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# taz.de -- Freiburger Radiosender: Piraten der Pressefreiheit
> Seit Anfang des Jahres kämpft Radio Dreyeckland gegen Razzien und
> Strafverfahren. Wie geht es dem Sender mit der langen widerständigen
> Tradition?
Bild: In den Redaktionsräumen von Radio Dreyeckland
Freiburg taz | „Die Polizei ist hier bis zur Schwelle gekommen“, sagt
Fabian Kienert und zeigt auf eine Tür, hinter der sich das Sendestudio von
Radio Dreyeckland (RDL) in Freiburg befindet. „Ins Studio sind sie nicht
gegangen. Die Redakteurin, die gerade am Mikro saß, hat sie aufgefordert,
nicht in den Sendebetrieb einzugreifen.“ Die Polizei habe sie ihrerseits
daraufhin ermahnt, nicht zu Straftaten aufzurufen, erzählt der langjährige
Redakteur Kienert weiter und schüttelt den Kopf.
Im Oktober hat das [1][Medium Radio in Deutschland seinen 100. Geburtstag
gefeiert]. Die Geschichte freier Radiosender ist nicht ganz so lang: Die
meisten wurden in den siebziger Jahren gegründet, Radio Dreyeckland war
darunter der erste freie Sender Deutschlands.
Anlass für seine Gründung war die Inbetriebnahme des [2][Atomkraftwerks
Fessenheim im Elsass, gegen das Atomkraftgegner*innen aus Deutschland
und Frankreich gemeinsam protestierten] – einige mit den Mitteln des
Graswurzel-Journalismus.
„Es war eine zwölfminütige Radiosendung, die am 4. Juni 1977 im Elsass
Geschichte schrieb“, berichtete der freie Journalist Ralf Streck, der auch
für RDL arbeitet, 2017 in der V[3][erdi-Zeitschrift Menschen machen Medien]
zum 40-jährigen Bestehen von RDL. Der Sender – damals noch Radio Verte
Fessenheim – habe „eine kleine Medienrevolution“ ausgelöst, denn er habe
etlichen selbstorganisierten und nichtkommerziellen Radios den Weg
bereitet. Auch Radio Verte Fessenheim blieb – [4][zunächst als
Piratensender, ab 1988 dann mit offizieller Lizenz.]
Die 46-jährige Geschichte von Radio Dreyeckland steht aneinandergereiht auf
schmalen Regalen im Flur des Senders: Hunderte von Kassetten,
durchnummeriert und mit bunten Aufklebern versehen. Es sind die gesammelten
Sendungen, die lange Zeit nicht nur auf Tape archiviert, sondern vor der
Umstellung auf PCs Mitte der Neunziger sogar mit Kassettenspielern
geschnitten wurden.
## Gegenöffentlichkeit im Äther
Freie Radios gaben und geben Menschen und Gruppen, die kaum andere
Möglichkeiten dazu haben, einen Raum, Öffentlichkeit herzustellen. Bei
Radio Dreyeckland produzieren aktuell etwa 150 Ehrenamtliche über 50
Sendungen, davon 17 in anderen Sprachen als Deutsch. Regelmäßige Sendezeit
haben die Freiburger Gruppe von [5][Amnesty International], A[6][ttac
Frankreich] und die [7][aktion] [8][arbeitsunrecht]. In [9][„Our Voice“]
kommen Geflüchtete zu Wort, der [10][Knastfunk] berichtet seit 35 Jahren
aus Gefängnissen, hinzu kommen zahlreiche Musiksendungen.
Daneben berichtet Radio Dreyeckland über aktuelle politische Geschehnisse –
weltweit, aber auch im Lokalen. RDL bewerte aktuelle Geschehnisse häufig
anders als die Badische Zeitung, die einzige regionale Tageszeitung in
Freiburg, sagt Kienert. RDL-Journalist*innen stellten bei Pressekonferenzen
der Stadt [11][häufiger kritische Nachfragen als ihre Kolleg*innen]. Die
Antworten könnten dann alle anwesenden Journalist*innen übernehmen. So
könne Radio Dreyeckland praktisch auch Einfluss auf die Berichterstattung
der Badischen Zeitung nehmen. Und: „Wir sind kein Flugblattradio“, sagt
Reimann. Denn auch Aktivist*innen müssten auf kritische Fragen gefasst
sein.
RDL ist dieses Jahr [12][selbst in die Schlagzeilen geraten]. Um 6.40 Uhr,
am 17. Januar 2023, klingelt und rüttelt es bei Kienert an der Wohnungstür:
die Polizei mit einem Durchsuchungsbefehl. Zeitgleich stehen auch bei
Geschäftsführer Reimann Polizist*innen vor der Tür.
