# taz.de -- Neues Immigrationsgesetz in Frankreich: Macron beugt sich Diktat vo… | |
> Mit rechten und konservativen Stimmen verabschiedet Paris eine Revision | |
> des Gesetzes zur Immigration. Protest kommt von links und aus der Mitte. | |
Bild: Vom eigenen Reformwillen überrollt: Frankreichs Präsident Emmanuel Macr… | |
PARIS taz | Eigentlich wäre es an je sieben Mitgliedern des französischen | |
Senats und der Nationalversammlung gewesen, hinter verschlossenen Türen und | |
ohne Intervention von außen einen Kompromiss zum [1][Immigrationsgesetz] zu | |
finden. So zumindest ist Aufgabe der gemischten paritätischen Kommission in | |
Frankreich definiert, die normalerweise einen Ausweg finden soll, wenn sich | |
die beiden Parlamentskammern in der Gesetzgebung nicht auf eine gemeinsame | |
Vorlage einigen können. | |
In diesem Fall aber wurden die Diskussionen vor den Augen und Ohren der | |
Medien direkt und im Auftrag von Staatspräsident Emmanuel Macron von der | |
Premierministerin, Elisabeth Borne, mit den Parteispitzen geführt. Die | |
parlamentarische Kommission konnte am Ende den Text, auf den sich Macrons | |
Regierungsparteien und die Konservativen (Les Républicains) geeinigt | |
hatten, bloß absegnen. Danach wurde das revidierte Immigrationsgesetz noch | |
am selben Abend dem Senat und der Nationalversammlung zur Zustimmung | |
unterbreitet. | |
Was dabei herausgekommen ist, entspricht nur noch sehr wenig der | |
[2][ursprünglichen Regierungsvorlage], sie tönt sehr viel mehr nach der | |
restriktiven Version, die von der französischen Rechten im Senat | |
verabschiedet worden war. So soll das Parlament jährliche Quoten für die | |
Einwanderung festlegen. Doppelbürger*innen, die sich Verbrechen oder | |
Gewaltakten gegen die Polizei strafbar machen, sollen ihre französische | |
Staatsbürgerschaft verlieren und so abschiebbar werden. Der illegale | |
Aufenthalt in Frankreich wird – wie dies früher der Fall gewesen war – ein | |
Delikt, das mit Geldbußen bestraft wird. Zudem soll die Abschiebung von | |
Illegalen und für unerwünscht Erklärten (zum Beispiels nach der Ablehnung | |
eines Asylgesuchs) erleichtert und beschleunigt werden. | |
Schlimmer noch: Wer in Frankreich geboren wurde und dort aufwuchs, wurde | |
bisher mit 18 automatisch französischer Staatsbürger, nun muss dies | |
ausdrücklich verlangt werden. Ausländische Studierende (von außerhalb der | |
EU) müssen vor ihrer Immatrikulation eine Kaution hinterlegen. | |
## „Kompromiss“ im Sinne der extremen Rechten | |
Als „humane“ Komponente der sonst [3][härteren Regeln] war ursprünglich | |
geplant, dass illegal Eingereiste, die in bestimmten Wirtschaftssektoren | |
mit extremem Personalmangel tätig sind, mit einem neuen Statut und einer | |
Sondergenehmigung legalisiert werden könnten. Doch die Erteilung von | |
Aufenthaltsgenehmigung bleibt von Fall zu Fall dem Gutdünken der Präfekten | |
(Regierungsvertreter in den Departements) überlassen. | |
Familienzulagen gibt es für ausländische Eltern, die legal in Frankreich | |
leben und arbeiten, in Zukunft erst nach einer Karenzfrist von 30 Monaten. | |
Für die Mietbeihilfen APL gilt neu eine Wartezeit von drei Monaten für die | |
Erwerbstätigen, aber fünf Jahre für die Nichtberufstätigen. | |
Dieser „Kompromiss“ tönt penetrant nach der von der extremen Rechten seit | |
Jahren geforderten „nationalen Präferenz“ bei allen Sozialzulagen. Marine | |
Le Pen vom Rassemblement national (RN), das bei der Abstimmung am | |
Dienstagabend in beiden Kammern mit Ja gestimmt hat, hatte das Ergebnis der | |
Verhandlungen zwischen der Regierung und der konservativen Rechten im | |
Voraus als einen „ideologischen Sieg des RN“ gefeiert. Ihre Parteikollegen | |
wiederholten dies den ganzen Tag über in den Medien, bis manchen | |
Macronisten dieser Jubel über eine von der extremen Rechten inspirierte | |
Einigung dann doch etwas peinlich wurde. | |
## Linke Opposition in Frankreich spricht von „Schande“ | |
Laut der Zeitung Le Monde hatten sich bei der Abstimmung 59 Abgeordnete der | |
Regierungsparteien der Stimme enthalten oder dagegen votiert. Der | |
Gesundheitsminister kündigte seinen Rücktritt an, andere | |
Regierungsmitglieder könnten seinem Beispiel folgen. | |
Dennoch stimmten am Dienstagabend dann der Senat und auch die | |
Nationalversammlung dank der Stimmen aus dem Lager der Konservativen und | |
des Rassemblement National dem Gesetz zu. Doch das Missbehagen in den | |
Reihen der Macronisten ist groß und nachhaltig. Ihr Präsident wollte | |
unbedingt, dass „noch vor Weihnacht“ die Immigrationsgesetze durchgepaukt | |
würden. Um seinen Wunsch zu erfüllen, haben sie sich dem Diktat der | |
Konservativen gebeugt. Die haben nicht nur den politischen Preis für eine | |
Einigung bis zuletzt hochgetrieben, sondern – wie in der | |
Nationalversammlung der Grünen-Abgeordnete Benjamin Lucas protestierte – | |
ungeniert „ganze Teile des RN-Programms kopiert“. Die linke Opposition | |
spricht von einer „Schande“. | |
Rund 50 Vereinigungen, darunter die französische Menschenrechtsliga und die | |
beiden größten Gewerkschaftsverbände CGT und CFDT, haben in einem | |
gemeinsamen Communiqué gegen die „schlimmste Regression seit 40 Jahren“ | |
protestiert. | |
Innenminister Gérald Darmanin, dessen ursprüngliche Vorlage vor einer Woche | |
an einem Rückweisungsantrag der Oppositionsparteien in der | |
Nationalversammlung gescheitert war, freute sich hingegen über | |
Gesetzesmaßnahmen, welche „die Franzosen schützen“ würden. | |
20 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Senat-fuer-haertere-Immigrationsgesetze/!5973168 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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