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# taz.de -- DFB-Reformen beim Nachwuchs: Kinder an den Ball
> Seit der DFB eine Reform der Spielformen verkündet hat, wird über den
> lange vernachlässigten Kinderfußball diskutiert. Es tobt ein
> Richtungsstreit.
Bild: In Deutschland hat man lange nicht systematisch über die Bedeutung von K…
Letzte Woche schoss Hans-Joachim Watzke scharf gegen das kurz vorher vom
neuen DFB-Sportdirektor Hannes Wolf vorgestellte Reformpaket für den
Kinderfußball in Deutschland. Man weiß nicht genau, welchen Hut der
Multifunktionär dabei aufhatte, den des Vorstandsvorsitzenden von Borussia
Dortmund, den des Präsidiumssprechers der Deutschen Fußball-Liga oder den
des Vizepräsidenten beim Deutschen Fußball-Bund.
Letzteres wäre fatal, da er mit der Kritik nicht nur die eigenen
Mitarbeitenden brüskierte, sondern den gesamten Verband, der auf seinem
Bundestag die von ihm verdammte Reform bereits 2022 beschlossen hat.
Da Watzke [1][den von keiner Sachkenntnis getrübten Satz] „Wenn du als
Sechs-, Acht- oder Neunjähriger nie das Gefühl hast, wie es ist zu
verlieren, dann wirst du auch nie die große Kraft finden, um auch mal zu
gewinnen“ auf einem Unternehmertag losließ, schielte er wohl auf leichte
Punkte bei der „Die Jugend ist verweichlicht“-Fraktion.
Besser hätte er zuvor in der Vita seines Beraters Matthias Sammer
nachgelesen. Der hatte bereits 2006 in seiner Funktion als
DFB-Sportdirektor versucht, kleinere Spielformen ohne Tabellen einzuführen.
„Da hat er sich eine blutige Nase geholt“, sagt der Sportwissenschaftler
Matthias Lochmann der taz. „Alles, was er hingekriegt hat, war die
Einführung von 9 gegen 9 in der D-Jugend.“
## Der Erfolg vernebelte die Sicht
Mit oder ohne Watzkes Hilfe: Noch nie wurde so viel und so leidenschaftlich
über Kinderfußball diskutiert. „Kinderfußball ist bisher ein kaum
beachtetes Anhängsel im großen Spiel“, sagt Ralf Klohr, [2][Erfinder der
Fair-Play-Liga im Kinderfußball]. Beim DFB kümmere man sich um den
leistungsorientierten Jugendfußball, die Basis im Kinderfußball sei bisher
auf sich allein gestellt, so Klohr.
Im Jugendbereich ab zwölf Jahren wurden nach dem Schock der EM 2000 mit
flächendeckenden Stützpunkten und Nachwuchsleistungszentren bei den
Profiklubs ein Selektions- und Fördersystem eingeführt, das eine goldene
Generation hervorbrachte, die vom Gewinn der U21-Europameisterschaft 2009
bis zum WM-Titel 2014 auf der Erfolgswelle ritt.
Der Erfolg vernebelte den Blick dafür, dass die Entwicklung außerhalb
Deutschlands weiterging. Dass in Ländern wie Spanien, Portugal oder
Frankreich Förderstrukturen entstanden, die Kindern und Jugendlichen
individuelle Entwicklungsmöglichkeiten bot, während der deutsche Nachwuchs
früh auf Gleichförmigkeit und mannschaftlichen Erfolg getrimmt wurde.
## Möglichst viele Ballkontakte
Hannes Wolf legte bei der Vorstellung der Nachwuchsreform dar, um wie viele
Ballkontakte junge Spieler hierzulande betrogen werden, während sie
langatmigen Videoanalysen lauschen oder als Statisten bei der Simulierung
taktischer Feinheiten herumstehen. „Jede Minute des Trainings ist dafür da,
die individuelle Qualität der Spieler zu erhöhen“, rief Wolf als neue
Richtschnur aus.
