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# taz.de -- Nach drei Jahren Militärregierung: In Mali ist nicht alles schlecht
> Im Ausland werden vor allem die Defizite der Regierung hervorgehoben. Vor
> Ort betonen Menschen dagegen die Erfolge – trotz harter Lebensumstände.
Bild: Hauptsache vorwärts: Mutter mit Kindern unterwegs in Sikasso, Südmali
Bamako taz | Am Flughafen verkünden große Plakate eine Renaissance des
malischen Bergbaus. Aufhänger ist Malis neues Bergbaugesetz vom August, das
dem Staat zukünftig eine deutlich höhere Beteiligung an den Gewinnen
internationaler Bergbaufirmen garantiert.
In Gesprächen in Malis Hauptstadt Bamako ist allenthalben von Erfolgen die
Rede: Angefangen bei der verschärften Korruptionsbekämpfung über staatliche
Subventionen für bäuerliche Haushalte bis hin zur Wiederöffnung mehrerer
Fabriken, die im Zuge der verschuldungsbedingten
Strukturanpassungsprogramme in den 1990er und 2000er Jahren geschlossen
worden waren.
Wenn es um Mali geht, wo seit 2020 das Militär regiert, werden
international vor allem Probleme thematisiert – die Sicherheitslage werde
immer schwieriger, demokratische Rechte erodierten, die einst für Februar
2024 vereinbarten Wahlen seien auf unbestimmte Zeit verschoben. Aber das
jüngste Mali-Métre – eine jährlich stattfindende Meinungsumfrage der
Friedrich-Ebert-Stiftung – ergab Anfang des Jahres 95 Prozent Zufriedenheit
mit der Übergangsregierung unter Oberst Assimi Goïta. Und Gespräche in
Bamako bestätigen dieses Bild.
Etwa, wenn es um die im Juni per Referendum angenommene [1][neue
Verfassung] geht. Mit großer Verve erläutert Soziologieprofessor Bréma Ely
Dicko, was für Verbesserungen sie darstellt, anders als im Ausland
kolportiert: Nicht der Präsident werde gestärkt, sondern die Rechte lokaler
Amtsträger:innen und traditioneller Autoritäten wie Imame, Dorfchefs
oder Landverantwortliche, unter anderem durch die Einführung einer zweiten
Kammer. Bréma Ely Dicko weiß, wovon er spricht, er gehörte zur
Verfassungskommission.
## „Derzeitige Sicherheitslage lässt Wahlen nicht zu“
Die Ausarbeitung der neuen Verfassung erfolgte unter breiter Beteiligung
der Bevölkerung, berichtet Diory Traoré, die seit über 20 Jahren in
zivilgesellschaftlichen Initiativen aktiv ist: „Früher habe ich mich
überflüssig gefühlt. Umso wichtiger ist für mich, dass die
Übergangsregierung dem gefolgt ist, was in den Nationalen Versammlungen im
Dezember 2021 gemeinsam beschlossen wurde. Dadurch habe ich das Gefühl,
dass meine Teilnahme Sinn gemacht hat.“
Spätestens vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, weshalb kaum jemand
die abermalige Verschiebung der Wahlen beklagt: „Niemand hat etwas anderes
erwartet – die derzeitige Sicherheitslage lässt Wahlen nicht zu“, so Bréma
Ely Dicko lakonisch. Allerdings geht er davon aus, dass die Wahlen zum
frühestmöglichen Zeitpunkt nachgeholt werden.
Die Zustimmung zur Militärregierung bedeutet freilich nicht, dass die
Menschen unkritisch oder insgesamt zufrieden seien. Die soziale Lage,
darauf weisen etliche Gesprächspartner:innen hin, ist katastrophal.
Die Preise für Güter des täglichen Bedarfs schnellten während der
Coronapandemie steil nach oben und sind seitdem nicht mehr gesunken. Das
hat maßgeblich mit den von der Regionalorganisation [2][Ecowas
(Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) gegen Mali verhängten
Sanktionen] sowie den Auswirkungen des Ukrainekrieges zu tun.
Es geht nicht nur um Lebensmittelpreise. Ein junger Bauer, der noch vor
acht Monaten im Vollbesitz seiner physischen Kräfte war, ist heute extrem
geschwächt, auf seinem Rücken klafft eine kraterartige 5 mal 8 Zentimeter
große Wunde, die nicht heilt: Er kann seine Diabetesmedikamente nicht mehr
regelmäßig finanzieren.
Die staatliche Elektrizitätsgesellschaft hat minderwertige Generatoren
gekauft, was mit dazu führt, dass in Bamako der Strom täglich bis zu 18
Stunden ausfällt. Besonders verzweifelt sind Berufsgruppen wie
Schneider:innen, Schweißer:innen oder Mechaniker:innen, die auf Strom
angewiesen sind, aber keine Generatoren haben und nun abends ohne
Tageseinnahmen nach Hause gehen.
