# taz.de -- Kinder in Fußballvereinen: Das Stadt-Land-Gefälle | |
> Über 5.500 Kinder stehen auf Wartelisten bei Hamburgs Fußballvereinen. | |
> Auf dem Land fehlen hingegen vielen Clubs die Nachwuchsspieler*innen. | |
Bild: Gemischte Teams helfen auch: der Oststeinbeker SV trifft auf die Spielgem… | |
Hamburg taz | Mindestens 5.559 Kinder können in Hamburg derzeit nicht im | |
Verein Fußball spielen. Das hat eine Umfrage des Hamburger Fußballverbands | |
(HFV) unter den Vereinen ergeben. Mehr als die Hälfte der Fußballclubs in | |
Hamburg muss Kinder demnach inzwischen auf Wartelisten setzen. Um der | |
Nachfrage gerecht zu werden, fehlen vor allem ehrenamtliche | |
Betreuer*innen und freie Sportflächen. „Die Zahlen sind erfreulich und | |
besorgniserregend zugleich“, bilanzierte HFV-Präsident Christian Okun. | |
Im ländlichen Bereich ist die Realität hingegen eine andere. Hier müssen | |
Verbände zum Teil sehr kreativ werden, um überhaupt genügend Kinder in die | |
Vereine zu bekommen. | |
Mit dem Ende der Coronahochphase war die Zahl der Neu- und Wiedereintritte | |
in die Vereine rasant gestiegen. In manchen Vereinen warten mittlerweile | |
bis zu 70 Kinder auf einen freien Platz – und das in nur einem einzigen | |
Jahrgang. In keiner Altersklasse könne man derzeit Kinder aufnehmen, | |
schreibt etwa der Regionalligist Teutonia Ottensen auf der | |
[1][Vereinswebsite]. | |
Fast alle Vereine suchen händeringend nach Ehrenamtler*innen, die sich um | |
die Betreuung der Jugendmannschaften kümmern. Ein Problem, das sich bereits | |
über einen längeren Zeitraum entwickelt hat, sagt Peter Schubert, | |
Projektmanager bei Zivilgesellschaft in Zahlen (ZiviZ). | |
Der Berliner Thinktank befragt regelmäßig Organisationen aus Sport, Kultur, | |
Bildung, Gesundheit, Klimaschutz und anderen Bereichen, in denen sich | |
Menschen ehrenamtlich einbringen. Ergebnis: Noch immer sind Sportvereine | |
gerade für jüngere Menschen ein sehr beliebter Ort für ehrenamtliche | |
Arbeit, jedoch: „In keinen anderen Bereichen haben so viele Organisationen | |
zurückgemeldet, dass [2][Engagement zurückgeht]“, so Schubert. | |
Die Art und Weise, in der sich Menschen gesellschaftlich einbringen, sei | |
inzwischen anders. Statt langfristigem Engagement werden eher spontane, | |
informelle und flexible Aktionen oder Initiativen gesucht. | |
Darunter leidet die klassische Vereinslandschaft – nicht zuletzt auch die | |
Mädchenabteilungen. Zwar kletterte die Anzahl aktiver Jugendspielerinnen | |
laut HFV in diesem Jahr erstmals über die 10.000er-Marke, viele Vereine | |
bieten Mädchenfußball aber nach wie vor gar nicht an. 218 Mädchenteams | |
zählt der Verband aktuell, dem stehen 1.868 Jungenmannschaften gegenüber. | |
Auch hier fehlt es oft an Betreuer*innen. In anderen Fällen, so der | |
Verband, gebe es schlicht nicht genug Platz zum Trainieren. | |
Gerade in Innenstadtnähe könnten die Vereine ihre Teams [3][nur schwer | |
unterbringen], sagt Carsten Byernetzki, Sprecher des HFV. Die Folge: | |
Trainingseinheiten für bis zu drei Teams gleichzeitig – pro Platzhälfte. Da | |
ist der Aufnahmestopp für neue Spieler*innen kaum verwunderlich. | |
Darüber hinaus nutzen sich die Sportplätze infolge dieser Mehrfachbelegung | |
schneller ab. Die Sanierung brachliegender oder veralteter Sportstätten | |
wird aus Sicht die Vereine darum immer wichtiger. Oberste Prämisse müsse es | |
sein, so Byernetzki, keine vorhanden Sportflächen mehr zu schließen und bei | |
Neubaugebieten Sportflächen einzuplanen. | |
Im ländlichen Raum kann man von voll besetzten Trainingsplätzen und | |
Wartelisten auf der Vereinswebsite nur träumen. Kunstrasenplätze finden | |
sich hier nur wenige – keine Spur von überbelegten Sportanlagen. | |
Teilweise kommen zu wenig Kinder in die Vereine, um überhaupt Mannschaften | |
aufstellen zu können. „In den letzten zehn bis zwölf Jahren beobachten wir | |
insgesamt einen Rückgang an Mannschaften und Mitgliederzahlen“, sagt Lars | |
Wolf, Teamleiter Jugendfußball beim Niedersächsischen Fußballverband (NFV). | |
## Spielgemeinschaften als Lösung | |
Deswegen seien kreative Lösungsansätze gefragt. Spielgemeinschaften etwa, | |
also gemeinsame Mannschaften aus verschiedenen Vereinen sind im | |
Junior*innenbereich mittlerweile sehr verbreitet. „Gerade in | |
strukturschwachen Regionen geht es leider oft nicht anders“, erklärt Wolf. | |
Ein Blick in die Jugend-Ligen des NFV bestätigt das. In der | |
U12-Junioren-Kreisliga Verden etwa sind gleich fünf der sieben Mannschaften | |
Spielgemeinschaften. | |
Um den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten, will der Verband Spieler*innen | |
und Vereinen vor allem mehr Flexibilität ermöglichen. So können | |
Jugendspieler*innen etwa ein Zweitspielrecht für einen zusätzlichen | |
Verein erhalten. | |
Und auch [4][angepasste Spielformen] sollen den Vereinen etwas Luft | |
verschaffen. Beim sogenannten Norweger-Modell etwa dürfen die Vereine ihre | |
Teams in unterschiedlicher Mannschaftsgröße anmelden, meist als 7er, 9er | |
oder 11er-Teams. Für das Aufeinandertreffen ist dann die kleinere | |
Mannschaftsgröße maßgebend, das heißt: Tritt eine 11er- gegen eine | |
7er-Mannschaft an, wird sieben gegen sieben gespielt. Mehrere | |
Landesverbände arbeiten inzwischen mit diesem Modell. | |
„Natürlich brauchen Veränderungsprozesse im Verbandswesen oft etwas | |
länger“, meint Lars Wolf. Viele der Maßnahmen würden aber schon jetzt gut | |
von den Vereinen angenommen. Und es bestehe, so Wolfs vorsichtig | |
optimistische Einschätzung, durchaus Grund zur Hoffnung. Bei den jüngsten | |
Altersgruppen gehe die Nachfrage nach [5][Vereinsfußball] auch auf dem | |
platten Land wieder nach oben. | |
25 Nov 2023 | |
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[1] https://www.fcteutonia05.de/ | |
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## AUTOREN | |
Jonas Graeber | |
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