# taz.de -- Fairplay im Kinderfußball: Die Rüpel stehen am Spielfeldrand | |
> Erwachsene machen kleine Fußballer aggressiv, sagt Trainer Ralf Klohr. In | |
> der Fairplay-Liga haben sie deshalb nichts zu melden. | |
Bild: Abseits! Schiri! Schiriiii!!?? | |
„Arbeiten, Jungs!“ und „Weiter! Gas geben …“ und „looos …, angrei… | |
machen …!“. Ein frühsommerlicher Nachmittag, ein idyllischer Platz. Es | |
treten gegeneinander an: Der Burtscheider Turnverein 1873 e. V. aus Aachen | |
gegen den SV Bergwacht Rohren/Kalterherberg aus der Eifel. D-Jugend, das | |
sind die 12- bis 13-Jährigen. Die beiden Trainer haben je eine Seitenlinie | |
für sich und brüllen, dass es in den Ohren schmerzt. | |
Auch der Schiedsrichter im Trainingsanzug gibt sich mit sehr schriller | |
Pfeife autoritär. Als ein BTVler für eine Schwalbe einen Freistoß bekommt, | |
wird das mit einem anerkennenden Augenzwinkern belohnt. „Wenn sich von den | |
anderen keiner beschwert …“, sagt der Trainer vergnügt. Ein andermal ruft | |
ein Betreuer seinem Schützling zu: „Drauf, angreifen! Der kann nix!“ Darf | |
man so gemein über einen 12-Jährigen der Gegnermannschaft urteilen? | |
Fußball. Leistung zeigen. Besser sein als die anderen. Der Vereinsfußball | |
gilt als Schule der Nation. Aber wird man im Klub zum Teamplayer, zum | |
Fairness-Freund oder zum Arschloch? Das komme, wie bei allen Sportarten, | |
entscheidend auf die Trainer und die Vereine an, sagt Ralf Klohr. | |
„Grundsätzlich lernt man im Fußball Teamplayer zu sein, Fairness-Freund | |
wird man nicht unbedingt. Schummeln ist beim Fußball normal. Und | |
Arschlöcher gab es schon immer.“ | |
Ralf Klohr ist ein sehr wichtiger Mann im deutschen Fußball. Obwohl ihn | |
kaum jemand kennt. Der heute 51-Jährige hat die Fairplay-Liga erfunden, | |
unermüdlich beworben, entwickelt und verbreitet. Die Kernidee: Die | |
angeblich unverzichtbaren Erwachsenen beim Kinderfußball stören nur. | |
Zuvörderst: keine Schiedsrichter mehr bei den Jüngsten. Auch 7-Jährige | |
können im Spiel alles allein regeln – angeleitet, unterstützt und | |
zurückhaltend beaufsichtigt von ihren Trainern, die sich in einer | |
gemeinsamen Coachingzone aufzuhalten haben. Es geht um maximale Freiheit | |
für die Kleinen, um eigenverantwortliches Lernen. | |
## Mission gegen Kettenreaktionen | |
Und es soll Ruhe herrschen: Eltern haben zum Spielfeld respektvoll Abstand | |
zu halten, mindestens 15 Meter. „Ich will Eltern in ihren Emotionen | |
stören“, sagt Klohr. Deren Aggression, Anfeuern, Reinrufen löst oft | |
Kettenreaktionen aus. „Dieser Zündstoff muss raus.“ Stattdessen: „Liebe … | |
Kind braucht Abstand, Vertrauen und Zutrauen.“ | |
Ralf Klohr ist auf Mission. „Fußball, besonders Kinderfußball, ist eines | |
der komplexesten Dinge überhaupt. Leider nimmt das niemand so richtig | |
ernst. Das Thema bebt in mir.“ | |
Klohr, selbst Vater zweier Fußballsöhne, lange Jahre Jugendleiter in einem | |
Verein bei Aachen, hatte „durch langes Nachdenken“ die Idee Fairplay-Liga | |
Stück um Stück entwickelt. Auslöser war 2006 der Zeitungsbericht über | |
Randale bei einem Kinderspiel im Nachbarort. Im Kreisverband Aachen gab es | |
anfangs vereinzelt Hinweise der Art: „Kinder sind doch überfordert ohne | |
Schiedsrichter.“ Den Skeptikern hat Klohr geantwortet: „Auf Millionen | |
Bolzplätzen weltweit sind sie es nicht.“ | |
2007 gab es bei 7- bis 9-Jährigen in Aachen die ersten Pilotprojekte, | |
mittlerweile spielt die F-Jugend fast bundesweit schiedsrichterbefreit. | |
