# taz.de -- Debatte Macchiato-Mütter: Selbstmitleid im Szenecafé | |
> Wenn junge Frauen nach der Trennung vom Partner in der Geschlechterfalle | |
> landen, sollten sie mal ihr Rollenverständnis überdenken. | |
Bild: Ich bin Mutter, also bin ich? Frauen mit Kinderwagen. | |
Eigentlich müsste ich eine von ihnen sein. Ich wohne am Helmholtzplatz, | |
mitten drin im Berliner "Szenebezirk" Prenzlauer Berg. Ich trinke gerne | |
Latte macchiato, ich bin gut ausgebildet - und ich bin alleinerziehend. | |
Genauso wie die vielen getrennt lebenden Mütter, die dieses Biotop der | |
neuen Bürgerlichkeit in zunehmender Zahl bevölkern. | |
Vor Kurzem hatten [1][zwei dieser Scheidungsmütter in der taz (vom 17./18. | |
Juli) ihr Leben beklagt]. Ein Leben, das nicht mehr das perfekte, | |
sorgenfreie Bionade-Biedermeier-Dasein ist, das sie bis zur Trennung von | |
ihren Männern geführt hatten. Sondern eines, das für sie unerträglich | |
scheint - als gestresste, mittellose Alleinerziehende, die plötzlich und | |
unerwartet in der Geschlechterfalle hockt. | |
Um es gleich deutlich zu sagen: Ich habe kein Mitleid mit diesen | |
Macchiato-Müttern. Ihre Situation ist hausgemacht, sie sind selbst schuld | |
an ihrer Lage. Aber dürfen Alleinerziehende gegenüber anderen | |
Alleinerziehenden so unsolidarisch sein? Schließlich teilen wird doch das | |
gleiche Schicksal. Ich weiß genau, wovon die Frauen reden, wenn sie über | |
Stress, Zeitdruck und Geldmangel berichten, über die Sorge um ihre Kinder | |
und die Zukunft. Alleinerziehende führen ein Leben auf der Überholspur. | |
Aber ich teile das Lamento der Macchiato-Mütter trotzdem nicht. | |
Mann weg, Leben verpfuscht? | |
Das Ende einer Beziehung darf man betrauern, man darf wütend darüber sein | |
und auch auf die Situation, in die man durch die Trennung geraten ist. Aber | |
muss man sich deshalb immer gleich zum Opfer stilisieren? Genau das tun die | |
Macchiato-Mütter. Ihre Sorge lautet: Der Mann ist weg, mein Leben ist | |
verpfuscht. Wer sorgt jetzt eigentlich für mich? | |
Dahinter steckt eine passive und gegen das eigene Geschlecht gerichtete | |
Haltung, die vielen Alleinerziehenden jenseits dieser Macchiato-Sphäre | |
vollkommen fremd ist. Der Unterschied zwischen den Macchiato-Müttern und | |
mir ist unser Selbstverständnis. Und unsere Herkunft. | |
Macchiato-Mütter verkörpern das spät- und spießbürgerliche Westdeutschland. | |
Sie machen allein ihre Geschlechterdifferenz, über die Frauen wie ich aus | |
dem Osten nicht einmal nachdenken, zum Maßstab. Nur wenige Ostfrauen kämen | |
auf die Idee, sich über einen Mann und die soziale Absicherung durch ihn zu | |
definieren. Ihr Anspruch liegt in der Erwerbsarbeit und der Unabhängigkeit, | |
die daraus resultiert. Kinder haben in diesem Lebensentwurf trotzdem einen | |
Platz. | |
Die Macchiato-Mütter haben eine andere Identität: Ich bin Mutter, also bin | |
ich. Ich bleibe jetzt erst mal ein paar Jahre mit den Kindern zu Hause. Das | |
kann ich mir leisten, mein Mann hat ja eine Superstelle. Eigener Job? Ach, | |
der ist erst mal nicht so wichtig. Mehr als Teilzeit wäre jetzt sowieso | |
nicht drin. | |
Ich bin Mutter, also bin ich | |
So ein Selbstverständnis ist nicht nur altbacken und langweilig, sondern | |
auch zutiefst konservativ und naiv. Der Anspruch, den diese | |
Macchiato-Mütter an sich und ihre Männer stellen, reproduziert | |
