| # taz.de -- Klimareparationen für Globalen Süden: „Es ist kriminell“ | |
| > Wie können Industrieländer ihre Klimaschulden gegenüber dem Globalen | |
| > Süden abbezahlen? Der Ökonom Fadhel Kaboub erklärt, was faire | |
| > Reparationen wären. | |
| Bild: Tula, Kenia, 25.11.2023: Menschen versuchen gemeinsam eine überflutete S… | |
| wochentaz: Herr Kaboub, wie kann ich meinem Onkel beim Weihnachtsessen das | |
| Konzept der Klimaschulden erklären? | |
| Fadhel Kaboub: Der Klimawandel entsteht durch CO2-Emissionen, die sich in | |
| der Atmosphäre ansammeln. Um ihn zu bremsen, dürfen nur eine maximale Menge | |
| Treibhausgase ausgestoßen werden. Doch dieses CO2-Budget haben die Länder | |
| im Globalen Norden rechnerisch gesehen bereits überschritten – während | |
| umgekehrt die Länder im Globalen Süden am schwersten von den Auswirkungen | |
| der Klimakrise betroffen. Der Norden steht beim Süden also in einer | |
| Klimaschuld. | |
| Geht es dabei um Geld? | |
| Um einen Stuhl zu reparieren, braucht man Geld. Man braucht aber auch | |
| Werkzeuge, Fähigkeiten und Zeit. Genau so geht es bei den Klimareparationen | |
| nicht nur um Geldtransfers. Es stimmt, dass [1][ein Schuldenerlass Sinn | |
| ergibt], denn viele Entwicklungsländer sind stark verschuldet und brauchen | |
| Spielraum in der Finanzpolitik. Reparationen sollten aber auch | |
| Technologietransfer beinhalten, etwa das Know-how zur Produktion von | |
| Solarzellen. So können besonders betroffene Länder eine widerstandsfähige | |
| Infrastruktur gegen den Klimawandel aufbauen. | |
| Wieso geht der Globale Süden immer als Bittsteller in Verhandlungen? | |
| Alle Klimaverhandlungen und damit auch die jährliche COP-Konferenz sind | |
| [2][umkämpfte geopolitische Räume], in denen es nicht nur ums Klima geht. | |
| Der Präsident, der [3][bei einer COP] für einen Klimafonds verhandelt, ist | |
| derselbe Präsident, der vor zwei Wochen um Schuldenerlass verhandelte und | |
| der nicht genug finanziellen Spielraum hat, um Weizen aus Russland, der | |
| Ukraine oder Frankreich zu importieren. Einzelnen Länder im Globalen Süden | |
| haben viele Verwundbarkeiten in ganz verschiedenen Themengebieten wie | |
| Schulden, Sicherheit und vielen mehr. Die Länder aus dem Globalen Norden | |
| nutzen das bei Verhandlungen aus. Je mehr Verwundbarkeiten du hast, desto | |
| schwächer ist deine Position. | |
| Wie könnte die Verhandlungsposition des Globalen Südens gestärkt werden? | |
| Eigentlich hat der Globale Süden Druckmittel für Verhandlungen – wenn sich | |
| die Länder zusammenschließen. Der britische Ökonom John Maynard Keynes | |
| sagte einmal: Wenn du deiner Bank 5.000 Dollar schuldest und du sie nicht | |
| hast, hast du ein Problem. Aber wenn du deiner Bank 50 Millionen Dollar | |
| schuldest und du sie nicht hast, hat deine Bank ein Problem. Die Länder des | |
| Globalen Südens kontrollieren die Vorkommen fast aller wichtigen | |
| Mineralien, die der Globale Norden und China brauchen. Statt diese, wie | |
| derzeit üblich, als Rohstoffe zu exportieren, könnten Länder im Globalen | |
| Süden durchsetzen, dass ein Teil dieser Mineralien in ihren Ländern | |
| verarbeitet wird. Dort gibt es die Ressourcen, die Fähigkeiten und die | |
| Nachfrage in großem Umfang. Für die technologischen Lösungen braucht es | |
| Partnerschaften. Gleichberechtigte Partnerschaften, nicht Partnerschaften | |
| in ausbeuterischen neokolonialen Beziehungen. | |
| Im Globalen Süden werden bereits erneuerbare Energien in großem Umfang | |
| erzeugt. | |
| Ja, aber sie produzieren grünen Wasserstoff oder grünen Strom, um ihn nach | |
| Europa zu exportieren. Diese Projekte sind ausbeuterisch. Sie | |
| dekarbonisieren nicht wirklich den afrikanischen Kontinent, sondern dienen | |
