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# taz.de -- Diner in Springfield: Wo die Hot Dogs selig schwofen
> Mitten im Nirgendwo des US-Bundesstaats Illinois liegt ein Diner, wie aus
> der Zeit gefallen. Hier verzaubert nicht nur die Speisekarte.
Bild: Cozy Dogs, die sich liebhaben
Springfield taz | Felder, Wiesen und noch mehr Felder, viel anderes ist
nicht zu sehen auf den ersten zwei-, dreihundert Meilen der Route 66, von
Chicago Richtung Südwesten. Aber vermutlich ist das ohnehin nur ein
romantisches Missverständnis vieler europäischer Reisender, die sich
spektakuläre Landschaften am laufenden Band imaginieren und dann mit dem
konfrontiert werden, was ein Großteil der Vereinigten Staaten auszeichnet –
Weite. Nicht umsonst nennen Einheimische diese Gegend wenig charmant
[1][flyover states].
Ein knapper Tag schon auf diesem Highway, der oft keiner Autobahn, sondern
eher einer deutschen Bundesstraße gleicht, mit einigen Abschweifungen
rundherum. Endlose Straßen, große Plakate auf Wiesen und an halbrunden
Scheunengiebeln laden zu country fairs, die wir nicht besuchen. Es gilt
voranzukommen.
Gerade haben wir das echte, in Wahrheit komplett rekonstruierte Wohnhaus
Abraham Lincolns passiert, in einer Kleinstadt, die heißt wie der
US-amerikanische Durchschnittsort, weshalb auch die [2][Simpsons] in einer
nicht näher geografisch verorteten Version von ihr wohnen: Springfield.
Einige Meilen weiter südlich, noch immer in Springfield, aber gefühlte
Welten entfernt von Abraham Lincoln, zeichnet sich am pastellfarbenen
Abendhimmel ein fabelhaftes Schild zweier innig zum Tanz umschlungener Hot
Dogs ab. Sie gehören zum Cozy Dog Drive In.
Von außen ist es das unspektakulärste kastenförmige Gebäude der Welt, an
einem commercial strip, wie es ihn zu Zehntausenden an den Ortsaus-
beziehungsweise -eingängen in den USA gibt. Doch drinnen ist der Wahlspruch
des Lokals – Get cozy!, also: mach es dir gemütlich – ernst zu nehmen. Das
Cozy Dog Drive In gleicht nämlich einer Lokalbücherei zum Speisen oder
einem Restaurant mit eingebauter Bibliothek.
Neben den randvoll mit Büchern gefüllten Holzschränken und den
archetypischen Dinertischen mit fest installierten Bänken aus ewigem Stahl
und pink-türkis-lila Farbdekor finden sich Fotowände mit Besuchergruppen
aus mehreren Dekaden (teils noch vom vorherigen Standort nicht weit von
hier, wo das Cozy Dog Drive In 1949 gegründet wurde) und eine Verkaufsecke
mit allerlei Memorabilien.
## Eine Zuflucht aus Corporate America
Darunter sind handgezeichnete Postkarten, neonpinke
Cozy-Dog-Streichholzbriefchen, Pappaufsteller mit den beiden schwofenden
Würstchen und ein Faltblättchen mit diversen Orten entlang der Route 66,
etwa ein Verkaufsstand für Imkerhonig und ein Barber Shop. Das meiste
erscheint uns original, vor Jahrzehnten auf hochwertigen Papieren gedruckt
und hergestellt und schon leicht angegilbt.
Wüsste man es nicht besser, es könnte sich hier auch um eine
zeitgenössische Kunstausstellung vom eine Weile sehr angesagten
dokumentarisch-archivarischen Typus handeln: Fotos von wildfremden
Menschen, ein umfassendes Archiv und dazwischen – und hier unterscheidet es
sich von den meisten Ausstellungshäusern – gutes und wirklich bezahlbares
Essen: Ein Burger für 3,20 Dollar, eine Portion handgeschnittener Pommes
für 3,75, Salat für 2,40 und das Signature-Gericht, den in Maismehlteig
getauchten, frittierten Hot Dog am Stiel, für 2,85. Eine Angestellte mit
blauen Haaren nimmt freundlich unsere Bestellung auf.
Es klingt fast unglaublich für ein Lokal jenseits der großen Ketten, nicht
zu dieser Zeit gehörend (obwohl die Preise in den USA, sobald man die
großen Städte verlässt, überall massiv fallen). Und auch sonst wirkt dieser
Ort wie eine Unmöglichkeit, die sich nur für uns mitten im Nirgendwo von
Illinois manifestiert hat.
Wir würden gerne noch viel mehr Zeit an diesem Ort verbringen, der wie eine
Zuflucht aus Corporate America erscheint (allerdings mit all dessen
Verheißungen und tollen Dingen, das schon). Wir haben dann noch jede Menge
Postkarten mit handgezeichneten Motiven zu weniger als einem Dollar das
Stück gekauft und die meisten davon behalten.
9 Jan 2024
## LINKS
[1] /Sachbuch-zu-Spaltung-in-den-USA/!5741463
[2] /Simpsons/!t5017333
## AUTOREN
Katharina J. Cichosch
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