# taz.de -- Schriftsteller Klaus Modick über Moore: „Kaum jemand feiert die … | |
> Die UN-Biodiversitätskonferenz steht an. Der Schriftsteller Klaus Modick | |
> spricht über die Schönheit des Moors und die Ästhetisierung bedrohter | |
> Natur. | |
Bild: „O schaurig ist’s, über’s Moor zu gehn“: Otto Modersohn, „Herb… | |
taz: Herr Modick, lassen Sie uns über Wiesen und Moore sprechen, denn bald | |
ist wieder UN-Naturkonferenz. Zwei Wochen lang wird das Artensterben etwas | |
Öffentlichkeit bekommen und damit auch all die Vögel, Frösche und Insekten, | |
die bunte Wiesen und nasse Moore zum Leben brauchen, in Deutschland aber | |
kaum noch finden sind. Liegt das auch daran, dass Grünland, im Gegensatz | |
zum Wald, in der Kunst wenig und wenn, dann lapidar dargestellt wird? | |
Klaus Modick: Das muss man differenzieren. Wiesen wurden immer lieblich, | |
auch erhaben dargestellt. Zum Beispiel die wunderschöne Wiese auf dem | |
berühmten Bild „Hirtenknabe“ von Franz von Lenbach. Bei Moorlandschaften | |
ist das etwas anderes, das sind klassische Hintergründe für | |
Schauergeschichten, dort geht es häufig unheimlich und bedrohlich zu. | |
Denken Sie an „Der Knabe im Moor“ von Annette von Droste-Hülshoff, oder gar | |
„Wir sind die Moorsoldaten“ von den Häftlingen des KZ Börgermoor. | |
taz: In Ihrem Roman „Konzert ohne Dichter“ ist das Moor eigentlich ganz | |
heiter … | |
Modick: Das haben die Künstler der Malerkolonie Worpswede so gesehen. Sie | |
haben in ihren Werken die Schönheiten des Teufelsmoores herausgearbeitet, | |
aber auch seine Kargheit, seine Dunkelheit. Für diese Maler war die | |
Moorlandschaft das genaue Gegenteil eines Ateliers, das war der Punkt. Die | |
wollten raus aus der akademischen Salonmalerei in die freie Landschaft, an | |
die frische Luft. In seiner Mischung aus Lieblichkeit und Grusel war das | |
Moor der ideale Ort dafür, ein idealer Kontrast zum stickigen Atelier. | |
taz: „Das Teufelsmoor ist schön, aber des Schrecklichen Anfang“, lassen Sie | |
Rilke sagen … | |
Modick: … das ist ein Zitat aus Rilkes „Duineser Elegien“. Im Roman | |
bezeichnet es treffend die Widersprüchlichkeit des Moores. Es ist schön, | |
aber auch furchterregend, und es kann sogar tödlich sein. Man denke an die | |
sprichwörtlichen Moorleichen. „Gar schaurig ist’s, übers Moor zu gehen, | |
wenn es wimmelt vom Heiderauche“, heißt es bei Droste-Hülshoff. Das ist | |
also eine widersprüchliche und eben deshalb reizvolle Sache mit dem Moor. | |
Intakte Moorlandschaften haben diese merkwürdige Ambiguität: Da ist | |
Kompostierung im Gange, aus lebendiger Substanz wird Moor, und das hat | |
etwas von Vergänglichkeit und zugleich von Üppigkeit und Fruchtbarkeit. | |
Ganz anders als beim Sumpf übrigens, der ja immer nur schrecklich ist, auch | |
umgangssprachlich. Man versumpft, steckt in einem Sumpf, und wo Sumpf ist, | |
sind Abgrund, Tod und Verderben nicht weit. Der Sumpf verschlingt und ist | |
böse. Dabei sind Sümpfe bekanntlich wichtig für den Wasserhaushalt, auch | |
als CO2-Speicher. Man denke an die Mangroven, das sind Brackwassersümpfe, | |
denen es weltweit schlecht geht. Trotzdem feiert kaum jemand die Sümpfe, | |
abgesehen vom sogenannten Swamp-Rock oder der Cajun-Musik. | |
taz: Sie sind in [1][Oldenburg] geboren und aufgewachsen, von Mooren | |
umgeben. Welche Rolle haben die in Ihrer Kindheit gespielt? | |
Modick: In den 50er Jahren wurde in der Stadt Oldenburg noch viel mit Torf | |
geheizt, auch in meinem Elternhaus. Da kamen dann die Torfbauern aus den | |
Fehndörfern … | |
taz: … Fehn? | |
Modick: … ja, das ist ein niederdeutsches Wort. Aus diesen Moordörfern | |
wurde der Torf gebracht, in den 50er Jahren manchmal noch mit | |
Pferdegespannen. An den Häusern waren unter den Giebeln Haken, an denen | |
wurde der Torf in großen Körben auf die Dachböden gehievt. Der musste unter | |
