| # taz.de -- Forscher über 100 Jahre Freies Radio: „Ein Katz-und-Maus-Spiel“ | |
| > In diesem Jahr wird Rundfunk in Deutschland 100. Von Anfang an nutzten | |
| > Menschen das Medium auch selbstbestimmt. Alex Körner forscht zu deren | |
| > Geschichte. | |
| Bild: Tanzeinlage zur Radiomusik im Jahr 1924 | |
| taz: Herr Körner, am [1][29. Oktober 1923 ging die erste legale Radioansage | |
| der Weimarer Republik über den Äther]. Wer hat da zugehört? | |
| Alex Körner: Am Anfang wenige und vor allem Leute aus dem Großbürgertum. | |
| Radios waren nicht gerade billig. | |
| Was haben Leute gemacht, die sich das nicht leisten konnten? | |
| Einige haben selbst Empfänger gebaut. Schon im April 1924 gründete sich der | |
| Arbeiter-Radio-Klub. Da traf man sich zum Basteln und Radiohören. Solche | |
| Werkstätten gab’s bald in über 150 Städten. Die Mitglieder haben schnell | |
| gemerkt, dass das Programm wenig mit ihrer Lebensrealität zu tun hatte. Man | |
| wollte selbst zu Wort kommen. Bald war aber klar, dass das in der Weimarer | |
| Republik nicht wirklich möglich war. So kam es zunehmend zu illegalen | |
| Sendeaktionen. | |
| Wie sah das aus? | |
| Zum Beispiel so wie Silvester 1931, da hat ein kommunistischer Techniker | |
| die Rundfunkansprache von Reichspräsident Hindenburg gekapert und 15 | |
| Minuten lang seine Sicht auf den Jahreswechsel dargelegt. Im Raum Berlin | |
| war das ganz gut zu hören. Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass es in | |
| Berlin illegale Sendeaktionen gab, um auf Zwangsräumungen hinzuweisen. Da | |
| hieß es: In Neukölln oder im Wedding wird gerade wer aus der Wohnung | |
| geschmissen, weil er die Miete nicht bezahlen kann, hin da! | |
| [2][Im Nationalsozialismus] war das wohl vorbei, oder? | |
| Der kommunistische Ableger der Arbeiterradiobewegung, der Freie Radio Bund, | |
| wurde 1933 direkt verboten. Die Nationalsozialisten wussten um die Wirkung | |
| des Rundfunks. Sie wollten alle Haushalte mit einem „Volksempfänger“ | |
| ausstatten, mit dem man nur Propaganda reinbekam. Trotzdem hörten Menschen | |
| weiter anderes Radio. Neben dem deutschsprachigen Programm der BBC und von | |
| Radio Moskau gab es Sender aus der Spanischen Republik, die | |
| antifaschistisches Programm nach Deutschland übertrugen. Der NS-Staat | |
| verhaftete Tausende vermeintlicher Hörer als sogenannte Rundfunkverbrecher. | |
| Einige wurden zum Tode verurteilt oder kamen ins Konzentrationslager. | |
| Wie ging es dann nach 1945 weiter? | |
| Kurz nach dem Krieg wurde der Schwarzmarkt teils über illegale Sender | |
| organisiert. In den 1950ern strahlten dann Musikpiraten sowohl in der BRD | |
| als auch in der DDR ihre Lieblingsmusik aus, über selbst gebaute Sender. | |
| Politisch linkes Radio kam in der BRD erst mit den Neuen Sozialen | |
| Bewegungen in den 70ern auf. Damals entstanden viele alternative Medien, um | |
| eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Ende der 70er gab es in der BRD über | |
| 100 illegale Radioinitiativen, sogenannte Piratensender. Da war die ganze | |
| Bandbreite linker Themen vertreten: von Anti-AKW bis Hausbesetzung. | |
| Polizei und Post, die damals für Radio zuständig war, waren den | |
| Piratensendern konstant auf den Fersen. Wie macht man so Programm? | |
| Es dauerte maximal 15 Minuten, bis die wussten, von wo man sendet. Die | |
| Sendungen mussten also kurz sein und waren meist vorproduziert. | |
