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# taz.de -- Presse im Nationalsozialismus: Im Dienste des Regimes
> Vor 90 Jahren stellte Goebbels das „NS-Schriftleitergesetz“ vor. Es
> regelte, welche Journalisten arbeiten durften – und schaffte die
> Pressefreiheit ab.
Bild: 1933: Reichspropagandaminister Joseph Goebbels nach der Verkündung des S…
Am Abend des 4. Oktober 1933 kam Propagandaminister Dr. Joseph Goebbels in
das in der Berliner Tiergartenstraße gelegene [1][Haus der Presse] und
stellte den versammelten Journalisten das neue Schriftleitergesetz vor. Es
regulierte den Zugang zum Beruf des Redakteurs und schloss Juden und
Marxisten von der Berufsausübung aus. Zugleich wurde die Reichspressekammer
eingerichtet und aus dem Reichsverband der deutschen Presse – zuvor
Gewerkschaft und Berufsverband der Journalisten – ein Handlanger der
Nazipressepolitik gemacht.
Das am Nachmittag im Kabinett beschlossene Gesetz war alles andere als eine
Überraschung. Es war früh angekündigt, breit propagiert und seit der
Machtergreifung immer wieder Gegenstand der Berichterstattung. Hitler
selbst hatte schon beim Empfang des Propagandaministeriums für die
auswärtige Presse Anfang April über die künftige Rolle der Presse
gesprochen und Goebbels kündigte das neue Gesetz an, das „der Presse gibt,
was der Presse ist, andererseits aber der Regierung nicht verwehrt, worauf
sie füglich Anspruch erheben darf“.
Die zuvor hoch renommierte Vossische Zeitung widmete dem Thema am 7. April
1933 fast die komplette erste Seite. Und sie zitierte Goebbels mit den
Worten: „Die nationale Revolution wird nicht eher zum Stillstand kommen,
als bis sie das ganze deutsche Gemeinschaftsleben überflutet und bis in die
letzte Faser durchtränkt hat. […] Jeder Widerstand aber würde schon im
Beginn gebrochen werden.“
Dazu wartete das Regime nicht auf sein neues Gesetz. Diverse Zeitungen
waren bereits verboten, zahlreiche Journalisten – sofern sie sich nicht ins
Exil retten konnten – bereits in Konzentrationslager verschleppt, der
Reichsverband der Deutschen Presse (RDP) war bereits gleichgeschaltet.
Schon im Mai 1933 begann der Reichsverband in den eigenen Reihen nach Juden
und Marxisten zu fahnden, schon im Juni desselben Jahres wurde
beispielsweise [2][Erich Lezinsky], Redakteur bei dem sozialdemokratischen
Spandauer Volksblatt, aus den Mitgliederlisten entfernt und bald darauf von
seinem Verlag gekündigt. Paul Löbe, zuletzt Redakteur des inzwischen
verbotenen Vorwärts, kam ins KZ. [3][Theodor Wolff], zuletzt Chefredakteur
des Berliner Tageblatts, gelang der Gang ins Exil.
Goebbels ließ keinen Zweifel daran aufkommen, woran er sich bei seinem
Gesetz orientierte. Im Mai war er nach Rom gereist und ließ vorher
verbreiten, dass er sich über die Erfahrungen mit dem faschistischen
Presserecht informieren wolle.
Kurz darauf berichtete die Vossische ausführlich über das Presserecht unter
Mussolini und zeigte so, wohin die Reise geht: Chefredakteure bedurften in
Italien der Billigung des jeweiligen Präfekten, später sogar des
Generalstaatsanwaltes, Journalisten mussten sich registrieren lassen, und
das gelang nur jenen, die nicht den „nationalen Interessen“
zuwiderhandelten. Außerdem gab es seit 1930 eine (kurzlebige) Scuola
fascista di giornalismo, eine faschistische Schule des Journalismus, deren
Abschluss den Zugang zum Beruf ermöglichte.
## Selbstverständnis des Berufsstandes
Italien hatte also für Journalisten ein Kammersystem eingeführt, wie man es
in Deutschland längst für Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten kannte. Die
Berufsausübung war an bestimmte Fachkenntnisse und die Mitgliedschaft in
der Kammer gebunden.
Doch kaum jemand weiß, dass es in Deutschland bereits lange vor Goebbels
die Diskussion über die Einrichtung einer Kammer auch für Journalisten gab.
Sie hatte in der Kaiserzeit begonnen und nahm in der Weimarer Republik
erheblich an Fahrt auf. Bereits 1926 gab es einen Referentenentwurf für ein
Journalistengesetz aus dem Reichsinnenministerium, der die Funktion einer
solchen Kammer in erster Linie als die eines Gutachtergremiums in
Presseangelegenheiten beschrieb.
Intensiver aber wurde im Reichsverband der deutschen Presse über
Selbstverständnis und Organisation des Berufsstandes gestritten. So
beantragte der Hamburger Journalistenverband auf dem Verbandstag 1928,
„Presse- und Propagandachefs in der Privatwirtschaft“ die Mitgliedschaft im
Verband zu verwehren. Und auch Angestellte der noch neuen
Rundfunkgesellschaften sollten nur Zugang finden, wenn sie in den
Rundfunkzeitungen oder in den Nachrichtenredaktionen als Journalisten
arbeiteten.
