# taz.de -- Israel und die Hamas: Krieg auf Zeit | |
> Dass Israel der Hamas militärisch weit überlegen ist, muss nicht | |
> kriegsentscheidend sein. Je länger der Krieg dauert, desto besser für die | |
> Hamas. | |
Bild: Während Israel die Zeit davonläuft, plant die Hamas langfristig | |
JERUSALEM taz | „Gemeinsam werden wir siegen.“ Kaum ein Satz ist in Israel | |
derzeit häufiger zu lesen: auf Werbetafeln, auf Stickern an | |
Straßenlaternen, in Graffiti. Verteidigungsminister Joav Galant schwor die | |
Israelis am Donnerstag allerdings darauf ein, dass es bis zu diesem Sieg | |
länger dauern könnte. Die Armee werde alle an dem Massaker vom 7. Oktober | |
Beteiligten finden, sagte er, „egal ob es eine Woche, einen Monat, ein Jahr | |
und gegebenenfalls Jahre braucht.“ | |
Während sich israelische Soldaten seit Tagen [1][tiefer in die | |
Häuserschluchten von Gaza-Stadt vorkämpfen], stellt sich die Frage, unter | |
welchen Bedingungen Israel den Krieg für gewonnen erklären kann. Und ob die | |
Hamas-Führung an einen „Sieg“ womöglich ganz andere Maßstäbe anlegt. | |
Die israelische Führung hat ihre Kriegsziele nach dem brutalen Überfall der | |
Hamas mit mehr als 1.400 größtenteils zivilen Opfern deutlich formuliert: | |
Die militärische Zerstörung der Gruppe sowie die Befreiung aller [2][rund | |
240 entführten Geiseln]. | |
Im Gazastreifen sind bei israelischen Angriffen laut dem Hamas-geführten | |
Gesundheitsministerium seit Kriegsbeginn rund 11.000 Menschen getötet | |
worden, mehr als 4.400 von ihnen Kinder. Ganze Stadtviertel liegen in | |
Schutt und Asche. | |
## Die Hamas will keine Besserungen in Gaza | |
Am Freitag meldeten die Hamas und die Weltgesundheitsorganisation | |
[3][Angriffe auf das Al-Shifa-Krankenhaus] in Gaza-Stadt und weitere | |
Kliniken. Dort suchen tausende Menschen Schutz, unter dem Komplex wird aber | |
auch ein wichtiges Hamas-Kommandozentrum vermutet. | |
Die blutige Reaktion Israels mit ihren furchtbaren Folgen für die zivile | |
Bevölkerung scheint angesichts der jüngsten Äußerungen der Hamas-Führung | |
genau das, was die Organisation mit ihrem grausamen Überfall beabsichtigt | |
hatte. Es sei klar gewesen, dass die Reaktion auf den Überfall groß sein | |
würde, sagte Chalil al-Haja, Mitglied des Hamas-Politibüros, der [4][New | |
York Times] in Katar. | |
Es sei jedoch nötig gewesen, „die gesamte Gleichung zu ändern und nicht nur | |
einen Schlagabtausch zu haben“. Das Ziel sei nie gewesen, Gaza mit | |
Treibstoff und Arbeitsplätzen zu versorgen. „Es ist uns gelungen, die | |
palästinensische Frage wieder auf den Tisch zu bringen.“ | |
Während Israel nach dem 7. Oktober möglichst schnell einen Erfolg braucht, | |
profitiert die Hamas, je länger der Krieg dauert. Die Hamas-Kämpfer | |
operieren mutmaßlich auch aus zivilen Einrichtungen wie Moscheen und | |
Kliniken heraus, kennen das Territorium und können gut untertauchen. Seit | |
dem Beginn der Bodenoffensive vor zwei Wochen sind mehr als 40 israelische | |
Soldaten getötet worden. | |
Die Hamas profitiert, denn mit jedem Tag steigt das Leid der mehr als zwei | |
Millionen Bewohner von Gaza, während international die Akzeptanz für | |
Israels Gegenangriff abnimmt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron | |
appellierte am Donnerstag bei einer [5][Geberkonferenz in Paris] an Israel, | |
„das Recht zu respektieren und die Zivilbevölkerung zu schützen.“ Besorgt | |
äußerte sich auch der oberste General der US-Streitkräfte, Charles Q. | |
Brown: Je länger der Krieg dauere, desto schwerer werde ein Sieg. | |
## Delegitimierung schreitet voran | |
Während Israel die Zeit davonläuft, plant die Hamas langfristig. Ihr Ziel, | |
den jüdischen Staat zu delegitimieren, könnte womöglich selbst eine | |
vollständige militärische Niederlage überdauern. Bereits jetzt ist eine | |
zunehmend feindselige Haltung gegenüber Israel in vielen arabischen Staaten | |
und in Ländern des globalen Südens zu beobachten. | |
Die Gespräche über eine Normalisierung der Beziehungen mit Saudi-Arabien im | |
Rahmen der Abraham-Abkommen, die bis Oktober unter Vermittlung der USA | |
vorangetrieben wurden, sind vorerst gestoppt. Der saudi-arabische | |
Investitionsminister Chalid al-Falih sagte, die Möglichkeit sei weiter „auf | |
dem Tisch“. Der „Rückschlag“ zeige aber die Wichtigkeit einer „Lösung… | |
Konflikts mit den Palästinensern“. | |
Die israelische Führung lehnt eine mehrtägige Waffenruhe weiterhin ab, hat | |
aber täglichen regionalen Kampfpausen zur Evakuierung von Zivilisten und | |
für den Transport humanitärer Hilfsgüter zugestimmt. US-Außenminister | |
Antony Blinken begrüßte diese Entscheidung, forderte aber mehr humanitäre | |
Zugeständnisse. | |
Am Freitag flog auch die deutsche Außenministerin [6][Annalena Baerbock | |
(Grüne) erneut in die Region]. Bei ihren Treffen in Saudi-Arabien, den | |
Vereinigten Arabischen Emiraten und Israel dürfte neben der humanitären | |
Situation und der Freilassung der Geiseln auch die [7][Frage nach einem | |
Plan für die Zeit nach dem Gazakrieg] auf dem Programm stehen. | |
10 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Internationale-Debatte-ueber-Nahost-Krieg/!5968634 | |
[2] /Angehoeriger-der-Hamas-Geiseln/!5971785 | |
[3] /Krankenhaus-in-Gaza/!5963798 | |
[4] https://www.nytimes.com/2023/11/08/world/middleeast/hamas-israel-gaza-war.h… | |
[5] /USA-zu-Krieg-in-Nahost/!5972058 | |
[6] /Krieg-im-Nahen-Osten/!5972165 | |
[7] /Fuenf-Szenarien-fuer-den-Gazastreifen/!5967926 | |
## AUTOREN | |
Felix Wellisch | |
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