Auch die E-Jugend, die 10- bis 11-Jährigen also, sind im Verband | |
Mittelrhein weitgehend als Fairplay-Liga unterwegs. Erst in der | |
vorpubertären D-Jugend kommt der Schiedsrichter dazu – noch. | |
In der Kölner D-Jugend und in der Kreisliga der Männer in | |
Flensburg-Schleswig gibt es die ersten Versuche, die Verantwortung | |
zumindest zu teilen: Der Schiedsrichter entscheidet über Abseits, Hand und | |
Foul; die Spieler entscheiden über Einwurf, Abstoß, Eckstoß. | |
## Brutaler Umgang neben dem Platz | |
Ralf Klohr hat im trägen Tanker des Deutschen Fußball-Bunds (DFB), dem | |
größten Einzelsportverband der Welt, vielleicht mehr verändert als so | |
mancher Bundestrainer und Präsident zusammen. Er redet viel in seinem | |
südwestdeutschen Restidiom, eigentlich dauernd, wenn man ihn nicht bremst. | |
Manchmal springt er im Thema, ein Aspekt ist Vorlage für den nächsten. Noch | |
Tage nach dem Treffen schickt er Mails, alle aus der Rubrik: „Ich hab da | |
noch was sehr Wichtiges vergessen.“ | |
Die Szene hat ein Umdenken dringend nötig. Im spanischen Leon wurde noch im | |
März ein 16-jähriger Schiedsrichter vom Vater eines Spielers | |
krankenhausreif geschlagen. Im holländischen Almere traten 2012 drei | |
Jugendliche einen Linienrichter tot. Woche für Woche werden auch auf | |
hiesigen Fußballplätzen Eltern, meist Väter, rabiat. Selbst bei den | |
Kleinsten. Sie empören sich über vermeintlich unfaire Gegenspieler oder | |
maulen andere Eltern an, nur weil deren Kinder ein anderes Trikot tragen. | |
Oliver Zeppenfeld, der Jugendbildungsrefent des Verbands Mittelrhein in | |
Hennef, war diesen Winter Augenzeuge bei einem Hallenturnier für 5- bis | |
6-Jährige, als zwei Väter plötzlich kurz vor der Schlägerei waren: „Die | |
standen sich Nase an Nase gegenüber. Da hat nur ein Funke gefehlt. Wegen | |
irgendeiner Banalität. Unglaublich.“ | |
## Kein Streit, keine Meckerei | |
Aber funktioniert die Fairplay-Liga wirklich? Ein F-Jugendspiel des | |
Jahrgangs 2006 im Kreis Aachen, DJK Armada Euchen-Würselen gegen Blau-Weiß | |
Burtscheid: Vor dem Anstoß erklären die Trainer den Kids am Anstoßpunkt das | |
Procedere: Untereinander bitte einigen bei Einwurf und Ecke, Handspiel | |
zugeben, kein Streit, keine Meckerei, fair bleiben. Die Kleinen nicken, ein | |
paar kreischen: „Jaaa!“ | |
Alles läuft geschmeidig. Bald jedoch fällt auf, dass die Euchener Kids als | |
Heimteam fast jeden Einwurf wie automatisch selbst ausführen und die Gegner | |
zwar schon mal kurz maulen, sich aber fügen. Entscheidet eine zufällige | |
Gruppendreistigkeit? Sind kleine Kinder auswärts schüchterner? Immerhin | |
geht es 6:6 aus, und alle sind am Ende zufrieden. Nur Blau-Weiß-Stürmer | |
Lionel murrt, sein Schuss an die Lattenunterkante sei „sicher dringewesen. | |
Ein guter Schiedsrichter wie in der Bundesliga hätte das gesehen!“ | |
Tja, sagt Ralf Klohr, wenn es tatsächlich informelle Machtspiele gegeben | |
habe, hätten die Trainer nachher darüber reden müssen, auch mit ihren | |
Kindern. „Aber wenn die sich nicht übervorteilt gefühlt haben, ist es doch | |
okay.“ Und vielleicht hat der parteiische Lionel-Vater das nur falsch | |
beobachtet mit den Einwürfen?! Fußballväter sind, auch bei der Recherche, | |
manchmal nicht ganz bei Sinnen. | |
## Nerviges Gebrüll | |
Ralf Klohr ist Klimatechniker. Padagogik hat er im Verein gelernt. Er sieht | |
„das Problem im Kinderfußball in der Projektion der Wünsche von Erwachsenen | |
auf die ihnen anvertrauten Kinder“. Diese Projektion nehme „den Kindern | |