Hintergrund ist eine [13][kurze Nachricht auf rdl.de vom Juli 2022]
darüber, dass das Strafverfahren gegen die mutmaßlichen Betreiber*innen
der im August 2017 verbotenen Webseite linksunten.indymedia aufgehoben
wurde. Letzter Satz des Texts lautete: „Im Internet findet sich
linksunten.indymedia.org als Archivseite“ – versehen mit entsprechendem
Link. Damit habe sich der Autor, so die Staatsanwaltschaft, die die
Wohnungsdurchsuchung angeordnet hatte, [14][zum „Sprachrohr“ der verbotenen
Vereinigung indymedia linksunten gemacht].
Der kurze Artikel war mit Fabian Kienerts Kürzel versehen: FK. Dennoch
wurden die Durchsuchungen damit erklärt, den Autor des Texts ausfindig
machen zu wollen. Kienert gab sich noch in seiner Wohnung als Urheber zu
erkennen. Auch das hielt die Polizei nicht von weiteren Durchsuchungen ab.
Sie fertigte Skizzen von seiner Wohnung an, beschlagnahmte seinen Laptop.
Anschließend fuhren die Beamten weiter zum Sender. Eine Anfrage, wer Autor
des Textes war, hatte es zuvor nicht gegeben, sagt Kienert.
## Der Kampf für Pressefreiheit geht vor Gericht
Reimann und Kienert holten sich Rechtsbeistand – und erreichten zunächst
einen Teilerfolg: [15][Im August erklärte das Karlsruher Landgericht die
Durchsuchungen für rechtswidrig]. Die Ermittlungen gegen Reimann wurden
eingestellt. Gegen Kienert allerdings übernahm das Oberlandesgericht die
Ermittlungen. Vergangene Woche entschied es, die Durchsuchung von Kienerts
Wohnung sei rechtens gewesen. Radio Dreyeckland erwägt nun weitere
rechtliche Schritte.
Kienert geht davon aus, dass noch im Dezember der Termin für die
Hauptverhandlung gegen ihn festgesetzt wird – voraussichtlich für April
oder Mai. Im August wurde allerdings erneut ein Ermittlungsverfahren gegen
die fünf mutmaßlichen Betreiber*innen von linksunten.indymedia.org
eingeleitet: Das Archiv im Internet sei eine Fortführung der Vereinigung,
so die Staatsanwaltschaft. Öffentlich zugänglich ist das bereits seit 2020.
Bis hier eine Entscheidung gefallen ist, könnte sich auch das Verfahren
gegen Kienert verzögern. Schließlich könnte der Vorwurf, „Sprachrohr“ ei…
Vereinigung zu sein, allein schon deshalb nicht aufrecht erhalten werden,
wenn diese gerichtlich festgestellt gar nicht existieren sollte.
„Als ich von den erneuten Ermittlungen gehört habe, habe ich prompt
schlecht geschlafen“, sagt Reimann. Die Bilder, wie die Polizei seine
Wohnung durchsuchte, „sind wieder hochgekommen.“ Die Redaktion stehe
generell finanziell schlecht da. Der Prozess fresse nun weitere Zeit und
Geld. Dafür sammelt die Redaktion Spenden – was auch wieder Zeit in
Anspruch nimmt.
Dabei gibt es gerade andere Sorgen: Dem Radio fehlen schon lange Räume, nun
will es sich vergrößern. „Wir haben nicht einmal einen Besprechungsraum“,
sagt Reimann. Der einzige Konferenztisch steht in einem Durchgangszimmer.
Dort werden gerade neue Praktikant*innen begrüßt. Immerhin: Ein
Nachwuchsproblem hat Radio Dreyeckland nicht.
28 Nov 2023
## LINKS
[1] /Forscher-ueber-100-Jahre-Freies-Radio/!5968496
[2] /Stilllegung-von-Atomkraftwerk-Fessenheim/!5693228
[3] https://mmm.verdi.de/medienpolitik/aethertaeter-radio-dreyeckland-44809
[4] /Zeigen-was-moeglich-ist-und-was-nicht/!1840881/
[5] https://rdl.de/sendung/amnesty-hochschulgruppe
[6] https://rdl.de/tag/attac
[7] https://rdl.de/sendung/arbeitsunrecht-fm
[8] /Interview-mit-den-Jurypreisgewinnern/!165096/
[9] https://rdl.de/sendung/our-voice-die-stimme-der-unsichtbaren
[10] https://rdl.de/sendung/knastfunk
[11] /Journalist-der-Badischen-abgesaegt/!5596932
[12] /Razzia-bei-Freiburger-Alternativradio/!5906653
[13] https://rdl.de/beitrag/ermittlungsverfahren-nach-indymedia-linksunten-verb…
[14] /Indymedia-Link-bei-Radio-Dreyeckland/!5940729
[15] /Durchsuchungen-bei-Radio-Dreyeckland/!5957065
## AUTOREN
Johanna Treblin
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