den Dachboden und durfte nicht in den Keller, weil er trocken lagern | |
musste. Der Brennwert ist gering, aber die Wärme der Torföfen war angenehm, | |
mild, gut riechend. Es gab noch kein Problembewusstsein, dass dadurch das | |
Moor verschwindet. Irgendwann hörte es auf, da kamen dann Heizöl und | |
Erdgas. | |
taz: Die Trockenlegung von Mooren gilt ja heute noch als kulturelle | |
Leistung. | |
Modick: Das war sie auch, erbracht unter großen Opfern. Die Moorbauern sind | |
in den Fehndörfern angesiedelt worden, um Land urbar zu machen und | |
Brennstoff zu liefern. Aber es hat hundert Jahre gedauert für eine Familie, | |
bevor ihr eine Torfwirtschaft ein extrem bescheidenes Leben ermöglicht hat. | |
Sie brachte der ersten Generation den Tod, der zweiten die Not, der dritten | |
das Brot, hieß es damals. Heute ist das fruchtbares Weideland, hervorragend | |
für Milchwirtschaft geeignet. | |
taz: Lässt sich so eine historische Erfahrung umerzählen? Also, lässt sich | |
erzählen, dass die Urbarmachung der Moore kein zivilisatorischer Akt war, | |
sondern ein Akt der Zerstörung, den wir rückgängig machen müssen? | |
Modick: Kaum. Natürlich war das aus heutiger Sicht ökologischer Selbstmord, | |
aber wenn Sie die Trockenlegung und Urbarmachung rückgängig machen wollen, | |
dann kommt der Milchbauer mit dem Trecker und Berlin steht still. Dann hat | |
die Politik alles nicht so gemeint und trocknet die Wiedervernässung wieder | |
aus. | |
taz: Natur hat gerade literarisch Konjunktur, [2][das Nature Writing | |
boomt]. Dabei haben die Leser:innen doch immer weniger Bezug zur Natur. | |
Zum Beispiel haben wohl nur wenige mal ein intaktes Moor gesehen – 95 | |
Prozent der Moorflächen in Deutschland sind tot, trockengelegt, die meisten | |
sind Weideland. | |
Modick: Gerade darum floriert das ja. Es gibt einen hintergründigen Satz | |
von Walter Benjamin: „Was zu verschwinden droht, wird Bild.“ Man könnte | |
auch sagen, was zu verschwinden droht, wird Literatur oder Kunst. Gerade | |
die Dinge und Erfahrungen, die uns entgleiten, die verloren gehen, weil wir | |
sie zerstören, werden mythisiert und bekommen eine ästhetische Qualität, | |
die sie an sich gar nicht haben. Den „edlen Wilden“ gibt es erst in dem | |
Moment, in dem die Native Americans ausgerottet werden, und das Moor | |
erscheint ästhetisch reizvoll, als es zu verschwinden droht. So werden | |
Bilder und Texte zu einer Art künstlerischem Naturkundemuseum. Literatur | |
beschränkt sich nicht darauf, Dinge zu beschreiben, die vorhanden sind. Und | |
Rezeption von Kunst ist nicht nur einfach ein Wiedererkennen von etwas, das | |
man sowieso schon im Kopf hat. Das würde ja bedeuten, wir Schriftsteller | |
und Maler zeigen euch nur das, was ihr sowieso schon wusstet. Zumindest | |
geht es darum, etwas so darzustellen, dass es den Rezipienten neue | |
Blickwinkel ermöglicht. | |
taz: In der Novelle „Moos“ erzählen Sie von einem alten Mann und seiner | |
Annäherung an die Natur und lassen ihn dabei quasi vermoosen. Am Ende ist | |
er tot. Einerseits beschreiben Sie Natur als etwas sehr Verletzliches, | |
andererseits ist sie es, die am Ende übrig bleibt. | |
Modick: Wir leben nun mal in einer denkwürdigen Dialektik. Je | |
zerstörerischer wir mit unserer Umwelt umgehen, desto größer wird das | |
Bewusstsein für die Notwendigkeit ihres Erhalts. Wie wir wissen, ist das | |
bis jetzt nicht aufgelöst, wir sägen immer weiter munter am eigenen Ast. | |
Weil sich die Klimakrise in den letzten zehn Jahren so dramatisch | |
zugespitzt hat, ist diese Thematik natürlich absolut virulent – allerdings | |
auch nicht neu. Über die Natur und ihre Zerstörung ist schon vor 200 Jahren | |
geschrieben worden. Wilhelm Raabe beschreibt in „Pfisters Mühle“ schon Ende | |
des 19. Jahrhunderts, wie Chemikalien eine ganze Landschaft verseuchen, | |