Geschlechterstereotypen, aus denen sich ihre Mütter einst in einem harten | |
Kampf befreien wollten. Und er blendet die aktuelle Entwicklung an der | |
Geschlechterfront völlig aus. Ein modernes Frauenbild sieht anders aus. | |
Die Macchiato-Mütter müssten das eigentlich wissen. Schließlich sind sie | |
hochgebildet und in einer Zeit umfänglicher feministischer Diskurse | |
aufgewachsen. Und gehörten manche von ihnen nicht sogar zu denen, die vor | |
ein paar Jahren lauthals forderten, jetzt müsse mal Schluss sein mit | |
Feminismusdebatte und Geschlechterk(r)ampf? Sie selbst seien nämlich längst | |
gleichberechtigt, ihnen könne gar nichts passieren?! Aber nun, Mist | |
verdammt, sind die Männer weg. Und jetzt merken die Macchiato-Mütter, dass | |
es noch eine andere Welt gibt, die jenseits ihres Windelhorizonts liegt. | |
Die Macchiato-Mütter wollten so gerne Avantgarde sein. Aber sie leben das | |
Gegenteil davon und fallen damit hinter die Feminismusdebatten der 70er | |
Jahre zurück: Die Männer sind schuld daran, dass es uns schlecht geht. | |
Dabei wollten Frauen wie die Macchiato-Mütter doch nie so werden wie diese | |
Klischeefeministinnen alter Schule,männerausgrenzend und mit | |
heruntergezogenen Mundwinkeln. Aber genauso sehen diese Macchiato-Mütter | |
nun aus. Das ist Selbstentwertung auf hohem Niveau. | |
Diese Macchiato-Mütter glauben, sich mit ihrer Kritik an ihren Männern | |
gegen patriarchale Strukturen zu richten. Aber sie irren. Sie selbst sind | |
es, die durch ihr Rollenverständnis und ihre Passivität patriarchale | |
Strukturen unterstützen. | |
Jenseits des Windelhorizonts | |
Ärgerlich ist außerdem, dass diese Macchiato-Mütter in erster Linie unter | |
ihrem sozialen Abstieg leiden (keine Reisen mehr, kein Shoppen, keine | |
Restaurants). Die Dachgeschosswohnung können sie allein nicht mehr | |
bezahlen. Umziehen können sie aber auch nicht, weil der Schulweg für die | |
Kinder sonst zu weit wäre. | |
Und natürlich: kein Latte macchiato mehr - ja, vor allem das interessiert | |
sie. Ihr Rollenverhalten aber reflektieren sie nur am Rande. Solange sich | |
ihr Alltag zwischen Buddelkasten, Putzfrau und sonnendurchfluteter Wohnung | |
bewegt (bezahlt vom Vollzeitpapi), verzichten sie nicht nur freiwillig auf | |
Beruf und Karriere, sondern vor allem auf die Emanzipation. Erst wenn sich | |
der Mann aus dem familiären Lebensentwurf verabschiedet, wachen diese | |
Macchiato-Mütter auf. | |
Wer aber heute auf die finanzielle Sicherheit eines Partners setzt und | |
nicht bedenkt, dass Beziehungen auch auseinandergehen können, der muss sich | |
nicht wundern, wenn der Absturz besonders krass ausfällt. | |
Zugegeben, es ist nicht sonderlich sexy, an das Ende einer Beziehung zu | |
denken, wenn man sich gerade frisch verliebt hat. Und ständig über Geld zu | |
reden tötet jede Beziehung. Aber wir wissen doch, dass heute jede dritte | |
Ehe geschieden wird und es ungebrochene Biografien nicht mehr gibt. Und es | |
gilt das Prinzip: Jeder Lebensabschnitt braucht "seinen" Lebenspartner. | |
Liebe Macchiato-Mütter, bringt eure Kinder rechtzeitig in die Kita und | |
sucht euch einen Job. Dann könnt ihr auch wieder Milchkaffee trinken. Der | |
selbst bezahlte schmeckt ohnehin viel besser. | |
29 Jul 2010 | |
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## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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