Bisher ist es so, dass schon die Kleinen in der G-Jugend ab vier Jahren bis
zur E-Jugend 7 gegen 7 spielen. Die Reform sieht nun vor, dass die
Kleinsten mit zwei gegen zwei Spieler auf vier Minitore spielen. Mit
zunehmendem Alter geht es schrittweise mit mehr Spielern auf Kleinfeldtore.
Das Ganze wird in Form von Turnieren oder Spielfesten mit sieben kurzen
Spielen organisiert. Die zahlreich fallenden Toren werden weiter gezählt
und entscheiden über Sieg oder Niederlage in jedem Spiel.
Neu an diesem Ansatz ist vor allem die Anerkennung der schlichten Tatsache,
wie wichtig Ballkontakte und das aktive Mitspielen von Anfang an sind. Der
ehemalige Hockeytrainer Horst Wein hat dafür bereits in der 1980er Jahren
die Spielform Funino entwickelt, in der drei gegen drei Kinder auf vier
Tore spielen. Diese Idee wurde später von Lochmann an der Uni Erlangen
aufgegriffen, der dort 2015 ein entsprechendes Pilotprojekt durchführte.
## „Projekt Zukunft“ 2020
Der DFB wurde allerdings erst 2018 aktiv, [3][als nach dem frühen
Ausscheiden bei der WM 2018] die Mängel im deutschen Nachwuchssystem
offenkundig wurden, und legte eigene Projekte zur Erprobung kleinerer
Spielformen auf.
„Unser Anspruch ist es, den deutschen Fußball dauerhaft in der Weltspitze
zu etablieren“, heißt es in der Einleitung zum Grobkonzept des „Projekts
Zukunft“ von 2020, in dem die neuen Spielformen erstmals vom DFB propagiert
wurden. Dabei hätte es genug andere Gründe für Reformen im Kinderfußball
gegeben. „Wir machen ja nicht nur Amateurfußball, damit 400 Leute
Millionäre werden dürfen“, sagt Lochmann.
## Auch für die Schwachen gut
Es gehe vor allem um Gesundheitsförderung für alle Kinder und Kinderrechte,
wie dem Recht auf Teilhabe. Wie dieses im alten System verletzt werde,
beschreibt Lochmann an der Wirkung von Tabellen. Trainer würden mit höheren
Positionierungen belohnt, wenn sie „die schwächsten Spieler nicht
mitnehmen, die zweitschwächsten auf die Bank setzen und die
drittschwächsten auf Positionen mit einfach strukturierten Aufgaben
einsetzen“.
Die Reformpläne haben den Vorteil, dass sie den schwächeren wie den
stärkeren Spieler:innnen zugleich nützen. „Wir sehen an unseren Daten,
dass auch die Höchstleister bei den Ballkontakten und Dribblings zulegen“,
sagt Lochmann. „Der große Vorteil ist, dass die Unterperformer an die
Höchstleister bei der Ballkontaktzahl aufschließen. Das bedeutet, dass der
Höchstleister noch besser wird als im alten System, weil er mehr
Ballkontakte und seine Mitspieler viel bessere Konkurrenten im eigenen
Verein werden.“
Noch sind viele Vereine und Kreisverbände verunsichert, wie sie den hohen
Aufwand der geplanten Spielfeste bewältigen sollen. Das wird ein Hauptthema
beim 4. Amateurfußballkongress vom 22. bis 24. September in Frankfurt sein.
Lochmann fordert, dass schnell ein Unterstützungssystem über Online- und
Präsenzfortbildungen organisiert wird. Außerdem sollten die
DFB-Großsponsoren Mini- und Kleinfeldtore an die Vereine verteilen.
Lochmann regt zudem eine Kampagne unter dem Motto „Hochleistungs- und
Gesundheitsförderung für alle Kinder in Deutschland“ an.
12 Sep 2023
## LINKS
[1] /Talentfoerderung-im-Fussball/!5956364
[2] /Fairplay-im-Kinderfussball/!5036904
[3] /Kommentar-Deutsche-Elf-in-Russland/!5516750
## AUTOREN
Ralf Lorenzen
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