. | |
Deutschland 2023 weniger klimaschädlich: Erstmal gut dank Wirtschaftsflaute | |
Deutschlands CO2-Emissionen sind 2023 deutlich gesunken. Das liegt | |
allerdings nicht nur an den Erneuerbaren, sondern auch an einer | |
Wirtschaftsflaute. | |
Klimaschädliche Subventionen: Das Geld liegt auf der Straße | |
Die Ampelkoalition wollte klimaschädliche Subventionen eigentlich abbauen. | |
Insbesondere im Verkehrssektor gibt es viel Potenzial. Doch die FDP bremst. | |
IAA Automesse in München: Luxusschlitten und Spritschleudern | |
In München eröffnet am Dienstag die IAA Mobility 2023. Klimaprotestgruppen | |
wollen die Ausstellung auf öffentlichen Plätzen stören. |