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# taz.de -- Doku „Smoke Sauna Sisterhood“: Komm, wir schwitzen zusammen
> Anna Hints begleitet in der Doku „Smoke Sauna Sisterhood“ eine weibliche
> Saunagemeinschaft in Estland. Über den Gegenentwurf zur patriarchalen
> Welt.
Bild: Geschützter Raum: „Smoke Sauna Sisterhood“
Wald statt Weltlärm – in „Smoke Sauna Sisterhood“ von Anna Hints sehen w…
Frauen umgeben von Natur. Rund um eine Hütte, weit weg von der Hektik der
Großstadt hacken sie Holz, entfachen Feuer und bündeln Birkenzweige. Alles
in konzentrierter Vorbereitung auf ihr Ritual: das gemeinsame Schwitzen in
der Rauchsauna.
Im geborgenen Raum der Sauna erzählen sich die Frauen zu jeder Jahreszeit,
mal mit flüsternden Stimmen, mal mit herzhaftem Lachen, von ersten
Liebschaften. Sie philosophieren über [1][Dickpics]: „Ich würde doch nicht
irgendwem auf Tinder ein Bild von meiner Muschi schicken.“ Doch vor allem
auch qualvolle Erlebnisse wie sexuelle Übergriffe verhandeln sie.
Im Südosten Estlands und Lettlands wird die [2][Rauchsauna] – eine
jahrtausendealte baltische Tradition, die zum Unesco-Weltkulturerbe gehört
– bis heute praktiziert. Das Besondere daran: Beim Vorheizen sammelt sich
im Saunaraum Rauch, der nicht abziehen kann, da ein Schornstein fehlt.
Infolgedessen verfärben sich die Wände und Saunabänke schwarz. Erst wenn
der Rauch durch Entlüftungsklappen entwichen ist, wird die Sauna genutzt.
Anna Hints erschafft durch das auf die Sauna begrenzte Setting eine
Dichotomie zwischen zwei Welten. Außerhalb der Sauna erfahren die
porträtierten Frauen häusliche oder sexuelle Gewalt und sollen strengen
Schönheitsidealen entsprechen. In der Sauna entsteht eine utopische
Gemeinschaft von Frauen, als Gegenentwurf zu einer patriarchalen Welt. In
fast nur nahen Einstellungen – für einen Dokumentarfilm durchaus
ungewöhnlich – zeigt Hints ausschließlich diese sichere Welt, das
Privatleben der Frauen in der anderen Welt klammert sie aus.
## Wie ein Rembrandt-Gemälde
Oft erschafft der Film zudem Bilder der Frauenkörper, die an
monochromatische Rembrandt-Gemälde erinnern. Während eine Protagonistin
erzählt, dass sie es als höchstes Lob auffasste, als ihre Mutter sagte, wie
dünn sie geworden sei, sehen wir ihre auf der Saunabank liegenden Beine.
Der einzige Farbton im dunklen Bild ist das Orange des Ofens, das in
verschiedenen Nuancen auf den Beinen der Frau reflektiert.
Ihre Konturen lösen sich in grobkörniger Dunkelheit auf – als ob sie im
Rauch verschwinden. Ants Tammiks Kamera fragmentiert die voller Hitze
glühenden Körper durch Close-ups behutsam, anhand von Schatten und
Abstraktion fern von jeglicher sexueller Objektifizierung.
Apropos Abstraktion: Immer wieder zeigt Hints Aufnahmen des in der Luft
tanzenden Rauchs. Manchmal entsteht daraus die animierte Gestalt einer
alten Frau, die von damaligen Traditionen berichtet. Für Est*innen sei
die Rauchsauna ein heiliger Ort zum Reinwaschen. Auch Kinder wurden hier
geboren und Tote gewaschen.
„Immersion“ lautet ein Leitsatz im Kino, der wohl auch für diese Doku gilt:
das Eintauchen des Publikums in den Film mit möglichst vielen Sinnen durch
das Vergessen der Zeit und des Raums der echten Welt. Hints erreicht mit
ihren nahen Bildern und der dunklen kinoähnlichen Sauna genau das: Bilder
der intensiven Entspannung, die den Zuschauenden fast selbst die Wärme des
Ofens spüren lässt.
Mit „Smoke Sauna Sisterhood“ erkundet Hints, welch heilendes Potenzial
weibliche Gemeinschaft haben kann, als Kammerspiel auf sechs Quadratmetern.
Der von ihr – auch durch die Gespräche – konstruierte Dualismus zwischen
der Sauna und der anderen Welt kritisiert eine Gesellschaft, die auf
patriarchalen Strukturen fußt und Geschlechternormen diktiert. Trotz des
begrenzten Orts der Handlung entfaltet sich durch die Inszenierung der
Saunagemeinschaft und der zärtlichen Bilder eine fesselnde Erzählung.
28 Nov 2023
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## AUTOREN
Wenke Bruchmüller
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