# taz.de -- Pastis trinken: Diskret und unangestrengt | |
> Wer an einem gewöhnlichen Samstagnachmittag einen Pastis trinkt, lebt | |
> Eleganz und Beiläufigkeit. Und ein wenig Frankreich in Deutschland. | |
Bild: Eleganz, Nonchalance, Pastis | |
Als es dieser Tage mal überraschend mild war, hatte ich das unbändige | |
Bedürfnis, in einem Straßencafé zu sitzen und das Leben an mir | |
vorbeischlendern zu lassen. Es war früher Samstagnachmittag, die Leute vor | |
den Espressobars [1][nippten an ihren Macchiato-Gläsern] und stocherten in | |
ihren Blueberry Cheese Cakes herum. Was für eine Verschwendung, dachte ich, | |
einen Draußen-Kaffee kann man immer trinken, dazu braucht es keine | |
ungewöhnlichen 15 Grad an einem gewöhnlichen Februarwochenende. | |
Wenn man schon in den ersten Wochen des Jahres auf die inflationär über die | |
Bistrostühle gehängten 2,99-Euro-Decken verzichten kann, dann braucht es | |
das entsprechende Getränk: einen Pastis. | |
Pastis, Pastis, doch, doch, schon mal gehört, werden manche jetzt denken: | |
Aber, sorry, noch nie getrunken. Andere erinnern sich vielleicht: Das ist | |
doch dieser [2][Anisschnaps,] oder? | |
Stimmt, das ist dieser Anisschnaps. Ein [3][zu Unrecht in Deutschland | |
unterbelichtetes Geträn]k. Nicht einmal alle Bars haben es im Sortiment. | |
Wenn überhaupt serviert der griechische Wirt nach einem üppigen Essen | |
[4][einen Ouzo], die hellenische Version des Anisgetränks. Im türkischen | |
Restaurant bekommt man, so man auf eine üppige Rechnung verweisen kann, | |
einen Raki hingestellt. Aber beides – und das muss deutlich gesagt werden – | |
ist kein Pastis. Denn nur Pastis ist Pastis. Punkt. Ein Pastis besteht aus | |
Alkohol, Anis, Sternanis, Fenchelsamen, Süßholzwurzeln und verschiedenen | |
Kräutern. Alle anderen Variationen sind Imitate. | |
## Eis drauf, Wasser dazu, fertig ist der Louche-Effekt | |
[5][In Frankreich, wo Pastis so etwas wie das Nationalgetränk ist], gibt es | |
ihn überall. Und man trinkt ihn zu jeder Tageszeit, im Süden sogar schon am | |
Vormittag. Und zwar so: Pastis in einem schmalen Glas, Eiswürfel drauf, | |
Wasser dazu und fertig ist die Laube. Das Wasser kommt in einer kleinen | |
Karaffe an den Tisch und lässt zusammen mit dem Eis aus dem | |
eierschalenfarbenen Alkohol in der Flasche ein milchig trübes Glück im Glas | |
werden. Das nennt man den Louche-Effekt. | |
Es muss gar nicht viel Pastis sein, in der Kombination mit Eis und Wasser | |
kann man sich mindestens eine Stunde an einem Glas aufhalten. „Simplicity | |
is the keynote of all true elegance“, sagte die französische Modedesignerin | |
Coco Chanel. Oder um es mit einem Pastis zu sagen: Einen Pastis zu sich zu | |
nehmen, ist die stillvollste Art zu trinken, weil sie ohne Nachschenken | |
auskommt. | |
Hierzulande ist das nicht sonderlich verbreitet, Verzicht, Muße und Langmut | |
sind aber bekanntermaßen keine deutschen Tugenden. Und so muss sich der | |
Pastis verstärkt in diesen Wochen mit einer deutschen Anisvariante | |
herumärgern: dem Linie-Aquavit. Es ist Grünkohlzeit und echte Grünkohlfans | |
stellen alles Mögliche an, um so viel wie möglich von dem Zeug zu bekommen. | |
Die taz-Nord-Redaktion nimmt sich da nicht aus. Seit Jahren versteckt sie | |
sich regelmäßig im Februar hinter einem [6][Gruppen-Event, dem Boßeln.] | |
Dann wandert die Gruppe je nach Wetterlage über eine verschneite oder | |
vermatschte Wiese am Bremer Stadtrand – und landet am Ende des Weges in | |
einer Grünkohlbude in the Middle of Bremer Nowhere. Und die hat nur Linie. | |
## Linie ist die Schichtarbeiterin unter den Anisschnäpsen | |
Das klingt bitter, ist es aber nur halb. Nach drei Stunden | |
Boßelkugelwerfen, Latschen, Quatschen, Trinken – Kakao mit Brandy, | |
Quittenlikör, Schierker Feuerstein, Batida de Coco Mango (schmeckt so, wie | |
das Shampoo einer Kollegin riecht) – geht auch Linie. Diese Kombination aus | |
Kümmel, Anis, Orangenschalen, einem Hauch Vanille und Kümmel passt sogar | |
ganz gut zu den Bergen aus Grünkohl und Pinkelwürsten, die die Redaktion so | |
wegfuttert. Die Linie, traditionell serviert in einem geeisten Glas mit | |
dickwandigem, langen Stiel, wird in einem Zug hintergekippt. Die Linie ist | |
die Schichtarbeiterin unter den Anisschnäpsen. | |
Alex, der Lebensgefährte unserer Niedersachsen-Korrespondentin, empfiehlt, | |
nachdem man sich aus seiner Linie gegessen hat, zwar auch Harzer | |
Grubenlicht, ein Schnaps, den das produzierende Unternehmen als „feinen | |
Kräuter-Halb-Bitter Likör aus erlesenen Kräutern“ anpreist. Doch das Harzer | |
Grubenlicht – sorry, Alex! – sollte besser dort bleiben, wo es herkommt: im | |
Harz. Dort kann man jetzt sogar Snowkiten und Schneegolfen. Ist nicht alles | |
schlecht im Osten. | |
Wer aber elegant und nonchalant trinken will, bestellt einen Pastis. [7][In | |
einem Bistro] an einem schlichten Samstagnachmittag, à la française: | |
beiläufig, diskret, unangestrengt. | |
21 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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