# taz.de -- Kalorien und Wein: Erst der Crémant, dann die Reue | |
> Auf den Etiketten von Weinflaschen könnte bald nicht nur vor | |
> Alkoholabhängigkeit gewarnt werden, sondern auch vor zu vielen Kalorien. | |
Bild: Europa plant Warnhinweise: Wer trinkt, lebt gefährlich | |
Der Weihnachtsmarkt ist eröffnet: Pfefferkuchen, Stollen, Gänsekeulen. Und | |
natürlich: [1][Glühwein, Eierpunsch, Lumumba]. Es ist großartig: Erst ein | |
fetter Braten, danach ein Schnaps, am besten erhitzt. Wenn das Getränk den | |
ohnehin schon vollen Magen zusätzlich abdichtet, möchte man sich am | |
liebsten sofort aufs Sofa packen. Liegt man dort aber erst einmal, legt | |
sich das schlechte Gewissen gleich daneben: Na, mal wieder über die Stränge | |
geschlagen? Morgen besser nicht auf die Waage steigen, ne? Die nächsten | |
Tage ausschließlich Gemüse – und vor allem: [2][No Alkohol!] | |
Vorsätze, die sowieso nicht lange halten. Spätestens, wenn … na, Sie wissen | |
schon, wählen Sie Ihre Ausrede einfach selbst. Dabei ist das mit einer | |
strengen (und von mir aus auch längeren) Alkoholabstinenz vielleicht doch | |
nicht ganz so verkehrt. Wegen der Fitness, des Images, des Termindrucks. | |
Was einem heute so abverlangt wird. | |
In der besten aller Welten wäre es egal, ob jemand infolge eines gelungenen | |
Vollrauschs am nächsten Tag nicht zum Frühdienst erscheint. Straßenbahn | |
fällt aus, Bäcker noch dicht, auf taz.de keine neuen Texte – scheißegal, | |
geht der Tag eben später los. Alle freuen sich über eine überraschende | |
Pause. Aber so läuft das heute bekanntlich nicht. In unserer | |
Alles-muss-immer-und-sofort-verfügbar-sein-Welt, die sich mit dem | |
Wenn-du-versagst-biste-raus-Planeten koppelt, muss man 24/7 den Computer | |
vor der Nase, das Handy am Ohr und die Laufschuhe neben dem Bett haben. Es | |
wimmelt nur so von Performer:innen, Weltverbesser:innen, | |
Selbstoptimierer:innen. | |
Da scheint es folgerichtig, dass nicht nur [3][auf Zigarettenschachteln | |
gewarnt wird]: „Raucher sterben früher.“ Sondern demnächst auch auf Wein-, | |
Sekt- und Schnapsflaschen. Bald könnten [4][auf den Etiketten Sätze stehen | |
wie: „Trinken schadet Ihrer Leber.“] „Alkohol kann Ihr Ungeborenes töten… | |
„Alkohol macht doof.“ In Frankreich, wo Rotwein zum Essen traditionell dazu | |
gehört, ist das bereits seit 2007 Pflicht. Auf Weinen werden Schwangere | |
darauf hingewiesen, dass sie die Flasche lieber nicht in den Einaufskorb | |
packen, entweder mit einem durchgestrichenen Symbol einer Schwangeren, die | |
ein Weinglas in der Hand hält, oder mit einem entsprechenden Satz. | |
## Achtung: Am Ende schlägt die Waage aus | |
Dagegen ist gar nichts zu sagen, im Gegenteil, das ist sehr sinnvoll. | |
Alkohol und Tabak haben im Körper von Schwangeren nichts zu suchen. Weiß | |
man eigentlich. Aber muss ich mich, die weder schwanger noch suchtgefährdet | |
ist, sondern nur auf einen süffisanten Samstagabendgenuss aus ist, von | |
einer Flasche [5][Crémant d'Alsace] anbrummen lassen: Achtung, wenn du mich | |
trinkst, wirst das sicher ein lustiger Abend, am Ende schlägt de Waage | |
unfreundlich aus! Denn neben dem Alkoholgehalt muss das Etikett bald auch | |
die Kalorienmenge ausweisen. Die Europäische Union bastelt seit geraumer | |
Zeit an Formulierungen, so was wie: 100 ml enthalten 356 Kilojoule oder | |
Kalorien 85 Kilokalorien, 0 Gramm Protein, 2,5 Gramm Kohlenhydrate und 0 | |
Gramm Fett. | |
Das Etikett auf der Schampusflasche – der Porsche der Lebensmittelampel. | |
Ich würde gern wissen, wer genau im Brüsseler Parlament daran arbeitet. Ich | |
vermute, es sind Männer, die allmorgendlich, bevor sie in den heiligen | |
EU-Hallen in der Rue Wirtz verschwinden, durch den Parc de Bruxelles | |
joggen, nach dem Dienst Hanteln stemmen und am Wochenende im [6][EU-eigenen | |
Fitnessstudio] ihr Six Pack performen. „Achtsamkeitsarbeit“ nennt die | |
[7][Psychologin Ramani Durvasula] die totale Kontrolle über den eigenen | |
Körper. Und die betreiben, das sagt US-Amerikanerin auch, insbesondere | |
narzisstische Menschen. | |
[8][Narzissten] halten sich voller Überzeugung für die Allergeilsten. Sie | |
glauben, sie sind die Einzigen, die es drauf haben, alle anderen sind | |
Luschen. Das lassen sie andere natürlich ständig spüren: Man tut einfach | |
so, als ob man die Kollegin, die neben einem steht und eine rasche | |
Minifrage hat, gar nicht gesehen hat. Man quatscht dauernd dazwischen, vor | |
allem in öffentlichen Runden. Volle Breitseite Abwertung. | |
Das hat einen beängstigenden Grund: Narzissten sind im tiefsten Inneren | |
alles andere als coole Säue, sondern mit wenig Selbstwertgefühl | |
ausgestattet und auf jede noch so kleinste Anerkennung von außen | |
angewiesen. Den Kampf, den Narzissten ständig mit sich selbst ausfechten, | |
können sie nie gewinnen. Was bleibt also? Andere vorführen – oder Etiketten | |
auf Weinflaschen drucken. | |
Liebe EU-Etiketten-Bastler:innen, trinkt doch einfach mal [9][ein großes | |
Leffe] und esst dazu einen [10][Salat Liégeoise], wenn es nicht die | |
obligatorischen belgischen Fritten sein sollen. Ihr werdet sehen, danach | |
fühlt Ihr Euch frei, leicht und locker. Am Abend könnt Ihr ja trotzdem | |
[11][zu euren Hanteln greifen]. | |
29 Nov 2023 | |
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[6] https://www.diepresse.com/453765/luxus-fitnessstudio-fuer-eu-parlament | |
[7] https://doctor-ramani.com/ | |
[8] https://www.therapie.de/psyche/info/index/diagnose/persoenlichkeitsstoerung… | |
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## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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