oder, noch früher, Albrecht von Haller in seinem Gedicht „Die Alpen“. Da | |
preist er das naturnahe Landleben, weil er schon in Kontakt mit früher | |
Industrialisierung und Bergbau gekommen ist. Das gibt es schon lange, aber | |
inzwischen hat wohl auch der Letzte begriffen, dass es so nicht weitergeht, | |
weil unsere Erde unbewohnbar wird. Daher der Boom des Nature Writing in den | |
letzten Jahren. | |
taz: Wenn die Natur sich allerdings erholt und zurückkommt, trifft sie auf | |
Gegenwehr. Gegen Wölfe in Wäldern oder Moore statt Weiden regt sich sofort | |
Widerstand. Wie könnte man die Erkenntnis des Verlusts transformieren in | |
den Wunsch, etwas wirklich zu bewahren und dann auch die Folgen | |
hinzunehmen? | |
Modick: Darauf weiß ich keine Antwort. Wenn jemand findet, eine Autobahn | |
sei wichtiger als ein Moor, dann werde ich den kaum vom Gegenteil | |
überzeugen können. Kunst und Literatur haben ihre Grenzen an den Interessen | |
der Ökonomie; das war leider schon immer so. Wenn ich mir vorstelle, ich | |
wäre in einer Versammlung, in der Milchbauern darüber diskutieren, ob ihr | |
Land renaturiert wird, und ich würde da ein Bild aus Worpswede hochhalten | |
oder Annette von Droste-Hülshoff zitieren, dann würden die Bauern mich | |
bestenfalls auslachen. Wenn entschieden wird, ein Moor wieder zu vernässen, | |
dann geschieht das, weil es klimapolitisch geboten ist, weil Moore riesige | |
CO2-Speicher sind und das Wasser in der Landschaft halten. Das sind | |
Argumente, die zählen. | |
taz: Könnte man nicht auch argumentieren, das Ungezähmte, Gefährliche, | |
Unzivilisierte zu erhalten oder wieder zuzulassen, sei die einzige | |
sinnvolle Antwort auf die Natur- und Artenkrise? | |
Modick: Das wäre wünschenswert. Ich bin aber skeptisch, was die Wirkmacht | |
von Kunst und Literatur angeht. Wir Künstler haben natürlich ein Interesse | |
daran, dass Natur, Moore, Sümpfe erhalten bleiben. Die liefern ja | |
Inspiration und Motive. Aber wer Straßen baut oder Milchkühe hält, für den | |
hat Landschaft eine andere Bedeutung. Vielleicht können wir uns darauf | |
einigen, der Natur Flächen zur Verfügung zu stellen, große Nationalparks | |
wie der Yellowstone Park in den USA. Der ist ja so groß, dass er mehr | |
darstellt als ein Naturmuseum. Dort kann sich Natur noch wirklich | |
entfalten. | |
taz: [3][Nordrhein-Westfalen scheitert] gerade am Widerstand der | |
Bevölkerung, einen zweiten Nationalpark einzurichten. | |
Modick: Tja, wenn das so ist, stehen Sie auch als Schriftsteller oder | |
Maler, dem die Natur am Herzen liegt, auf verlorenem Posten. Wir können nur | |
zähneknirschend oder meinetwegen mit einer Träne im Auge danebenstehen. Und | |
über das schreiben, was verloren geht. | |
20 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Oldenburg-ehrt-NS-Journalistin/!6006503 | |
[2] /Naturautorin-Nancy-Campbell/!5944153 | |
[3] /Nationalpark-in-NRW-abgelehnt/!6014574 | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
## TAGS | |
Biodiversität | |
Moor | |
Natur | |
Literatur | |
wochentaz | |
Social-Auswahl | |
wochentaz | |
Porträt | |
NS-Dokumentationszentrum | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neues Buch von Patrik Svensson: Das Meer als Ewigkeitsmetapher | |
Ein eigenartiges Landlebewesen mit unstillbarer Neugier: In zehn luziden | |
Essays beleuchtet Patrik Svensson das Verhältnis des Menschen zur See. | |
Naturautorin Nancy Campbell: Worte für verlorene Gegenstände | |
Nancy Campbell ist eine der spannendsten Naturautor*innen ihrer | |
Generation. Die taz traf sie zum Spaziergang im Berliner Viktoriapark. | |
Ärger um Erinnerungsarbeit im Emsland: Der Burgfrieden bröckelt | |
Die Kooperation zwischen dem „Aktionskomitee Emslandlager“ und dem | |
Landkreis Emsland in der Gedenkstätte Esterwegen droht zu zerbrechen. |