| Piratenradio war ein Katz- und Mausspiel. Lustig war das nur, bis Menschen | |
| erwischt wurden: Auf illegales Senden standen bis zu fünf Jahre Knast. | |
| Trotzdem wollten einige Piratenradios so weitermachen und lehnten eine | |
| Legalisierung ab. | |
| In den 1980ern war das tatsächlich eine Diskussion! Die Leute von Radio | |
| Zebra aus Bremen etwa wollten auf keinen Fall legal werden. Die wollten | |
| kein 24-Stunden-Programm, sondern senden, wenn die Bewegung es braucht, wie | |
| von Demos. Im Gegensatz dazu wurde Radio Dreyeckland aus Freiburg 1988 als | |
| erstes Freies Radio legalisiert. | |
| Kurz nach der Wende wurden richtig viele Häuser besetzt. Gibt es da | |
| Parallelen zum Radio? | |
| Durchaus, da entstanden viele illegale Sender in Ostberlin und den | |
| ostdeutschen Bundesländern, anfangs relativ unbehelligt von den | |
| Strafverfolgungsbehörden. Zum Beispiel die „Stimme aus dem Untergrund“, | |
| Radio P aus Prenzlauer Berg. Im Verlauf des Jahrzehnts wurden dann viele | |
| nichtkommerzielle Radios legalisiert, einige von ihnen gründeten 1993 den | |
| Bundesverband Freier Radios (BFR). | |
| Heute sind 33 [3][Freie Radios] im BFR organisiert. Was ist vom | |
| Ursprungsgedanken geblieben? | |
| Die Freien Radios in Deutschland haben sehr unterschiedliche Bedingungen, | |
| weil deren Finanzierung Ländersache ist. Auch inhaltlich sind sie divers: | |
| Von linker Theorie bis zu unpolitischen Musiksendungen ist alles vertreten. | |
| Trotzdem eint sie noch immer der Grundgedanke, Radio fernab von | |
| kommerziellen und staatlichen Interessen zu machen. | |
| 8 Nov 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Ode-ans-Radio/!5967562 | |
| [2] /Presse-im-Nationalsozialismus/!5959219 | |
| [3] /Internet-Radiomacherin-im-Interview/!5558694 | |
| ## AUTOREN | |
| Amira Klute | |
| ## TAGS | |
| Journalismus | |
| Radio | |
| Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk | |
| Radio | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Radio | |
| Radio | |
| Journalismus | |
| Radio | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Radio-Redakteur vor Gericht: Kann ein Link strafbar sein? | |
| Radio Dreyeckland hat 2022 in einem Artikel die Archivseite der verbotenen | |
| Vereinigung linksunten.indymedia verlinkt. Nun steht der Redakteur vor | |
| Gericht. | |
| Zukunft der Freien Radios: Wer hört noch zu? | |
| Schleswig-Holstein will die Radiofrequenzen digitalisieren. Das Freie Radio | |
| Fratz in Flensburg fürchtet, dadurch Hörer zu verlieren. | |
| Freiburger Radiosender: Piraten der Pressefreiheit | |
| Seit Anfang des Jahres kämpft Radio Dreyeckland gegen Razzien und | |
| Strafverfahren. Wie geht es dem Sender mit der langen widerständigen | |
| Tradition? | |
| Ode ans Radio: Radio hat Geburtstag, tralalalala! | |
| Das Radio feiert seinen 100. Geburtstag. Es kann nebenbei gehört werden, | |
| Hauptprogramm, politisches Instrument oder stumpfe Unterhaltung sein. | |
| Presse im Nationalsozialismus: Im Dienste des Regimes | |
| Vor 90 Jahren stellte Goebbels das „NS-Schriftleitergesetz“ vor. Es | |
| regelte, welche Journalisten arbeiten durften – und schaffte die | |
| Pressefreiheit ab. | |
| Internet-Radiomacherin im Interview: „Monokulturalität sehe ich als Strafe“ | |
| Als der Sender Multikulti vor zehn Jahren eingestellt wurde, ging Brigitta | |
| Gabrin mit dem Nachfolger multicult.fm auf Sendung. Sie leitet ihn bis | |
| heute. |