| # taz.de -- Neues Buch von Patrik Svensson: Das Meer als Ewigkeitsmetapher | |
| > Ein eigenartiges Landlebewesen mit unstillbarer Neugier: In zehn luziden | |
| > Essays beleuchtet Patrik Svensson das Verhältnis des Menschen zur See. | |
| Bild: Das Meer als Ewigkeitsmetapher | |
| Vor ein paar Jahren erschien mit [1][„Evangelium der Aale“ ein | |
| außergewöhnliches Sachbuch], in dem der schwedische Journalist Patrik | |
| Svensson die Geschichte vom Wesen und Werden des Aals mit seiner eigenen | |
| Familiengeschichte verschränkte: Es handelte auch vom Vater des Autors. | |
| Nun hat er eine Art Fortsetzung vorgelegt, worin er sowohl den inhaltlichen | |
| Fokus erweitert als auch ein anderes Familienmitglied beim Schreiben | |
| liebevoll in den Blick nimmt. „Die Chronistin der Meere“ ist seiner Mutter | |
| gewidmet. Und obwohl das Buch in thematisch deutlich unterschiedene Kapitel | |
| gegliedert ist, hat man am Ende wieder das Gefühl, dass hier sehr geglückt | |
| ein großer Bogen geschlagen worden ist. | |
| „Den lodande människan“ / „der lotende Mensch“ lautet der Originaltite… | |
| Buches, in dem, implizit und unübersetzbar, auch der „leidende Mensch“ | |
| („den lidande människan“) mitklingt. Vor allem wurde dieser lotende Mensch, | |
| erzählt das gleichnamige Kapitel, stets von seiner Neugier geplagt. | |
| ## Knoten und Senkblei | |
| Für die Schifffahrt war es allerdings auch immer schlichte Notwendigkeit zu | |
| wissen, wie viel Wasser sich unter dem Kiel befand. Anschaulich erläutert | |
| Svensson, wie anfänglich mit Stangen die Wassertiefe gemessen, dann das | |
| Senkblei erfunden wurde (auch das Messen der Geschwindigkeit auf dem Wasser | |
| in „Knoten“ hängt damit zusammen) und von dort aus die Methoden der | |
| Meereserforschung immer komplexer wurden. | |
| Ein anderes Kapitel widmet sich der tiefsten Stelle des Meeres: dem | |
| Challengertief, dessen Boden in 10.916 Metern Tiefe Jaqcues Piccard und Don | |
| Walsh im Jahr 1960 mit einer selbstgebauten Tauchkapsel erreichten. Nur | |
| zwei Menschen waren nach ihnen hier unten; einer davon der Filmregisseur | |
| James Cameron. | |
| Neben Neugier und Wissensdurst, die den Menschen immer wieder ins | |
| Unbekannte treiben, beleuchtet Svensson den fatalen menschlichen Drang, | |
| alles Entdeckte zu beherrschen. Die erste Weltumsegelung unter Führung des | |
| Portugiesen Ferdinand Magellan im 16. Jahrhundert erzählt er zum Großteil | |
| aus Sicht eines malaiischen Sklaven, den Magellan als Dolmetscher auf die | |
| große Fahrt mitgenommen hatte. | |
| ## Naturbeherrschung | |
| Auch die Geschichte des Walfangs ist verstörend. „Man wollte ihn töten, | |
| weil man konnte, nicht, weil man es musste“, heißt es über den Pottwal. | |
| „Der Nutzen, den der Pottwal für den Menschen hatte, scheint eher eine | |
| nachträgliche Erklärung zu sein, so als wäre das Ziel dem Sinn | |
| vorausgegangen.“ Etwa 36.000 Pottwale gebe es heutzutage weltweit noch – | |
| geschätzt ein Viertel des einstigen Bestandes, bevor der Mensch begann, das | |
| größte Meeressäugetier gezielt zu jagen. Das Kapitel trägt den Titel „Das | |
| größte Raubtier“; und damit ist nicht der Wal gemeint. | |
| Dass Entdeckungslust und Forscherdrang aber ebenso mit tiefer | |
| Naturverbundenheit einhergehen können, belegt Patrik Svensson unter anderem | |
| mit einem Porträt des autodidaktischen schottischen Naturforschers Robert | |
| Dick, der im 19. Jahrhundert lebte und sich als Bäcker durchs Leben schlug. | |
| Der titelgebende Essay „Die Chronistin der Meere“ handelt von der | |
| amerikanischen Biologin Rachel Carson, die nicht nur mit ihren Büchern über | |
| das Meer in puncto Nature Writing neue Maßstäbe setzte, sondern mit „Der | |
| stille Frühling“ auch eine Art Gründungsmanifest der Ökobewegung schrieb. | |
| ## Menschengemachte Vermüllung | |
| Ein Kapitel über die menschengemachte Vermüllung der Meere findet sich in | |
| Svenssons Buch nicht. Eine einzige Plastiktüte an der symbolisch | |
| wirksamsten Stelle des Bandes reicht aus, um die Dringlichkeit dieser | |
| Problematik zu verbildlichen, die thematisch ansonsten auch nicht wirklich | |
| einen Platz auf dem gedanklichen Bogen fände, den das Buch schlägt. | |
| In der Gesamtheit aller Essays, so sachlich und faktenreich sie im | |
| Einzelnen sind, entsteht ein Bild vom Meer als Seins- oder | |
| Ewigkeitsmetapher. Der Mensch wiederum gibt das Bild eines eigenartigen | |
| Landlebewesens ab, das allem anderen, was da kreucht, fleucht und schwimmt, | |
| oft sehr übel mitspielt, das aber in seiner großen, unstillbaren Neugier | |
| auf alles Unbekannte dennoch sehr erstaunlich ist. | |
| 18 Nov 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Granzin | |
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