ihre Realität, und sie werden behandelt wie kleine Erwachsene. Das sind sie | |
aber nicht; sie sind Kinder, die Zeit zur Entwicklung brauchen und ein | |
Recht auf Ausbildung haben.“ Fairness müsse man leben und erleben, und das | |
gehe nur auf dem Platz – und auch nur dann, wenn die Kinder selbst dafür | |
verantwortlich seien. | |
Eine Woche später das nächste Fairplay-Match. Unablässig brüllt der | |
Kindertrainer des SV Eilendorf während des Spiels dermaßen auf seine | |
7-jährigen Schützlinge ein, dass sich Jürgen Klopp und Christian Streich, | |
die größten Springteufel an den Seitenlinien der Bundesliga, geschämt | |
hätten: „Weiteeeeer … nicht pennen! …, looooos …, angreifeeeen …!“… | |
ein „Weiter, Männer …“ erscheint ihm offenbar nicht absurd. Eltern | |
forderten ihn nachher zum Gespräch. Ihm sei das gar nicht aufgefallen, | |
sagte der Mann. Soll nicht mehr vorkommen. „Der war ja nervig“, sagt auch | |
Stürmer Lionel. | |
Kinder, sagt Ralf Klohr, wüssten sehr genau, ob sie etwas Verbotenes getan | |
haben. Wenn eine Schiedsrichter-Autorität dabei ist, lerne man nur das | |
Abschieben von Verantwortung und das Schummeln. Foulen sei zwar nicht | |
erlaubt, das oberste Gesetz aber laute mit Schiri: sich nicht erwischen | |
lassen. Der Profifußball bietet die Vorbilder: „Wenn ein Ball ins Aus | |
geht“, sagt Klohr, „heben oft beide Beteiligte den Arm, um den Einwurf für | |
sich zu reklamieren. Da weiß man doch schon: Einer lügt. Kinder lernen das | |
schnell.“ | |
## Freizeitliga ohne Schiris | |
Mittlerweile bekommt Klohr Bürgerpreise und wichtige Verbandsmedaillen. | |
Stolz ist er darauf, dass seine Idee jetzt auch in den Niederlanden | |
umgesetzt wird. Im Frühjahr ernannte der Landespräventionsrat des | |
NRW-Justizministeriums die Fairplay-Liga zum „Projekt des Monats“. | |
Der Verbandsfußball indes hätte sich schon vor 25 Jahren vor der eigenen | |
Haustür umgucken können. Die Bunte Liga Aachen, größte selbst organisierte | |
Freizeitliga Deutschlands mit bis zu 70 Mannschaften, kennt seit jeher | |
keine Schiedsrichter. Bei Partisan Eifelstraße, Juventus Senile oder | |
Nothing Toulouse regelt man alles untereinander. Das Motto: „Schiedsrichter | |
sind eh nur zum Bescheißen da.“ | |
Meist klappt das auch, nur manchmal, etwa bei Abseitsstreitereien, ist die | |
hehre Theorie grau. Auffällig: Fast immer sind es ehemalige Vereinsspieler, | |
die eigene Fouls oder Handspiele nicht zugeben wollen. Großes Gelächter | |
erntete einer, der einmal nach einem vermeintlichen Rempler des | |
Gegenspielers theatralisch zu Boden sank und noch im Fallen „Schiriiii!“ | |
rief. Hallo, welcher Schiri? Der Schummler wurde so rot wie sein Trikot. | |
Ralf Klohr lacht über diese Episode: „Ja, so krank ist Fußball manchmal. | |
Und das hat der wunderbare Sport nicht verdient.“ | |
Oliver Zeppenfeld, der Mann vom Verband Mittelrhein, sagt beiläufig einen | |
erstaunlichen Satz: „Mit der Fairplay-Liga wollen wir den Kindern das Spiel | |
zurückgeben.“ Nur, wer hat es ihnen genommen? „Wir Erwachsenen“, sagt Kl… | |
mit Inbunst, „wir haben den Kindern unseren Fußball aufgedrückt, mit | |
Tabellen, mit Ehrgeiz, mit Vergleichen. Damit hat das Elend angefangen. Wir | |
brauchen kindgerechten Wettspielbetrieb. Wir müssen das Spiel loslassen, | |
die Kinder einfach weitgehend ungestört ihre Spiele spielen lassen.“ | |
27 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Bernd Müllender | |
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