Ein Ladenbesitzer, der seine Waren bei 37 Grad im Schatten nicht kühlen
kann, fürchtet, dass dies zum Stolperstein für die Regierung werden könnte,
die er eigentlich unterstützte: „Die Malier gehen nicht häufig auf die
Straße, aber wenn, dann massenhaft und meist mit Konsequenzen.“
## Malis Armee kann handfeste Erfolge vorweisen
Die breite Zustimmung zur Übergangsregierung hat [3][vor allem mit der
Sicherheitslage zu tun]. Malis Armee kann da durchaus handfeste Erfolge
vorweisen. Die bäuerliche Basisgewerkschaft Copon aus dem
Bewässerungsgebiet „Office du Niger“ im Zentrum des Landes ist zwar mit
einer 15-köpfigen Delegation für drei Tage in die Hauptstadt gereist, weil
europäische Besucher derzeit nicht zu ihr können.
Aber Benke Traoré, einer ihrer Sprecher, meint: „Die Bauern stehen zu 100
Prozent hinter der Übergangsregierung. Sie können dieses Jahr wieder Felder
bewirtschaften, wo es letztes Jahr noch zu gefährlich war.“ Zudem sei die
Armee mittlerweile in der Lage, in die Wälder Richtung Mauretanien
vorzudringen und dschihadistische Gruppen aktiv zu bekämpfen.
Und doch ist die Lage nicht überall rosig. Ein Bauer aus der Region
Timbuktu, der seit 10 Jahren mit seiner Frau und sieben Kindern in Bamako
lebt, aber noch täglich mit seinem Dorf im Kontakt steht, unterstützt die
Armee. Die einzige Chance auf dauerhaften Frieden bestehe in der
Entwaffnung aller Milizen und Terrorgruppen, findet er, und wer sich nicht
entwaffnen ließe, gehöre erschossen.
Das klingt brachial, verweist aber auf die Verzweiflung über die
wahrgenommene Lage, dass geschätzt 3.000 bis 5.000 islamistische
Terroristen seit nunmehr 13 Jahren über 20 Millionen Menschen in Schach
halten.
Dies zu verstehen, ist wichtig. Die Menschen lehnen nicht nur Dschihadisten
ab, sondern auch die von einzelnen Tuareg-Clans dominierte separatistische
Rebellenallianz CSP im Norden Malis. Diese spräche nur für sich selbst, sie
hätte noch nicht mal in ihrem Kerngebiet eine Mehrheit hinter sich, heißt
es. Die Eroberung der seit 2014 von CSP-Rebellen besetzte Stadt Kidal durch
Malis Armee wurde in Bamako mit großer Anspannung verfolgt.
## Manche plädieren für eine Einheitspartei
Allenthalben ist Unduldsamkeit gegen tatsächlich oder vermeintlich
egoistisches Verhalten zu beobachten. So wurden in jüngerer Zeit auch
Parteigänger der Übergangsregierung zu Haftstrafen verurteilt, unter ihnen
Adama Ben Diarra, besser bekannt als Ben Le Cerveau.
Der Deutung, die Revolution fresse ihre Kinder, widersprechen allerdings
viele. Jeder könne sagen, was er wolle, zur Illustration wird auf die
extrem kontroverse Debatte um die neue Verfassung verwiesen. Was aber nicht
ginge, sei Hassrede, Propaganda und Verleumdung. Denn dieses in den 1990er
Jahren mit der Einführung der Mehrparteiendemokratie aufgekommene Verhalten
habe Malis Gesellschaft von innen her vergiftet und sei einer der Gründe
der aktuellen Krise.
Entsprechend meint eine Mitstreiterin von Adama Ben Diarra, dass dieser
nicht für seine Meinung verurteilt worden sei, sondern deshalb, weil er in
verklausulierten Worten einen Geheimdienstchef habe diskreditieren wollen.
Der Hinweis auf solche Abgründe ist mittlerweile obligatorisch, selbst wenn
es bloß um die Einrichtung einer neuen Whatsapp-Gruppe geht.
Fadiala Dianka, ein Dorfchef aus dem Süden Malis, geht noch einen Schritt
weiter. Er plädiert für eine Einheitspartei, so wie nach der Unabhängigkeit
1960: „In den Zeiten von Modibo Keïta waren alle zusammen. Alle haben sich
verstanden, es gab Sicherheit. Aber heute mit dem Mehrparteiensystem –
guck, was passiert: Streit, Unsicherheit, alle Formen von schlechten
Dingen. Das wäre mit einer Einheitspartei nicht der Fall. Das ist wie in
einer Familie, wo auch alle zusammen sind.“
Olaf Bernau ist bei „Afrique-Europe-Interact“ aktiv, er war in deren
Auftrag im Oktober in Mali. 2022 erschien sein Buch „Brennpunkt Westafrika.
Die Fluchtursachen und was Europa tun sollte“.
5 Dec 2023
## LINKS
[1] /Neue-Verfassung-in-Mali/!5940029
[2] /Die-Ecowas-und-der-Coup-in-Niger/!5949689
[3] /Tuareg-Rebellen-gegen-Regierung/!5961029
## AUTOREN
Olaf Bernau
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