# taz.de -- Alkohol in der Reha-Klinik: Ach, ich nehm noch 'n Eierlikörchen | |
> In einer Reha-Klinik ist Alkohol streng verboten. Eigentlich. Aber | |
> Patient:innen halten sich nicht unbedingt daran – unsere Autorin hat | |
> es erlebt. | |
Bild: „Und? Schon den Sekt geköpft?“ | |
Wer jemals in einer Reha-Klinik war, weiß, dass dort striktes Alkoholverbot | |
angesagt ist. Aus gutem Grund. [1][Knapp 8 Millionen Menschen in | |
Deutschland trinken Bier, Wein, Schnaps] in „gesundheitlich riskanter | |
Form“. So jedenfalls sagt es das Gesundheitsministerium – und meint damit, | |
dass diese nicht unbedingt klein zu nennende Bevölkerungsgruppe zwischen 18 | |
und 64 Jahren ein [2][Alkoholproblem hat, also abhängig] vom Fusel ist. | |
Früher nannte man sie abfällig „Säufer“. | |
Das kann eine Reha-Klinik natürlich nicht unterstützen. Und doch kann es | |
anders kommen. | |
Als ich ausgerechnet an meinem Geburtstag in der Reha-Klinik irgendwo in | |
der Mitte der Republik – Ort und Name der Klinik müssen aus später | |
verständlich werdenden Gründen geheim bleiben – ankam, zapfte mir eine | |
Schwester zunächst Blut ab, wog und maß mich und erkundigte sich sodann | |
nach meinem Befinden: „Und? Schon den Sekt geköpft?“ | |
„Äh, ist [3][Alkohol hier nicht streng verboten]?“ „Die einen sagen so, … | |
anderen so.“ Und schob hinterher: „Geburtstag hat man schließlich nur | |
einmal im Jahr. Und die Wochen hier können lang werden.“ | |
## Mit Krücken, Jogginghosen und Golfschläger | |
Fortan beobachtete ich die Sache mit dem Alkohol und dessen „absolutem“ | |
Reha-Verbot mit wachsendem Interesse. Um eines gleich vorweg zu schicken: | |
Das war keine Enzugsklinik für allerlei Süchte, sondern eine knallhart | |
orthopädische Einrichtung: Knie, Rücken, Hüfte, Brüche aller Art, so was. | |
Manche Patient:innen, in der Reha-Sprache Rehabilitand:innen genannt, | |
quälten sich mit Krücken, sorry, Unterarmgehstützen, über das | |
Klinikgelände. Andere hingegen joggten täglich [4][durch den Märchenwald], | |
in dem sich die Klinik versteckte. | |
Ein Mann verschwand nach dem vormittäglichen Reha-Sport in der nahe | |
gelegenen Golfanlage. Bis zum Ende unserer gemeinsamen Reha-Zeit habe ich | |
nicht herausfinden können, was ihn eigentlich plagte. Schulter und Rücken | |
sicher nicht, [5][beim Golfen muss man], soweit ich als Nichtgolferin das | |
beurteilen kann, beide Körperteile gekonnt einsetzen. Und man muss Kraft | |
haben. So eine Tasche mit Golfschlägern kann schon mal über 45 Kilo wiegen. | |
Hüfte und Oberschenkel schienen auch tippitoppi gewesen zu sein. Zumindest | |
lief er stets mit schnellen Schritten vom Ergometerraum zur Gymnastikhalle | |
und von dort in die Schwimmhalle. | |
Sicher flitzte er behände von Golfloch zu Golfloch. So stellte ich es mir | |
jedenfalls vor. Was mich aber vielmehr interessierte: Trug er dabei seinen | |
Golfschläger in der einen Hand und eine Bierflasche in der anderen? Im | |
Eppendorfer, einer Zeitschrift für Psychiatrie und Soziales, hatte ich | |
gelesen, dass 40 Prozent aller Golfer:innen während ihrer Stunden auf | |