Mit wachsender Empörung in den eigenen Reihen – über
Sensationsberichterstattung, über Hochstapler, die sich als Journalisten
ausgaben, und Schnorrer, die nur Pressekarten für das Theater oder gleich
kostenlose Übernachtungen abstauben wollten – wurde innerhalb des
Reichsverbands über strengere Regeln für den Berufsstand debattiert. Dem
stand der Wunsch gegenüber, einen freien Beruf nicht unnötig zu
reglementieren.
Der Vorsitzende des Reichsverbands, Paul Baecker, machte 1930 im
Verbandsblatt Deutsche Presse den Gegensatz zwischen einer Ärzte- und einer
Pressekammer deutlich: „Bei diesen eine völlig gleichartige, lange und
sorgfältige Vorbildung und die amtliche Approbation nicht nur für eine
Zulassung zum Beruf, sondern auch für eine autoritäre Stellung bei seiner
Ausübung. Beim Tagesschriftsteller (so die verbreitete Bezeichnung für
Journalisten nach einer Verdeutschungskampagne; d. Red.) das genaue
Gegenteil: weitestgehende Verschiedenheit nicht nur in der Vorbildung,
sondern vielfach auch noch im Bildungsstande überhaupt.“
## Gesinnungstest für Schriftleiter
Der Verbandstag 1931, ausnahmsweise auf dem Territorium des „Brudervolkes“
in Wien veranstaltet, sprach sich für Pressekammern aus, paritätisch
besetzt aus Journalisten und Verlegern. Und dabei war auch von der
Möglichkeit die Rede, „unzuverlässige Elemente aus dem Beruf
herauszubringen“.
Unzuverlässigkeit allerdings bezog sich auf berufsethische Standards, nicht
auf politische Gesinnung. Eine solche Einschränkung wäre dem sehr
pluralistisch aufgestellten Reichsverband wohl kaum eingefallen. Ganz
anders den Nationalsozialisten. Goebbels sagte es am 4. Oktober
unmissverständlich: „Nicht jeder hat das Recht zu schreiben! Das Recht zu
schreiben muss durch sittliche und nationale Reife erworben werden.“ Und er
sprach von „einem totalitären Standpunkt“, auf dem der Nationalsozialist
stehe.
Die Ziele wurden auch im Kommentar zum Schriftleitergesetz nicht
verheimlicht. Den hatten – man möchte ironisch einfügen: praktischerweise �…
zwei Männer aus Goebbels’ Ministerium gleich selbst verfasst: Hans
Schmidt-Leonhardt und Peter Gast. Sie traten die bisherigen Vorarbeiten für
ein neues Pressegesetz in die Tonne: „Der Entwurf eines neuen
Pressegesetzes […] war völlig aus dem Geist der liberalen Zeit entstanden.“
Um diesen Geist zu vertreiben, wurden Redakteure in einem „Fragebogen zur
Durchführung des Schriftleitergesetzes“ nicht nur nach der Konfession der
Großeltern befragt und der arischen Abstammung, es wurde auch nach einer
etwaigen Mitgliedschaft im republikanischen Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold
gefragt oder bei der Liga für Menschenrechte.
## Reichspresseschule in Dahlem
Der Reichsverband der Deutschen Presse wurde nun in die Reichspressekammer
eingegliedert und dadurch Teil der Reichskulturkammer. Wer nicht Mitglied
war, durfte nicht als Schriftleiter beschäftigt werden: Es drohte nach
Paragraf 37 Schriftleitergesetz Gefängnis.
Doch der NS-Staat wollte auch seine eigenen Journalisten heranziehen, nicht
bloß den Altbestand auf Linie bringen. Also wurde 1935 vom RDP die
Reichspresseschule (RPS) eröffnet. Die dreimonatigen Kurse, ab 1936 in
einer prächtigen Villa in Dahlem durchgeführt, waren im Schriftleitergesetz
nicht erwähnt, wurden aber durch Verordnung des Propagandaministeriums zur
Pflicht für angehende Redakteure.
Bald wurde, wie Wolfgang Müsse in seinem Porträt der RPS berichtet, auch
noch eine einleitende Wehrübung eingeführt, von der nur Frauen verschont
blieben. Und davon gab es einige, darunter Ursula von Kardorff oder auch
Ruth von Kondratowicz, die kurzzeitig als „Kameradschaftsleiterin“ in der
Betreuung der Schülerinnen tätig war. Dreizehn Lehrgänge hat es gegeben von
1935 bis 1939.
Rund 750 Volontäre haben die Kurse absolviert, schätzt Müsse. Dann aber war
Krieg und Schluss mit Presseschule. Und nach dem Krieg war auch die
Pressekammer passé. Jetzt durfte sich wieder jeder Journalist nennen.
4 Oct 2023
## LINKS
[1] /Villa-Liebermann-in-Berlin/!5731135
[2] /70-Todestag-von-Verleger-Erich-Lezinsky/!5839877
[3] /Vereinigung-Republikanische-Presse/!5870358
## AUTOREN
Christian Walther
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