| der Energiesicherheit Europas. Das wiederholt dasselbe Muster | |
| ausbeuterischer Industrien, das wir bereits kennen. | |
| Welche Relevanz haben [4][sogenannte Klimaklagen] bei der Klimaschuld? | |
| Wir brauchen eine Vielzahl von Instrumenten, auch juristische. Im | |
| Allgemeinen denken die Menschen bei Klimareparationen an Zahlungen von | |
| Staaten. Aber auch Unternehmen tragen Verantwortung für den Klimawandel und | |
| können direkt für tatsächliche Reparationen verantwortlich sein. Beim Klima | |
| fehlt dafür aber derzeit die verbindliche Rechtsgrundlage. Weltweit laufen | |
| mehrere dieser Klagen, die hoffentlich erste Präzedenzfälle schaffen und | |
| den Druck für einen geordneten Fonds erhöhen. | |
| Ein weit verbreiteter Glaube ist, dass es Wirtschaftswachstum braucht, um | |
| finanzielle Mittel für die Dekarbonisierung zu haben. Sie fordern das | |
| Gegenteil. | |
| Die Leute, die mit Wirtschaftswachstum die finanziellen Mittel für die | |
| Dekarbonisierung schaffen wollen, sind dieselben, die die größten | |
| Verschmutzer besteuern wollen, damit wir grüne Dinge finanzieren können. Es | |
| ist, als würde man Raucher besteuern, um Krankenhäuser zu finanzieren und | |
| gleichzeitig hoffen, dass mehr geraucht wird, um mehr Steuern zu erhalten. | |
| Das ist kontraproduktiv. Natürlich sollten wir Verschmutzer besteuern. Aber | |
| nicht damit Staaten an Geld kommen, sondern weil wir weniger CO2-Emissionen | |
| brauchen. Eine ernsthafte, emissionsreduzierende Strategie basiert auf | |
| staatlicher Regulierung. Ein Teil davon kann Degrowth sein, unbegrenztes | |
| Wirtschaftswachstum gehört auf jeden Fall nicht dazu. | |
| Welche Entscheidungen müssen auf der Klimakonferenz in Dubai getroffen | |
| werden, um den Weg zur Klimagerechtigkeit zu beginnen? | |
| Wir brauchen einen Fonds für Schäden und Verluste. Für den Fonds gab es auf | |
| der Klimakonferenz im vergangenen Jahr durch die vereinten Kräfte des | |
| Globalen Südens einen großen Schub. Jetzt geht es darum, wer ihn | |
| finanziert, welche Summe er umfasst und unter welchen Bedingungen Länder | |
| Geld daraus erhalten können. Kleine Milliardenbeträge reichen nicht aus. | |
| Zweitens brauchen wir den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen. Länder und | |
| Unternehmen, die immer noch in fossile Brennstoffe investieren, | |
| unterzeichnen unser kollektives Selbstmordabkommen, weil sie wissen, was | |
| die Förderung fossiler Brennstoffe für die Klimakrise bedeuten wird. Es ist | |
| kriminell und sollte entsprechend behandelt werden. | |
| Aber es gibt ja auch viele Länder im Globalen Süden, die das weiter tun, | |
| zum Beispiel wegen der Abhängigkeit von Öl. | |
| Nigeria zum Beispiel. Solche Länder sollten beim Ausstieg unterstützt | |
| werden. Es braucht einen gerechten Übergang für die betroffenen Länder. | |
| Wie optimistisch sind Sie, dass diese Ziele erreicht werden? | |
| Ich bin nicht sehr optimistisch, wenn ich realistisch betrachte, wo wir | |
| derzeit stehen. Vielleicht gibt es vernünftige Fortschritte beim Fonds für | |
| Verluste und Schäden. Beim Ausstieg aus fossilen Brennstoffen gibt es | |
| vielleicht eine vage Erwähnung, aber keine echte Verpflichtung. Das sind | |
| jedoch die kleinen Schritte, die man braucht, um irgendwohin zu gelangen. | |
| In den Abschlusserklärungen der 27 COPs zuvor wurden fossile Brennstoffe | |
| gar nicht erwähnt. Ich bin immerhin optimistisch, dass das diesmal | |
| zumindest passiert. Auch, weil das Gastgeberland, eine große | |
| Ölfördernation, seine Wirtschaft vom Öl weg diversifizieren will. | |
| 1 Dec 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Yannik Achternbosch | |
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