dem Rasen und den Hügeln Alkohol zu sich nehmen: Bier, Sekt, Schnaps. Bei | |
Turnieren sogar noch mehr. Die Folgen sind mitunter dramatischer als bei | |
einem gewöhnlichen Fahrradunfall: schwere Schädel- und Augenverletzungen, | |
Knochenbrüche, Risse innerer Organe. Hervorgerufen durch Golfschläger mit | |
Rückschwung oder querfliegende Golfbälle. So ein geschlagener Golfball kann | |
eine Geschwindigkeit von 300 Stundenkilometer bekommen. Der Eppendorfer | |
titelte mit: „Golf: Handicap Alkohol.“ | |
## „Alkohol ist immer schlecht“ | |
Dass Alkohol eine solch verheerende Wirkung haben kann, war mir bis dahin | |
nicht bewusst. Die Ernährungsberaterin, deren Vorträgen zu Kalorien, der | |
Lebensmittelpyramide und Alkohol wir lauschten, setze noch einen oben | |
drauf. Mit bebender Stimme dozierte sie: „Alkohol ist immer schlecht.“ Aber | |
räumte sie ein, es gebe ja auch noch das Leben und manchmal könne man | |
Alkohol nicht vermeiden. „Aber ich sage mir dann immer: höchstens mal ein | |
kleines Gläschen Wein am Wochenende.“ Am nächsten Morgen reinigt sie ihren | |
Körper mit Wasser und Glaubersalz. | |
Die Rehabilitand:innen hörten es – und pilgerten in immer größer | |
werdenden Gruppen immer öfter ins Eiscafé im nahe gelegenen Ort zu Kaffee, | |
Kuchen und Aperol Spritz. Andere besorgten sich Alkopops und kippten sich | |
diese draußen auf der Reha-Wiese hinter die Binde. Diese Scham legten vier | |
Frauen, die beim Essen immer zusammensaßen, irgendwann ab und knackten das | |
Büchsenbier drinnen im Foyer. | |
Das konnte nur Orangen-Schmidt toppen. Das ist ein kleiner Bioladen im Ort, | |
der freitags ab 15 Uhr selbstgemachten Eierlikör und Erdbeerbowle | |
ausschenkt. Vorher reicht Orangen-Schmidt – er heißt wirklich so – Gin, | |
Johannisbeerlikör, Kräuterschnaps zum Verkosten. Eine klassische | |
Win-win-Situation: [6][Besser gelaunt] als im Hof von Orangen-Schmidt kann | |
man in der Reha-Zeit nie sein – und bei ihm klingelt die Kasse. | |
Orangen-Schmidt ist eine Legende im Ort. Wenn freitags die halbe | |
Reha-Klinik in den Hof einrückt, zieht es auch Eingeborene zu ihm. Manche | |
sind so alt, wie ich gern werden würde, [7][mit Eierlikör haben sie beste | |
Laun]e und sagen nie nein, wenn man sie fragt, ob sie noch ein Likörchen | |
wöllten. Orangen-Schmidt füllt auf, auch seine Laune steigt zusehends. Aber | |
irgendwann ruft er: „Feierabend.“ | |
Bei Orangen-Schmidt bleibt immer mal was liegen: Regenschirme, | |
Taschentücher, Handys. Nach vier Eierlikören schaute sich eine 80-jährige | |
Anwohnerin suchend um: „Wo hab' ich nur meinen Rollator abgestellt?“ | |
26 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/a/alko… | |
[2] /Alkoholatlas-2022/!5881916 | |
[3] /Junge-Menschen-und-Alkohol/!5907331 | |
[4] /Alkohol-aus-Fichtennadeln/!5922820 | |
[5] /Golf-in-Gatow/!5951179 | |
[6] /Italienische-Kaffeespezialitaet/!5872836 | |
[7] /Echt-nur-ohne-Milch-Eierlikoer/!5543472 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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